Verfassungsrichter zweifeln an Draghis Geldpolitik
Karlsruhe ruft im Streit mit der EZB den Europa-Gerichtshof an. Es geht um den milliardenschweren Ankauf von Staatsanleihen
Karlsruhe Die Politik des lockeren Geldes, mit der die Europäische Zentralbank (EZB) unter ihrem Chef Mario Draghi Euro-Schuldenländer stützt, stimmt das Bundesverfassungsgericht besorgt. Die Richter fragen sich, ob die Währungshüter mit dem milliardenschweren Ankauf von Staatsanleihen zu weit gegangen sind. Deshalb legen die deutschen Juristen das Thema dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vor. Das geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss des Karlsruher Gerichts hervor (Az: 2 BvR 859/15).
Hintergrund: Die deutschen Sparer spüren die Nullzinspolitik der EZB ganz unmittelbar: Sie bekommen kaum Zinsen für ihr Geld. Doch mit dieser Facette der Politik der Europäischen Zentralbank beschäftigen sich die deutschen Verfassungsrichter nicht direkt. Sie haben vielmehr Zweifel, ob das Anleihen-Kaufprogramm noch durch das Mandat der Notenbank gedeckt ist.
Die EZB kauft seit 2015 Anleihen von Euroländern im Umfang von zuletzt monatlich 60 Milliarden Euro auf. Allein bis Mai kamen so knapp 1,9 Billionen Euro zusammen. Die Währungshüter haben diesen radikalen Weg eingeschlagen, weil sie Angst vor einer Deflation – also dauerhaft rückläufigen Preisen – haben. Dies würde die wirtschaftliche Entwicklung hemmen. Denn wenn Verbraucher glauben, dass Waren wie etwa Fernseher immer noch billiger werden, kaufen sie erst mal nichts. Daraus kann sich eine Deflationsspirale entwickeln: Unternehmen verdienen weniger und bauen Jobs ab. Um das zu verhindern, überschwemmt die EZB etwa mit Anleihenkäufen den Markt. Damit hat Draghi die Lage stabilisiert, räumen selbst Kritiker ein. Dennoch gibt es große Bedenken gegen seinen Kurs.
Kritiker wie der CSU-Mann Peter Gauweiler meinen, die EZB gehe viel zu weit. Das Anleihen-Kaufprogramm laufe auf eine Haushaltsfinanzierung für die hoch verschuldeten Eurostaaten wie Griechenland hinaus. Zudem würden Länder wie Deutschland mit in die Finanzverantwortung für die Schulden dieser Staaten gezogen. So sagte Gauweiler gestern zum Beschluss des Verfassungsgerichts: „Für uns als Kläger ist das ein Riesenerfolg.“Kritiker wie er glauben, dass sich das Vorgehen der EZB von der Geld- zur Wirtschaftspolitik verlagert. Für letztere ist die Zentralbank aber nach Einschätzung gerade deutscher Juristen nicht zuständig.
Was interessant ist: Das Verfassungsgericht nimmt nun all diese Sorgen ernst und spielt den Ball dem EuGH zu. Die deutschen Juristen haben hierfür ein beschleunigtes Verfahren beantragt. Die Karlsruher Richter setzen ihre Kollegen vom Europäischen Gerichtshof also unter Druck. Doch ein Urteil des EuGH kann wohl dennoch erst im kommenden Frühjahr ergehen. Das Anleihen-Kaufprogramm, dessen Risiken auch die nationalen Notenbanken tragen, soll noch bis mindestens Ende 2017 laufen – und sich auf 2,28 Billionen Euro summieren.