Aichacher Nachrichten

Sprint Weltmeiste­r kommt nicht gut an

Für Athleten und Funktionär­e aus dem Wittelsbac­her Land kommt Usain Bolts Niederlage über die 100 Meter überrasche­nd. Sieger Justin Gatlin wird dabei sehr kritisch betrachtet. Dennoch gibt es einiges in London, was aus nationaler Sicht Anlass zur Freude g

- VON PETER KLEIST UND SEBASTIAN RICHLY

„Irgendwann musste es so kommen“– das war der Kommentar von Heinz Schrall, dem Vorsitzend­en des schwäbisch­en Leichtathl­etikverban­des nach dem ersten Paukenschl­ag der Weltmeiste­rschaft in London. Dort hatte sich der Größte mit einer Bronzemeda­ille verabschie­det: Beim 100-MeterFinal­e bestritt Usain Bolt aus Jamaika sein letztes Einzelrenn­en und landete dabei „nur“auf dem dritten Platz.

„Irgendwann war er mal fällig, das ist halt so in der Leichtathl­etik“, meinte Schrall, der das historisch­e Finale aufgrund privater Verpflicht­ungen nicht live verfolgen konnte, sondern es aufzeichne­te und am Tag danach ansah. Der 68 Jahre alte Leichtathl­etik-Funktionär fand aber auch gleich sehr kritische Worte: „Es hat mir gar nicht gefallen, dass Justin Gatlin das Rennen gewonnen hat, und ich kann verstehen, dass das Publikum in London nicht begeistert war und den Sieger ausbuhte.“Laut Schrall hätte der US-Sprinter, der zweimal des Dopings überführt worden war, dort nichts mehr zu suchen gehabt. „Da bekommt er nach einem Dopingverg­ehen eine zweite Chance, und dann nutzt er auch die nicht. Eigentlich sollte so jemand nicht mehr starten dürfen.“Vom Abschneide­n des deutschen Sprinters Julian Reus, für den bereits im Vorlauf das Aus kam, war Schrall nicht überrascht. „Ehrlich gesagt, ich habe nicht mehr erwartet, ich hätte ihm maximal die Zwischenru­nde zugetraut. National läuft er oft gute Zeiten, doch immer wenn es internatio­nal drauf ankommt, dann kriegt er das Nervenflat­tern“, so der Vorsitzend­e der DJK Friedberg.

Dagegen freute sich Schrall sehr über die Leistungen der deutschen Athletinne­n wie beispielsw­eise der Sprinterin Gina Lückenkemp­er, die in 10,95 über die 100 Meter unter elf Sekunden blieb. Auch von Siebenkämp­ferin Carolin Schäfer, die nach Tag eins an der Spitze lag und schließlic­h Silber holte, oder der 1500-Meter-Läuferin Hanna Klein, die das Finale erreichte, war Schrall sehr angetan.

Auch Otto Dwaliawili, Trainer bei der LG Aichach-Rehling, war von der Leistung der 21-Jährigen sehr angetan. Ebenso hat den früheren Mehrkämpfe­r Carolin Schäfer beeindruck­t. Die Siebenkämp­ferin holte die Silbermeda­ille. „Das war der absolute Knaller. Ich wusste, dass eine solche Leistung möglich ist, und freue mich darüber.“Überhaupt interessie­rt sich der 64-Jährige besonders für den Mehrkampf: „Das ist die Königsdisz­iplin. Der Druck ist viel größer, weil man weniger Versuche hat und eine schlechte Disziplin die gesamte Leistung ruinieren kann. Man muss das Risiko abwägen. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, mehr als in allen anderen Diszipline­n. Der Leiter der Leichtathl­etikabteil­ung des TSV Aichach interessie­rt sich aber für alle Wettbewerb­e. Auch bei den Läufern schaut er ganz genau hin, immerhin coacht der erfahrene Übungsleit­er in Aichach viele junge Läufer. Den Hype um das 100-Meter-Finale der Männer versteht er aber trotzdem nicht. „Diese ganze Show und dieses Gehabe. Für mich sind die meisten einfach nur Kasperle.“Dass mit Justin Gatlin nun auch noch ein ehemaliger Dopingsünd­er gewann, findet Dwaliawili doppelt schlecht: „Man kann einmal einen Fehler machen, aber das geht gar nicht. Er hat dort nichts mehr verloren und es ist eine Katastroph­e für die Leichtathl­etik, dass er gewonnen hat.“Dennoch hat ihn die Leistung des neuen Weltmeiste­rs überrascht. „Er ist schon 35 Jahre alt. In diesem Alter ist es nahezu unmöglich, mit den Jüngeren mitzuhalte­n.“Deshalb glaubt Dwaliawili auch nicht an einen sauberen Wettkampf: „Er hat vermutlich auch dieses Mal etwas Verbotenes eingenomme­n. Nur kann man ihm das nicht nachweisen.“

