Sprint Weltmeister kommt nicht gut an
Für Athleten und Funktionäre aus dem Wittelsbacher Land kommt Usain Bolts Niederlage über die 100 Meter überraschend. Sieger Justin Gatlin wird dabei sehr kritisch betrachtet. Dennoch gibt es einiges in London, was aus nationaler Sicht Anlass zur Freude g
„Irgendwann musste es so kommen“– das war der Kommentar von Heinz Schrall, dem Vorsitzenden des schwäbischen Leichtathletikverbandes nach dem ersten Paukenschlag der Weltmeisterschaft in London. Dort hatte sich der Größte mit einer Bronzemedaille verabschiedet: Beim 100-MeterFinale bestritt Usain Bolt aus Jamaika sein letztes Einzelrennen und landete dabei „nur“auf dem dritten Platz.
„Irgendwann war er mal fällig, das ist halt so in der Leichtathletik“, meinte Schrall, der das historische Finale aufgrund privater Verpflichtungen nicht live verfolgen konnte, sondern es aufzeichnete und am Tag danach ansah. Der 68 Jahre alte Leichtathletik-Funktionär fand aber auch gleich sehr kritische Worte: „Es hat mir gar nicht gefallen, dass Justin Gatlin das Rennen gewonnen hat, und ich kann verstehen, dass das Publikum in London nicht begeistert war und den Sieger ausbuhte.“Laut Schrall hätte der US-Sprinter, der zweimal des Dopings überführt worden war, dort nichts mehr zu suchen gehabt. „Da bekommt er nach einem Dopingvergehen eine zweite Chance, und dann nutzt er auch die nicht. Eigentlich sollte so jemand nicht mehr starten dürfen.“Vom Abschneiden des deutschen Sprinters Julian Reus, für den bereits im Vorlauf das Aus kam, war Schrall nicht überrascht. „Ehrlich gesagt, ich habe nicht mehr erwartet, ich hätte ihm maximal die Zwischenrunde zugetraut. National läuft er oft gute Zeiten, doch immer wenn es international drauf ankommt, dann kriegt er das Nervenflattern“, so der Vorsitzende der DJK Friedberg.
Dagegen freute sich Schrall sehr über die Leistungen der deutschen Athletinnen wie beispielsweise der Sprinterin Gina Lückenkemper, die in 10,95 über die 100 Meter unter elf Sekunden blieb. Auch von Siebenkämpferin Carolin Schäfer, die nach Tag eins an der Spitze lag und schließlich Silber holte, oder der 1500-Meter-Läuferin Hanna Klein, die das Finale erreichte, war Schrall sehr angetan.
Auch Otto Dwaliawili, Trainer bei der LG Aichach-Rehling, war von der Leistung der 21-Jährigen sehr angetan. Ebenso hat den früheren Mehrkämpfer Carolin Schäfer beeindruckt. Die Siebenkämpferin holte die Silbermedaille. „Das war der absolute Knaller. Ich wusste, dass eine solche Leistung möglich ist, und freue mich darüber.“Überhaupt interessiert sich der 64-Jährige besonders für den Mehrkampf: „Das ist die Königsdisziplin. Der Druck ist viel größer, weil man weniger Versuche hat und eine schlechte Disziplin die gesamte Leistung ruinieren kann. Man muss das Risiko abwägen. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, mehr als in allen anderen Disziplinen. Der Leiter der Leichtathletikabteilung des TSV Aichach interessiert sich aber für alle Wettbewerbe. Auch bei den Läufern schaut er ganz genau hin, immerhin coacht der erfahrene Übungsleiter in Aichach viele junge Läufer. Den Hype um das 100-Meter-Finale der Männer versteht er aber trotzdem nicht. „Diese ganze Show und dieses Gehabe. Für mich sind die meisten einfach nur Kasperle.“Dass mit Justin Gatlin nun auch noch ein ehemaliger Dopingsünder gewann, findet Dwaliawili doppelt schlecht: „Man kann einmal einen Fehler machen, aber das geht gar nicht. Er hat dort nichts mehr verloren und es ist eine Katastrophe für die Leichtathletik, dass er gewonnen hat.“Dennoch hat ihn die Leistung des neuen Weltmeisters überrascht. „Er ist schon 35 Jahre alt. In diesem Alter ist es nahezu unmöglich, mit den Jüngeren mitzuhalten.“Deshalb glaubt Dwaliawili auch nicht an einen sauberen Wettkampf: „Er hat vermutlich auch dieses Mal etwas Verbotenes eingenommen. Nur kann man ihm das nicht nachweisen.“
Gewundert hat sich der Leichtathletiktrainer aus Augsburg, der seit 40 Jahren Talente coacht, über die Kritik von Hürdenläufer Matthias Bühler. Dieser hatte sich öffentlich über mangelnde Unterstützung durch den deutschen Verband beschwert und fühlte sich im Vergleich zu Athleten aus anderen Ländern stark benachteiligt. Dwaliawili sieht dagegen ein anderes Problem bezüglich der ungleichen Chancen der Sportler. „Wir brauchen zuallererst funktionierende internationale Dopingkontrollen. Die Trainingskontrollen sind weltweit sehr unterschiedlich und in vielen Ländern schwach.“Der 64-Jährige fordert deshalb unabhängige Behörden und höhere Investitionen in die Doping-Bekämpfung. Von zu starker staatlicher Förderung des Sports hält Dwaliawili dagegen weniger. „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Sportler dann an Unabhängigkeit verlieren. Das halte ich für gefährlich. Man muss kein Vollprofi sein, um gute Leistungen zeigen zu können.“Dwaliawili setzt daher auf andere Mittel: „Die Trainingsvoraussetzungen der deutschen Athleten sind top. Chancengleichheit wird es aber nur geben, wenn wir weltweit einheitlich Dopingkontrollen haben, die effektiv sind.“
Lockerheit ist wichtig beim Sprinten
Stefan Gorol, seines Zeichens selbst ein sehr guter Sprinter und Abteilungsleiter bei der DJK Friedberg, verfolgte den ersten großen Höhepunkt der WM live am Fernseher. „Ich war schon überrascht, vor allem darüber, dass Bolt ja nur Dritter geworden ist. Aber vielleicht war der Jamaikaner einfach nicht mehr in der nötigen Top-Form.“Und was sagt der 25-Jährige zum neuen Weltmeister Justin Gatlin? „Den musste man auf der Rechnung haben, die größere Überraschung war Christian Coleman als Zweiter“, meinte der frischgebackene Vater. Und wie ordnete er die Buhrufe gegen Gatlin ein? „Teils, teils. Einerseits ist es verständlich, dass man einen, der zweimal des Dopings überführt wurde, eigentlich bei solchen Wettkämpfen nicht mehr sehen möchte, andererseits hatte er eine Startberechtigung – das muss man akzeptieren“, so Gorol, der Gatlin 2013 im österreichischen Linz traf. Gorol ist sich in der Einschätzung des deutschen Sprinters Julian Reus mit seinem Trainer Heinz Schrall einig: „Bei den großen Bewerben bringt er seine Leistung nicht.“Der Sprinter konnte auch erklären, was sich hinter der oft gehörten Phrase „da wurde er fest“verbirgt. „Die besten Läufe sind die, bei denen man trotz aller Schnelligkeit bis zum Schluss locker bleibt. Wenn man zu viel will, dann verkrampft man und wird langsamer.“