Krise? Welche Krise?
Diesel-Skandal, Abgasbetrug, drohende Fahrverbote: Davon wollen die Hersteller auf der Automesse IAA in Frankfurt nicht viel wissen. Stattdessen feiern sich die deutschen Autobauer lieber selbst – und das, was sie für die Zukunft halten
Frankfurt am Main
BMW-Chef Harald Krüger hat es sich auf der Bühne in einem Sessel bequem gemacht. Eine untypische und wenig dynamische Pose, wenn man Autoneuheiten vorstellen will. Erinnerungen kommen hoch. Vor zwei Jahren brach Krüger auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main während seiner Präsentation zusammen, ein Schwächeanfall. Doch der Schein trügt, dem 51-Jährigen geht es diesmal nicht um Schonung, im Gegenteil. Bevor die neuen BMW-Modelle zur Weltpremiere ins Scheinwerferlicht rollen, wird geredet, gut zehn Minuten. Neben Krüger sitzt Politikjournalist Hajo Schumacher, der, wie er beteuert, nun alle Fragen stellen dürfe, die ihm lieb seien. Und Fragen an die Bosse der in Verruf geratenen Autoindustrie gibt es derzeit genug. Die Münchner wollen punkten – und treten die Flucht nach vorn an.
Das Reizthema Diesel pariert Krüger souverän: „Wir haben unsere Fahrzeuge nicht manipuliert.“Anders als etwa die Mitbewerber Volkswagen oder Daimler, klingt da natürlich mit. Ein einfacher Punkt für BMW. Denn der Fragesteller ist zwar launig und unterhaltsam, aber ihm fehlt wohl das technische Verständnis, um zu Abschalteinrichtungen oder Stickstoffausstoß tiefer zu bohren. Er habe kein „Benzin im Blut“und fahre einen 22 Jahre alten Kombi, bemerkt Schumacher entschuldigend.
Immerhin verkommt der Dialog nicht gänzlich zum Schattenboxen. Ob das gemeinsame Kartell mit dem VW-Konzern und Daimler gut für den Aktienkurs von BMW gewesen sei, will Schumacher wissen. „Diese Geschichte geht spät in die neunziger Jahre zurück“, hat sich Krüger als Antwort zurechtgelegt. Was lange her ist, kann schon nicht so schlimm sein, so die Logik. „Absprachen über die Standardisierung beispielsweise von Elektrosteckern sind auch im Interesse der Kunden“, sagt der BMW-Chef, so als seien geheime Preisabsprachen nie ein Thema gewesen.
Irgendwann erstickt das kraftvolle Röhren von Motoren das Gespräch. Doch auf der Bühne stehen nach der effektvollen Präsentation keine hochgerüsteten Benziner oder gar Diesel, sondern geräuscharme Elektrofahrzeuge: zum Beispiel ein rein batteriebetriebener Mini Electric Concept, der 2019 auf den Markt kommen soll, oder der BMW i Vision Dynamics, eine Elektrolimousine mit 600 Kilometern Reichweite und einer Höchstgeschwindigkeit von 200 Stundenkilometern. „Damit ist die E-Mobilität im Kern unserer Marke angekommen“, sagt BMWTechnikvorstand Klaus Fröhlich. „Wir greifen an.“
Ähnliche Worte fallen am ersten Pressetag der IAA auch bei den anderen deutschen Herstellern. Der erklärte Gegner, an den sich die Kampfansagen richten, ist der Elektropionier Tesla. Ausgerechnet die Kalifornier sind nicht unter den 50 Automarken und insgesamt rund 1000 Ausstellern, die sich bis 24. September in Frankfurt präsentieren. Allerdings ist das nicht ungewöhnlich, da Tesla schon in der Vergangenheit den großen Auftritt auf Messen gemieden hat.
Schon vor Beginn hatte Matthias Wissmann, der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, befunden, die IAA komme genau zum richtigen Zeitpunkt. Schließlich gehe es darum, die Branche wieder in ein gutes Licht zu rücken. Seit vor zwei Jahren die Nachricht vom millionenfachen Abgasbetrug bei Volkswagen in die IAA platzte, seit in der Folge immer mehr Manipulationen offenkundig wurden, sind die Autobauer in Verruf geraten. Das in die Qualität und den Wert der Technik „made in Germany“ist verloren gegangen. Politiker, Aktionäre und Autofahrer müssen sich fragen: Kann, wer heute betrügt, um Stickstoff-Grenzwerte einzuhalten, die Lösungen für die Mobilität der Zukunft liefern? Die gesunkene Zahl der Diesel-Neuzulassungen macht die Skepsis greifbar. Nie mussten sich die deutschen Autobosse mehr Argwohn und mehr kritische Fragen gefallen lassen. Eine Wirtschaftszeitung bezeichne- te die diesjährige IAA trotz ihres Mottos „Zukunft erleben“lakonisch als „Messe des Misstrauens“. Und doch soll der Branchentreff nun zur rechten Zeit kommen?
VW-Chef Matthias Müller jedenfalls nutzt die IAA, um eine ElektroOffensive zu verkünden: 20 Milliarden Euro will der Konzern bis 2030 in die Entwicklung neuer E-Autos investieren, 50 Milliarden Euro gar in die Produktion von Batterien. Für die Automarken des Konzerns bedeute das: mehr als 80 neue MoVertrauen delle mit E-Motor, darunter etwa 50 ausschließlich batteriegetriebene Fahrzeuge und 30 Plug-in-Hybride bis 2025. Bei so vielen Projekten wird die Zeit zwangsläufig knapp, um über Verfehlungen der Vergangenheit zu sinnieren.
