Immer teurer, aber nicht besser
In den vergangenen Jahren hat sich der Durchschnittspreis für Arzneimittel mehr als verdoppelt. Dabei haben sie oft keine neue Wirkung. Was dahintersteckt
Berlin Medikamente werden in Deutschland im Durchschnitt immer teurer. Und das, obwohl es kaum neue wirksame Mittel auf dem Markt gibt. Das geht aus einer aktuellen Untersuchung der Techniker Krankenkasse, kurz TK, hervor. In dem Report wurden 32 neue Wirkstoffe daraufhin untersucht, ob sie eine bestehende Therapie verbessern, einen Zusatznutzen für die Patienten haben und ob die Kosten im Rahmen bleiben. Das Ergebnis ist ernüchternd. Denn keines der untersuchten Medikamente konnte die Forscher voll zufriedenstellen.
Die Untersuchung zeige, dass die Pharmaindustrie zu sehr darauf bedacht sei, möglichst hohe Preise einzufordern, statt wirklich innovative Arzneimittel zu entwickeln, sagt der Vorstandsvorsitzende der TK, Jens Baas: „Die Politik sollte sich hier stärker einmischen und dem Preisgebaren ein Ende setzen.“Bereits im vergangenen Jahr verdoppelte sich der durchschnittliche Preis für neue Arzneimittel. In diesem Jahr ist der Preis für neue Medikamente pro Packung im Schnitt noch einmal von etwa 1000 Euro auf 2500 Euro gestiegen. Neu eingeführte Arzneimittel sind in der Regel deutlich teurer als gängige Medikamente aus der Apotheke. Grund sind unter anderem hohe Entwicklungskosten. Die teuerste Pille im Report, das Arzneimittel Sovaldi, kostete bei Markteinführung 700 Euro pro Stück. Die Preise werden noch weiter steigen, meint Krankenkassenchef Baas.
Auch Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen wirft der Pharmaindustrie Profittreiben vor. Er sagt: „Neue Arzneimittel kommen vor allem in Therapiegebieten auf den Markt, in denen hohe Preise verlangt werden können.“Dabei gebe es dringenden Bedarf an ganz anderer Stelle, zum Beispiel bei Antibiotika. Ein großer Teil der untersuchten Medikamente sind Arzneien zur Behandlung von seltenen Krankheiten, sogenannte OrphanArzneimittel. Weil diese Stoffe besonders gefördert werden, sei die Entwicklung für die Pharmaindustrie auch besonders lukrativ, sagt Glaeske: „Die Vermarktung von Orphan-Arzneimitteln ist unübersehbar.“Denn bei diesen Mitteln werde grundsätzlich davon ausgegangen, dass sie einen Zusatznutzen für den Patienten aufweisen. Anders als bei anderen Medikamenten müsse keine mögliche Vergleichstherapie geprüft werden.
Dabei geht aus der Untersuchung der TK hervor, dass eben dieser Zusatznutzen bei vielen neuen Orphan-Arzneien nicht erkenntlich ist. Die Preisentwicklung zeige deutlich, dass die Industrie die Regelungen zu Medikamenten bei seltenen Krankheiten dazu nutzen, „unangemessen hohe Preise zu erzielen“, sagt Glaeske. Doch auch bei neuen Medikamenten gegen weniger seltene Krankheiten steigen die Kosten demnach unangemessen. So ist ein großer Teil der neuen Arzneien teurer als ähnliche Medikamente, die bereits auf dem Markt sind.
Bei nahezu der Hälfte aller analysierten Mittel konnten die Forscher aber keinen nennenswerten Mehrwert für die Patienten feststellen. Dass dennoch immer wieder die neuen, teureren Medikamente von Ärzten verschrieben werden, hat nach Ansicht der Forscher einen einfachen Grund: „Das ist der Erfolg von Lobbyarbeit“, sagt Jens Baas.
Viele der neuen Medikamente werden seiner Meinung nach in Leitlinien und Empfehlungen aufgenommen, obwohl sie zu teuer oder noch nicht ausreichend untersucht worden sind. Denn häufig können Nebenwirkungen erst nach Jahren in der Praxis festgestellt werden. Für die Zulassung neuer Arzneien reichen jedoch wenige hundert Versuchspersonen. „Ärzte verschreiben also Medikamente, von denen sie nicht genug wissen“, sagt Baas.
In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, dass die Pharmaindustrie es immer wieder schaffe, zu teure und wenig innovative Medikamente auf den Markt zu bringen. An dieser Stelle müsse nun politisch gegengesteuert werden, damit das System zukunftsfähig bleibe. Dringend erforderlich seien systematische Marktbeobachtungen nach der Zulassung eines neuen Medikaments.