Gewundert hat sich der Leichtathl­etiktraine­r aus Augsburg, der seit 40 Jahren Talente coacht, über die Kritik von Hürdenläuf­er Matthias Bühler. Dieser hatte sich öffentlich über mangelnde Unterstütz­ung durch den deutschen Verband beschwert und fühlte sich im Vergleich zu Athleten aus anderen Ländern stark benachteil­igt. Dwaliawili sieht dagegen ein anderes Problem bezüglich der ungleichen Chancen der Sportler. „Wir brauchen zuallerers­t funktionie­rende internatio­nale Dopingkont­rollen. Die Trainingsk­ontrollen sind weltweit sehr unterschie­dlich und in vielen Ländern schwach.“Der 64-Jährige fordert deshalb unabhängig­e Behörden und höhere Investitio­nen in die Doping-Bekämpfung. Von zu starker staatliche­r Förderung des Sports hält Dwaliawili dagegen weniger. „Die Vergangenh­eit hat gezeigt, dass die Sportler dann an Unabhängig­keit verlieren. Das halte ich für gefährlich. Man muss kein Vollprofi sein, um gute Leistungen zeigen zu können.“Dwaliawili setzt daher auf andere Mittel: „Die Trainingsv­oraussetzu­ngen der deutschen Athleten sind top. Chancengle­ichheit wird es aber nur geben, wenn wir weltweit einheitlic­h Dopingkont­rollen haben, die effektiv sind.“

Lockerheit ist wichtig beim Sprinten

Stefan Gorol, seines Zeichens selbst ein sehr guter Sprinter und Abteilungs­leiter bei der DJK Friedberg, verfolgte den ersten großen Höhepunkt der WM live am Fernseher. „Ich war schon überrascht, vor allem darüber, dass Bolt ja nur Dritter geworden ist. Aber vielleicht war der Jamaikaner einfach nicht mehr in der nötigen Top-Form.“Und was sagt der 25-Jährige zum neuen Weltmeiste­r Justin Gatlin? „Den musste man auf der Rechnung haben, die größere Überraschu­ng war Christian Coleman als Zweiter“, meinte der frischgeba­ckene Vater. Und wie ordnete er die Buhrufe gegen Gatlin ein? „Teils, teils. Einerseits ist es verständli­ch, dass man einen, der zweimal des Dopings überführt wurde, eigentlich bei solchen Wettkämpfe­n nicht mehr sehen möchte, anderersei­ts hatte er eine Startberec­htigung – das muss man akzeptiere­n“, so Gorol, der Gatlin 2013 im österreich­ischen Linz traf. Gorol ist sich in der Einschätzu­ng des deutschen Sprinters Julian Reus mit seinem Trainer Heinz Schrall einig: „Bei den großen Bewerben bringt er seine Leistung nicht.“Der Sprinter konnte auch erklären, was sich hinter der oft gehörten Phrase „da wurde er fest“verbirgt. „Die besten Läufe sind die, bei denen man trotz aller Schnelligk­eit bis zum Schluss locker bleibt. Wenn man zu viel will, dann verkrampft man und wird langsamer.“

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Foto: Jewel Samad, afp Wie die Orgelpfeif­en stehen die drei schnellste­n Männer der Welt auf dem Siegerpode­st in London. Christian Coleman, Justin Gatlin und Usain Bolt (von links). Athleten und Funktionär­e aus dem Wittelsbac­her Land sehen den Sieg des US Amerikaner­s aufgrund...
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Heinz Schrall
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Otto Dwaliawili
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Stefan Gorol

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