Wie die elektrische Zukunft bei Volkswagen aussehen könnte, zeigen die Wolfsburger mit drei Fahrzeugen, die in drei Jahren auf den Markt kommen sollen. I.D. heißt das Äquivalent zum Golf, deutlich stromlinienförmiger, mit einer Reichweite von 600 Kilometern. Von 2025 an, so die Vision, könnte das vollelektrische Auto in einem speziellen Modus auch selbstfahrend unterwegs sein – künftig weniger eine technische als eine rechtliche Frage. „Es wird deutlich weniger Autounfälle geben“, prophezeit VW-Markenvorstand Herbert Diess. „Dadurch werden das Auto bald auch Menschen nutzen können, die heute zu jung oder zu alt sind.“
Dass Zukunftsvisionen offenbar nicht ohne eine gehörige Portion Kitsch auskommen, lässt sich eindrucksvoll am I.D. Buzz beobachten. Die elektrische Variante des VW-Bullis wirkt mit ihrer runden, glatten Form und dem quietschigen Gelb, als wäre sie der TeletubbyWelt entsprungen. Spielzeugpreise sind wohl nicht zu erwarten. Doch wie teuer der I.D. und der I.D. Buzz sein werden, ist noch nicht bekannt. Sicher ist nur, dass die konventionellen Benziner- und Dieselmodelle, die auf der VW-Ausstellungsfläche vor der Bühne stehen, im Vergleich zu den E-Autos überraschend erwachsen und seriös wirken.
Der komplett elektrische Smart, wie ihn Daimler in der restlos gefüllten Festhalle präsentiert, hat die Anmutung einer Seifenblase auf Rädern. Ein Lenkrad oder Pedale besitzt der City-Flitzer nicht. Vertriebsvorstand Britta Seeger erklärt, der E-Smart werde auf die Bedürfnisse des Car-Sharings zugeschnitten: „Zukünftig muss ich mir nicht mehr ein Car2go suchen, denn das Auto kommt zu mir.“Der Smart soll sich per Handy öffnen lassen, der Innenraum auf das angepasst sein, was dem Fahrer gefällt – etwa farblich, bei der Musik oder anderem Entertainment-Programm. Und weil das Modell voll autonom fährt, kann es auch als reines Transportmittel genutzt und mit Ladung
Es gibt viele Fragen an die in Verruf geratenen Autobosse
Schon ist die Rede von der „Messe des Misstrauens“
auf die Reise geschickt werden. Ein Roboter-Taxi quasi.
Als Benziner soll es den Smart gar nicht mehr geben. Daimler plant, die Kleinwagenmarke bis 2020 komplett auf E-Antriebe umzustellen. Darüber hinaus wollen die Stuttgarter bis dann neun weitere reine Elektromodelle produzieren. Vorstandschef Dieter Zetsche unterstreicht dennoch den Stellenwert der konventionellen Antriebe: „Es wäre ein klimapolitisches Eigentor, wenn wir eine der drei Antriebstechnologien verbieten“, sagt er.
Und so steht im Scheinwerferlicht von Daimler neben dem elektrischen Smart und der elektrischen A-Klasse EQA auch ein neuer Plugin-Hybrid namens S560 e und ein Gefährt, das nicht viel mit dem Aufbruch ins Zeitalter der Elektromobilität zu tun hat: Der MercedesAMG Project One, den Formel1-Star Lewis Hamilton auf die Bühne fährt, wird angetrieben vom baugleichen Sechszylindermotor, mit dem der Brite 2015 Weltmeister geworden ist: 1,6 Liter Hubraum, 11 000 Umdrehungen pro Minute, 350 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit, unterstützt von vier Elektromotoren, mit denen man allein nur 25 Kilometer weit kommen würde. Das Geschoss erinnert in seiner Form an die Mercedes-Rennwagen bei Langstreckenmeisterschaften. „Das erste Formel-1-Auto mit Straßenzulassung“, nennt es Zetsche. Eines, das für knapp drei Millionen Euro den Spaß am Fahren lebendig halten soll.
An die Sportwagenfreunde appelliert auch Opel bei der Vorstellung des Insignia – ein Modell, das es als Benziner und Diesel und bald als Hybrid geben soll. Ein Einspielfilm zeigt, wie Opel-Boss Michael Lohscheller auf der Nordschleife die Freude am Fahren entdeckt – symbolischerweise als Beifahrer von PSA-Konzernchef Carlos Tavares, der die Richtung vorgibt. Unter Lohschellers Vorgänger Karl-Thomas Neumann waren Überlegungen laut geworden, Opel zu einer reinen Elektromarke zu machen. Dann kam die Übernahme durch PSA Citroën, und der Diesel-Skandal erreichte Rüsselsheim. Opels Marketingvorstand Tina Müller sagt: „Diese IAA fühlt sich anders an.“Anders als VW, Daimler, BMW und Audi kommt die Marke mit dem Blitz nicht mit einer elektrischen Weltpremiere daher. Beim ElektroOpel Ampera e gibt es noch Lieferschwierigkeiten. Nicht immer beginnt die Zukunft pünktlich.