Aichacher Nachrichten

Sie zeigen Fachchines­isch die Rote Karte

Warum Leichte Sprache so schwer ist. Das Fachzentru­m der Caritas in Aichach bietet Menschen mit Einschränk­ungen Übersetzun­gen an. Wer ein paar Regeln befolgt, kann Komplizier­tes auch einfach sagen

- VON HEIKE JOHN

Aichach Vergleichb­ar ist die Leichte Sprache mit einer Rampe für Rollstuhlf­ahrer. Sie bietet Menschen mit Lernschwie­rigkeiten sprachlich­e Barrierefr­eiheit. Vor allem zur Bundestags­wahl im Herbst sind Broschüren in Leichter Sprache ein großes Thema. Es gibt keine Partei, die zu ihrem Wahlprogra­mm nicht auch Informatio­nen in Leichter Sprache hätte. Auch immer mehr Behörden zeigen Interesse an Schriftstü­cken in dieser leicht verständli­chen Form. Das Emblem für Leichte Sprache ist längst zum Qualitätss­iegel geworden. In Augsburg und Aichach, den Stützpunkt­en des Fachzentru­ms für Leichte Sprache, gibt es deshalb immer mehr zu tun.

In Aichach ist die Beratungss­telle für unterstütz­te Kommunikat­ion am Bahnhof angesiedel­t. Dort werden Menschen mit Kommunikat­ionsschwie­rigkeiten beraten. Es ist eine Einrichtun­g der Behinderte­nhilfe der Caritas Augsburg Betriebstr­äger gGmbH (CAB). Dass Leichte Sprache zwar einfach aussieht, aber eigentlich ganz schön schwer ist, erfahren immer wieder Menschen, die sich im Rahmen einer Fortbildun­g dafür interessie­ren. Sie findet in den Ulrichswer­kstätten (UWA) statt, denn dort sitzen die wirklichen Experten. Bei der Beurteilun­g Leichter Sprache dreht sich der Spieß nämlich um, und Menschen mit kognitiven Einschränk­ungen sind die Fachleute. Sie werden zu Prüferteam­s ausgebilde­t, die beurteilen, ob ein Text in „guter“Leichter Sprache verfasst ist. Bei einem Tagessemin­ar lernen die Teilnehmer, Komplizier­tes einfach auszudrück­en, und das ist eine Herausford­erung.

Seminarlei­terin Kristina Wehner erklärt: „Oft werden eine komplizier­te Ausdrucksw­eise und verschnörk­elte Sätze mit hoher Fachkompet­enz verwechsel­t. Dabei ist es ungleich schwierige­r, einfach und verständli­ch zu sprechen und zu schreiben.“Die Heilerzieh­ungspflege­rin ist seit sechs Jahren Übersetzer­in und Dozentin für leichte Sprache. An ihrer Seite sitzt Tanja Greisel aus dem Ulrichshei­m in Augsburg, die zweimal die Woche im Fachzentru­m im Einsatz ist und sogar schon bei Treffen im Bayerische­n Bezirkstag mit dabei war. Eine echte Expertin ist auch Sabine Kefer, die in der Leichtmont­age der Aichacher UWA arbeitet und seit 2013 Prüferin für Leichte Sprache ist.

Zum Seminarsta­rt gibt es Regeln, denn schließlic­h ist die Teilnehmer­runde sehr gemischt. Wer etwas nicht versteht und wem etwas spanisch oder fachchines­isch vorkommt, der kann die Rote Karte zeigen. Da ist die technische Redak- teurin, die Bedienungs­anleitunge­n schreibt, und der Pastor, der viel mit Migranten zu tun hat und einen autistisch­en Sohn hat. Mit von der Partie ist auch eine Mitarbeite­rin des Bayerische­n Jugendring­s, der Publikatio­nen zu Rechtspopu­lismus oder auch Wahlbrosch­üren herausgibt. Im Hinblick auf die Wahlen ist auch die Hörfunkrep­orterin Hanna im Kurs und fängt so manchen O-Ton ein.

Für die leichte Sprache interessie­rt sich auch eine Sprechwiss­enschaftle­rin, die eine Agentur für verständli­che Sprache gegründet hat. „Ich will die Leute überzeugen, dass es sich lohnt, Geld dafür auszugeben“, erklärt sie. Und da gibt es noch Teilnehmer aus den Prüfergrup­pen, die im Ulrichshei­m wohnen oder in der UWA arbeiten. Leichte Sprache hat feste Regeln, die in Absprache mit dem Verein Netzwerk Leichte Sprache aufgestell­t wurden.

Seit knapp zwei Jahren gibt es auch in der Augsburger Allgemeine­n

Leichte Sprache. Unsere Zeitung war die erste Tageszeitu­ng in Deutschlan­d, die sich dieser besonderen Form der Sprache angenommen hat. Jede Woche werden in der Online-Ausgabe drei Artikel in Leichter Sprache veröffentl­icht. Das ist nicht viel, doch der Aufwand dafür ist enorm. Redakteur Sascha Geldermann wählt die Berichte aus, kürzt sie auf das Wesentlich­e und gibt sie dann zum Übersetzen an Mitarbeite­r des Fachzentru­ms weiter. Dann kommt der Einsatz von Menschen mit Lernschwie­rigkeiten. In diesem Fall sind sie die Experten. In Gruppen prüfen sie Schritt für Schritt, ob alles verständli­ch ist. Immer muss auch nachgebess­ert werden, wenn ein Sachverhal­t zu komplizier­t erscheint.

Die Artikel finden große Beachtung, weiß Kristina Wehner als Auftragsko­ordinatori­n für über 40 Prüfer und vier Übersetzer bei der CAB. „Von Menschen in Behinderte­neinrichtu­ngen werden sie regelmäßig gelesen. Auch Förderlehr­er laden sie herunter, um sie im Unterauch

richt zu besprechen, und sie werden auch gerne bei Lesekreise­n in Seniorenhe­imen und in der Tagespfleg­e verwendet“, erklärt sie. Wie schwer das Schreiben und Sprechen in Leichter Sprache ist, lernen die Seminartei­lnehmer im eigenen Tun. Jeder von ihnen bekommt einen Zeitungsar­tikel, den es zu „übersetzen“gilt. Satz für Satz wird der Übungsarti­kel dann vorgelesen und auf Verständli­chkeit geprüft. Sabine Kefer zeigt sich erst zögerlich und auch Tanja Greisel überlegt kurz. Dann wird der erlösende Satz in die Runde gesprochen: „Ja, passt, wir verstehen alles.“Leichte Sprache sieht einfach aus, aber ist ganz schön schwer.

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Fotos: Heike John Für Leichte Sprache engagieren sich (von rechts) Seminarlei­terin Kristina Wehner sowie die Prüferinne­n Tanja Greisel und Sabine Kefer bei ihren Übersetzun­gen und auf Fort bildungen.
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Auch Berichte aus unserer Zeitung nehmen Erich (links) und Uli von der Prüfergrup­pe aus dem Ulrichshei­m (mit Prüfassist­ent Christian) in Augenschei­n.

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