Neonazi? Nein! Nur ein Nazi T Shirt Sammler
Was vor zwei Jahren mit einer spektakulären Razzia in Affing wegen des Verdachts für einen Schusswaffendeal in der rechtsextremen Szene beginnt, endet mit Geldstrafe vor dem Amtsgericht: Es gibt viele Hinweise, aber keine Beweise
Aichach/Affing Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, da schreckt eine Razzia Affing auf. Es geht um Schusswaffen, die rechtsextreme Szene, sogar um Querverbindungen zu Beschuldigten im aktuellen NSU-Verfahren. Das wird derzeit in München verhandelt. Die terroristische Vereinigung soll zehn Menschen (eine Polizistin und Migranten) ermordet haben. Ein großes Polizeiaufgebot mit Spürhund durchkämmt in der Lechraingemeinde ein landwirtschaftliches Anwesen und eine Wohnung. Was so spektakulär beginnt, endet gestern mit einer Geldstrafe für den zunächst Hauptverdächtigen vor dem Amtsgericht in Aichach.
Die Beamten suchen im Sommer 2015 nach Schusswaffen. Sie finden auch eine halb automatische Pistole geladen im Schrank, aber nicht bei dem, bei dem sie vermutet wird. Dazu Schlagringe und Neo- nazi-Devotionalien wie T-Shirts mit dem Aufdruck der verbotenen internationalen „Blood & Honour“-Bewegung. Die Ermittlungen und die Funde münden in mehrere Verfahren für eine Familie – alle vor dem Amtsgericht in Aichach. Zunächst wird eine Tochter zu Arrest und Geldstrafe verurteilt: Auf dem Nachtkästchen in ihrem Zimmer liegt ein Schlagring, und über dem Bett hängt die Reichskriegsflagge. Vor einem Jahr erhalten Vater und Sohn Bewährungsstrafen von zehn und acht Monaten wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Der Vater räumt ein, dass er die Waffe gekauft habe, um sich vor Einbrechern zu schützen. Gestern steht nun mit dem Schwiegersohn der Mann vor Gericht, der die Razzia vor zwei Jahren erst ausgelöst hat. Angeordnet wurde die Durchsuchung von der Staatsanwaltschaft Kassel. Die hatte einen Hinweis auf einen Waffendeal bekommen. Der Verdacht: Der Mann, der zumindest damals als aktiver Neonazi galt und in rechtsextremen Bands spielte, soll bei einem Freund in der hessischen Stadt nach Waffen gefragt haben. Der soll ihm dann zwei Pistolen zum Kauf angeboten haben. Doch dafür findet die Polizei bei der Durchsuchung und später bei der Untersuchung von Handy und Computer keine Beweise. Die Staatsanwaltschaft Kassel stellt die Verfahren gegen die beiden jungen Männer wieder ein.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg macht aber weiter. Beim Verfahren gegen Vater und Sohn sagt ein Kripobeamter aus, dass er überzeugt sei, dass der Vater die im Anwesen gefundene halb automatische Pistole samt Munition vom damaligen Freund der Tochter und heutigen Schwiegersohn erhalten habe. Eine DNA-Analyse scheidet aus. Die Waffe sei von Hand zu Hand gegangen, so die Aussage der Familienmitglieder damals. Es gab Hinweise, aber keine Nachweise. Ähnlich läuft es gestern. Im Amtsgericht ist wieder nahezu die gesamte Familie versammelt – einer auf der Anklagebank und drei im Zeugenstand.
Von der Anklageschrift, die Staatsanwalt Benjamin Rüdiger vorträgt, bleibt am Ende nach einem fast dreistündigen Prozess nicht viel übrig – außer dem Besitz von fünf Schlagringen und einem Wurfstern. Die wurden bei ihm in der Wohnung gefunden. Aber auch die gehörten nicht ihm, beteuert der Handwerker. Die habe ein ihm nahestehender Angehöriger, der regelmäßig bei ihm übernachtete, deponiert – übrigens in einer Schublade wie dessen Unterhosen. Dass die Anklage ihre weiteren Punkte (Verkauf, Herstellung und Tragen von Neonazi-Emblemen auf T-Shirts und Pullis) nicht nachweisen kann, liegt vor allem am Hauptbelastungszeugen. Der Aussteiger aus der rechten Szene verwickelt sich bei der Befragung in Widersprüche. Frau, Schwägerin und guter Bekannter sind sich dagegen einig: Nein, beim Besuch einer Gaststätte im Augsburger Univiertel habe der Angeklagte kein schwarzes T-Shirt mit „Blood & Honour“-Aufdruck getragen. Sondern? „Grün“, sagen alle, „tausendprozentig“, beteuert die Schwägerin. Die elf in seinem Kleiderschrank gefundenen „Blood & Honours“seien alles Sammlerstücke aus seiner Zeit als Musiker, versichert der Angeklagte. Und die Bestellung von rund 600 unbedruckten T-Shirts, plus gefundene Schablonen mit Nazis-Sprüchen?, will Richter Walter Hell wissen. Mit den Shirts habe er Freunde in der Schweiz versorgt, die kosteten dort ein Vielfaches. Staatsanwalt Rüdiger glaubt trotzdem seinem Zeugen und vermutet Absprachen bei den Zeuauch gen der Verteidigung. Er plädiert auf eineinhalb Jahre Haft – ohne Bewährung.
Der Angeklagte hat einen Anwalt dabei, der immer wieder Neonazis und Vertreter rechter Parteien vor Gericht vertritt. Klaus Kunze ist daneben als Strafverteidiger in spektakulären Modprozessen wie gegen die „Schwarze Witwe“überregional bekannt geworden. Auch in den beiden anderen Verfahren gegen die Familie waren mit Steffen Hammer und Frank Misch übrigens zwei Juristen engagiert, die regelmäßig Mandanten in der Naziszene vertreten. Kunze fordert Freispruch. Die Anklage löse sich in Wohlgefallen auf. Der Hauptbelastungszeuge habe Unsinn geredet. Sein Mandant habe die T-Shirts gehortet wie ein Briefmarkensammler, der auf der Suche nach der „Blauen Mauritius“sei, und sammeln sei nicht verboten.
Richter Hell reichen die vorgelegten Beweise nur zur Verurteilung für den Besitz von Schlagringen und Wurfstern: 4800 Euro Geldstrafe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der Verurteilte wirkt aber zufrieden. Sein letztes Wort: „Ja, ich bin 20 Jahre in der Szene rumgesprungen.“Aber jetzt eben nicht mehr, und das ganz ohne Aussteigerprogramm.