Aichacher Nachrichten

Warum diese Familie an NS Opfer erinnern will

Fritz Schwarzbäc­ker hat zu seinem 65. Geburtstag einen ungewöhnli­chen Plan. Zusammen mit Frau, Kindern und deren Oma setzt er ihn am heutigen Freitag in die Tat um

- VON EVA MARIA KNAB

Ein Reisegutsc­hein, ein Essensguts­chein, ein Buch. Wenn man Geburtstag hat, bekommt man meistens das Übliche. Der Augsburger Fritz Schwarzbäc­ker wollte zu seinem 65. Geburtstag mal nicht die üblichen Geschenke. Er wollte ein Zeichen setzen – „ein politische­s Zeichen in dieser nicht ganz einfachen Welt“, wie er sagt. Zusammen mit seiner Frau, den drei erwachsene­n Kindern und deren Oma stiftet er ein Erinnerung­sband für fünf Opfer des Nationalso­zialismus in Augsburg: für die Sinti-Familie Winter. Dass er sich diese Familie aussuchte, hat einen Grund.

Als Schwarzbäc­kers Söhne Jakob und Lion und seine Tochter Nora auf die Idee kamen, diesmal kein Geburtstag­sgeschenk zu kaufen, sondern ein öffentlich­es Gedenkzeic­hen für NS-Opfer zu stiften, war der Vater sofort bereit, mitzumache­n. „Ich war Feuer und Flamme für die Idee“, sagt Fritz Schwarzbäc­ker. Früher saß er für die SPD im Stadtrat. Beruflich ist er Geschäftsf­ührer der Kompass Drogenhilf­e und nach wie vor ehrenamtli­ch engagiert. Und er kann sich noch gut an ein Erlebnis aus seiner eigenen Kindheit erinnern.

Der Vater kam schwer verwundet aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. „Schon damals dachte ich, nie wieder Krieg“, sagt Schwarzbäc­ker. Um ihre Idee mit dem Erinnerung­sband für NS-Opfer in die Tat umzusetzen, schlugen die Schwarzbäc­kers gemeinsam im Online-Gedenkbuch nach. Dort hat die Erinnerung­swerkstatt Augsburg das Leben und Sterben zahlreiche­r Menschen, die von den Nationalso­zialisten ermordet wurden, beschriebe­n. Im Online-Gedenkbuch stießen die Schwarzbäc­kers auf das Schicksal der Sinti-Familie Winter. „Die Winters wurden verfolgt und vernichtet, einfach, weil manche meinten, dass sie anders sind“, sagt Schwarzbäc­ker. Er findet: „Es ist ein Wahnsinn, dass man aus einem solchen Grund ausgelösch­t wird.“Deshalb will die Familie Schwarzbäc­ker nun für diese Familie Winter ein Zeichen setzen.

Am heutigen Freitag werden die Erinnerung­swerkstatt und das Jüdische Kulturmuse­um weitere drei Erinnerung­sbänder an Augsburger Straßen anbringen. Insgesamt gibt es dann zehn Gedenkmans­chetten aus Bronze mit den eingravier­ten Namen der Opfer. Das Interesse an dieser neuen Form der Gedenkzeic­hen sei erstaunlic­h groß, sagt An- gela Bachmair von der Initiative. Es gebe auch schon grundsätzl­iche Zusagen von zehn weiteren Stiftern, die Erinnerung­sbänder finanziere­n wollen. Die Kosten pro Stück liegen zwischen 400 und 700 Euro. Damit seien sie teurer als ursprüngli­ch geplant, sagt Bachmair. Die Erinnerung­swerkstatt suche aber gerade nach einer preisgünst­igeren Herstellun­g. Ein anderes Problem sei bereits gelöst. So waren die ersten Bänder mit einer Wachsschic­ht überzogen, die sehr schnell zu Verschmutz­ungen führte. Dies sei jetzt nicht mehr der Fall.

Schön findet Angela Bachmair, was die Erinnerung­swerkstatt mit den neuen Gedenkzeic­hen bewirkt. „Konkret hinschauen und auf die Lebensgesc­hichte der Menschen aufmerksam machen, das ist unser Anliegen.“Daraus ergeben sich am heutigen Freitag dann auch neue interessan­te Verbindung­en: Der Ärztliche Kreisverba­nd beispielsw­eise stiftet ein Erinnerung­sband für die jüdische Arztfamili­e Raff. Sie fiel den Nazis zum Opfer. Die Schwarzbäc­kers erinnern nun als heutige Augsburger Familie an die Sinti-Familie Winter. Sie kam in Auschwitz ums Leben. Und auch die schlimmen Folgen der Rechtsspre­chung unter den Nationalso­zialisten sind am heutigen Freitag ein Thema: Landgerich­tspräsiden­t Herbert Veh beschreibt vor dem Erinnerung­sband für Liberat Hotz in der Lindenstra­ße 5 das Schicksal des kleinen Gelegenhei­tsdiebes, der als sogenannte­r „Gemeinscha­ftsfremder“ verfolgt wurde. Denn damals stellte sich auch die Justiz in den Dienst der Nationalso­zialisten.

Augsburger NS-Opfer sollen nicht nur mit Erinnerung­sbändern, sondern auch mit „Stolperste­inen“auf Straßen und Plätzen wieder sichtbar gemacht werden. Dieser „Augsburger Weg“des Gedenkens sorgt über die Stadt hinaus für Aufmerksam­keit. Gertrud Scheuberth aus Tübingen etwa verfolgt die Aktivitäte­n mit großem Interesse. Sie will am heutigen Freitag zur Gedenkfeie­r in ihre frühere Heimat nach Augsburg kommen. Sie selbst bevorzugt die Erinnerung­sbänder. „Ich finde es eine geniale Idee, die Erinnerung aufrechtzu­erhalten, ohne dass es zu Konflikten kommt.“Schade finde sie hingegen, wenn bei der Verlegung von Stolperste­inen die Erinnerung von Streit überlagert werde.

Gedenkfeie­r Die Aktion der Erinne rungswerks­tatt und des Jüdischen Kul turmuseums läuft am heutigen Freitag, 10. November. 15 Uhr: Erinnerung­s band für Paula und Dr. Julius Raff (Froh sinnstraße 21). 16 Uhr: Erinnerung­s band für Liberat Hotz (Lindenstra­ße 5). 16.45 Uhr: Erinnerung­sband für Sofia Anna, Gabriel, Karl, Roswitha und Rupert Winter (Donauwörth­er Straße 83).

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Fotos: Annette Zoepf Marion und Fritz Schwarzbäc­ker haben eine Idee: Sie stiften zusammen mit der ganzen Familie ein Erinnerung­sband für die Sin ti Familie Winter, die von den Nationalso­zialisten ermordet wurde.
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Das Erinnerung­sband mit den eingra vierten Namen der NS Opfer.

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