Wie sicher kann man sich in Augsburg fühlen?
Manche Frauen trauen sich abends nicht mehr alleine durch die Stadt. Die Polizei sagt, es gebe keinen Grund zur Sorge. Dennoch vertrauen einige nicht auf Statistiken und beruhigende Worte – aus vielen Gründen
Gisela K.* joggt gerne und regelmäßig. Aber sie meidet den Siebentischwald und den Lech. Die 44-Jährige benutzt lieber ein Laufband. „Ich laufe nicht alleine durch den Wald.“Sie hat Angst, sie könnte überfallen werden. Ines F.* wurde neulich abends auf dem Heimweg in der Innenstadt von einem Mann angepöbelt. Erst als sie ihn lauthals anschrie, ließ er ab.
Das Sicherheitsempfinden und die Angst sind subjektive Gefühle. „Wir in Augsburg haben aber keine No-go-Areas, wo man zu bestimmten Uhrzeiten nicht hingehen könnte. Und der Extremfall, dass jemand aus dem Busch springt, ist ausgesprochen selten“, sagt Klaus Kratzer von der Kripo Augsburg. Natürlich könne man nie etwas ausschließen. Aber dass ein Überfall nachts oder in einer einsamen Ecke passiert, sei eher Mythos. Wie selten so etwas geschieht, zeigen die niedrigen Zahlen sogenannter „überfallartiger Vergewaltigungen“in Augsburg. Der Begriff steht für versuchte oder vollendete Vergewaltigungen, bei denen ein Täter einer Frau auflauert und sie überwältigt. Solche Fälle sind in Augsburg selten. Im ersten Halbjahr 2017 gab es zwei, in den ersten Halbjahren 2015 und 2016 je einen.
Der Strafrechtler und Kriminologe und Johannes Kaspar weiß, dass die Menschen glauben, dass Gewalt und das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, zunehmen. „Aber fragt man diese Leute nach ihrem Umfeld, stellt sich heraus, dass bei ihnen nichts dergleichen passiert ist.“Der 41-Jährige leitet den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Sanktionenrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg. Kaspar hat die Erfahrung gemacht, dass die subjektive Einschätzung der Sicherheit auf den Straßen und die Realität oft weit auseinanderklaffen. Ein Faktor seien die Medien und ihr Konsum.
„Liest man von einer Vergewaltigung oder einem Mord, wird das Risiko und der Anteil solcher Taten gerne überschätzt.“Auch bewerteten Menschen, die sich oft Krimis ansehen, die Sicherheitslage schlimmer als andere. Ob die Kriminalitätsfurcht durch den Zuzug von Flüchtlingen zugenommen hat, könne man noch nicht sicher sagen, da dies ein vergleichsweise neues Phänomen sei, das erst nach und nach erforscht werde.
Einzelne Vorkommnisse können das Sicherheitsgefühl sämtlicher Menschen beeinträchtigen, weiß Klaus Kratzer von der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle bei der Kripo Augsburg. Er und seine Kollegen bieten seit Jahren Zivilcourage-Kurse an. Darin lernen die Teilnehmer etwa, wie sie sich in einer bedrohlichen Situation helfen oder aber Mitmenschen in Gewaltlagen beistehen können. Nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln habe man sich vor Anfragen auch in Augsburger nicht mehr retten können, sagt Kratzer. „Da kam eine riesen Bedarfsstimmung auf. Wir waren bis in den Juli ausgebucht.“Köln sei für das Sicherheitsgefühl verheerend gewesen, meint auch Professor Kaspar. „Da wurde möglicherweise eine Art ,Urangst‘ vieler Realität. Nämlich, dass sich eine Gruppe fremd aussehender Männer zusam- menrottet und übergriffig wird – und der Staat das nicht unter Kontrolle hat.“Der Wissenschaftler warnt allerdings vor einer übertriebenen Angst vor Migranten.
Gewaltdelikte seien auch bei dieser potenziellen Tätergruppe die Ausnahme. Erst recht dürfe man eine Ansammlung im öffentlichen Raum nicht vorschnell als Bedrohung auffassen. „Klar, dass sich Menschen gleicher Herkunft bei uns schon aus sprachlichen Gründen zusammentun, und Kontakte zu Deutschen gibt es am Anfang ja noch kaum.“Jeder sei aufgerufen, sich aktiv an Integration zu beteiligen. „Alle Maßnahmen, die das Miteinander fördern, schaffen Vertrauen und vermeiden Angst vor dem unbekannten ,Fremden‘.“
Generell sei nichts dagegen einzuwenden, für die eigene Sicherheit vorzusorgen, meint Kaspar. Wie etwa mit Hilfe von Selbstverteidigungskursen. Die Nachfrage nach den Workshops bei der Kripo ist allerdings wieder zurückgegangen. „Leider“, sagt Klaus Kratzer. Prävention sei wichtig. Diese Meinung vertritt auch der Uni-Professor. „Untersuchungen zeigen, dass es schon mit einem selbstbewussten Auftreten zu tun hat, ob man gefährdet ist oder nicht.“Ein Täter wähle sich in der Regel jemanden aus, bei dem er den geringsten Widerstand vermute, so Kratzer.
Er rät zu einem selbstsicheren Auftreten, auch im Härtefall: „Sich der Situation stellen, laut werden, damit es die Öffentlichkeit mitbekommt, sich groß machen und die Körpersprache einsetzen, sich Verbündete suchen und direkt ansprechen, nach dem Motto ,Sie in der grünen Jacke, helfen Sie mir‘.“Mit einem solchen Verhalten könne man unter Umständen schnell einer Opfersituation entkommen. Der Polizeibeamte sieht aber keinen Grund für Hysterie, die nach seiner Erfahrung gerne in sozialen Netzwerken wie Facebook verbreitet wird.
Augsburg und München seien im Vergleich zu anderen Großstädten extrem sicher, findet Wissenschaftler Kaspar. Wenn man hier das Gefühl habe, man könne nachts nicht vor die Tür gehen, sei das übertrieben. „Da sollte man selber herausfinden, woher diese Angst kommt.“Ursachen können komplex sein. Oft steckten diffuse Ängste dahinter. Auch soziale Bindungen und die Wohnumgebung spielten eine Rolle für das Sicherheitsgefühl. „Wenn man von zerbrochenen Fensterscheiben oder Graffitis an Hauswänden umgeben ist, kann das reichen, sich unsicher zu fühlen.“Kaspar betont, dass auch Politik und Polizei dafür sorgen müssen, dass Menschen sich sicher fühlen. Ines F. jedenfalls geht seit dem Zwischenfall mit dem Mann nicht mehr furchtlos durch die Innenstadt. (* Namen geändert) »Kommentar
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Info: Die Abteilung „verhaltensorien tierte Prävention“der kriminalpolizeili chen Beratungsstelle der Kripo Augsburg bietet Zivilcourage Kurse an. Infos un ter 0821/323 3737.