Sie zeigt „Lebens Zeichen“von Verstorbenen
Renata Baumgärtner war auf einer Palliativstation tätig. Nun kreiert sie in Friedberg ein Kunstwerk, das Geschichten erzählt
Friedberg Im Garten steht ein Tipi. Zugegeben, kein echtes Indianerzelt. Zumindest aber eine Art Rohbau. Es ist das Tipi von Renata Baumgärtner, die zusammen mit ihren Helfern ein soziales Kunstwerk ins Leben gerufen hat. Baumgärtner weiß Geschichten zu erzählen. „Seit meinem achten Lebensjahr schreibe ich“, sagt die Künstlerin. „Während andere Kinder turnten, saß ich auf der Mauer und kritzelte in mein Heft.“
Ihrem therapeutischen Wirken habe das immer gut gedient, meint sie. Im Februar 2016 aber verlor sie ihre Stelle als Kunsttherapeutin am Klinikum Augsburg. Grund dafür war ihr zufolge die Umstrukturierung des Krankenhauses zur Universitätsklinik. Sieben Jahre lang hatte sie dort mit sterbenden Menschen gearbeitet, sie palliativ begleitet. „Als ich mein geliebtes Wirkfeld verließ, umfing mich heftige Trauer“, erinnert sie sich.
Doch bald sollte die Friedberger Keramikerin wieder zur Geschichtenerzählerin werden. „Zu meinen Instrumenten und therapeutischen Materialien hatten sich zwei Körbe voll kleiner gebrannter Tonhandwerke gesellt“, berichtet Baumgärtner. Diese Werke waren das Ergebnis von „Meditation mit einer Handvoll Ton“, eine Methode, die Baumgärtner lange Zeit in Seminaren und Kursen praktiziert hatte – auch mit unheilbar Kranken auf der Palliativstation des Klinikums. Das Material hatte sie damals so aufbereitet, dass selbst schwache Menschen noch in der Lage waren, es zu formen.
„Der weiche weiße Ton in den Händen der Schwerstkranken ermöglichte, dass sie noch einmal in die Lage kamen, etwas zu bewegen“, erläutert Baumgärtner. Dieses unerwartete Tun habe ausnahmslos Glücksgefühle, ja tiefe Zufriedenheit und Ruhe ausgelöst.
Nun waren die Patienten gestorben, ihre Tongebilde aber existierten weiter. Viele davon wurden von Angehörigen nicht abgeholt. Renata Baumgärtner fühlte sich verantwortlich für die „Inn-Bilder“, wie sie diese Werke nennt. „Es hat mich berührt“, sagt sie. Und doch habe sie immer gewusst, dass es hier nicht zu Ende sein kann.
Auf einem Skulpturenpfad am Ammersee fand die Künstlerin schließlich Inspiration. „Eine Installation aus großen Schwemmhölzern brachte mich auf die Idee, einen Ort zum Verweilen für die heimatlos gewordenen Objekte zu gestalten.“Das Ergebnis: Ein Haus nach TipiArt aus geschälten Fichtenstangen und Haselruten, das heute im Garten vor ihrem Salon in der Herrgottsruhstraße steht. Hier sollen die vielen Tongebilde bald ihren Platz einnehmen. Das Kunstwerk trägt den Namen „Lebens-Zeichen“.
Helfer fand die Künstlerin bei der „Kreativen Trauer-Gruppe“vom St.-Afra-Hospiz und beim Bürgernetz Friedberg. Hinzu kamen weitere Freiwillige – so Gudrun Opladen, die gleich mehrere Motivationen hat. Einerseits möchte sie sich ihrer Nachbarin Renata Baumgärtner gegenüber kollegial zeigen. Andererseits ist die Friedbergerin der Ansicht, dass Verstorbene durch das Projekt gewürdigt werden. Dagegen ist Siegfried Neugebauer einem Aufruf in der Zeitung gefolgt: „Jetzt lerne ich eine andere Sichtweise auf das Thema kennen.“Auch das Bürgernetz legt Hand an Ton und Faden. „Bei mir hat Renata offene Türen eingerannt“, sagt Koordinatorin Jeanne Graf.
Es sei eine tolle Kooperation und dazu eine ungewöhnliche Idee, die Baumgärtner mit den „Lebens-Zeichen“kreiert hat. Zusammen treffen sich die Helfer immer dienstags, um individuelle Aufhängungen für die Tongebilde zu fertigen – mal gehäkelt, mal geflochten, mal geknüpft. „Wir wollen sie einkleiden“, so der Grundgedanke. In ihren neuen „Gewändern“werden einige Werke mit anderen kombiniert. „So treten sie in einen Dialog miteinander, sie harmonieren und korrespondieren. “Und das Kunstwerk bekommt Geschichten.
Die Werke lassen oft einen tiefen Einblick in den Zustand der Patienten zu. „Das eine ist ganz flach gedrückt, dünn wie eine Schale“, beschreibt Baumgärtner. „Erstaunlich, wie viel Gestaltungswille darin steckt“, bewundert sie. Was die Tonformen bedeuten? Nichts. „Wir analysieren nicht. Zu diesem Zeitpunkt der Krankheit sind die Werke frei von Interpretation“, bestärkt die Kunsttherapeutin. Denn hier finde sich der Sinn palliativer Begleitung: „Sie soll Schwerstkranke beschützen und ummanteln.“
Wie es der Keramikerin selbst mit der Aktion geht? „Im Moment befriedigt es mich sehr, ein Haus für die Tonwerke gefunden zu haben.“Einen Ort, wo die Dinge zu allen sprechen könnten. Bald wird das Kunstwerk vorgestellt, Renata Bäumgärtner zu ihrer Rolle als Geschichtenerzählerin zurückkehren. „Die Menschen sollen nachfragen und von den Werken erfahren“, wünscht sie sich. Dann bleibe den Betrachtern Raum für eigene Interpretationen.
Zur „Einweihung“stellt das Team um die Künstlerin Stellwände mit Fotos und Texten auf, welche die Entstehung des Kunstwerks dokumentieren. „Jeder Besucher soll selbstständig durch den Raum wandern können, um die Geschichte in Bild und Wort zu erfahren.“
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Termin Am Samstag, 23. September, um 17 Uhr wird das Kunstwerk im Gar ten des ehemaligen Kindergartens in der Herrgottsruhstraße eingeweiht.