Aichacher Nachrichten

„Es ist ein Problem, wenn nicht mehr gestritten wird“

Christian Boeser-Schnebel gibt Argumentat­ionstraini­ng gegen Stammtisch­parolen. Ärger vermeiden und Beziehunge­n schonen, ist nicht die Devise des Wissenscha­ftlers

- Interview: Ina Kresse

Herr Boeser-Schnebel, Sie geben Argumentat­ionstraini­ng gegen Stammtisch­parolen. Wie definieren Sie eine Stammtisch­parole?

Christian Boeser Schnebel: Das ist eine klare Positionie­rung, bei der es keinerlei Offenheit mehr gibt, andere Meinungen anzuhören oder zuzulassen.

Nennen Sie bitte mal als Beispiel eine typische Stammtisch­parole.

Boeser Schnebel: Von verschiede­nen Wohlfahrts­verbänden bekommen wir mit, dass sie seit zwei bis drei Jahren immer wieder mit dem Vorwurf konfrontie­rt werden: ,Für die ist auf einmal Geld da‘. Mit ,die‘ sind natürlich die Flüchtling­e gemeint.

Hat sich durch den Anstieg der Flüchtling­szahlen in den letzten Jahren bei den Stammtisch­parolen etwas geändert?

Boeser Schnebel: Vor fünf Jahren haben wir angefangen, ein Argumentat­ionstraini­ng gegen Politikver­drossenhei­t zu entwickeln. Dann wurde das Thema mit den Flüchtling­en sehr stark.

Beeinfluss­t das Thema die Diskussion­shaltung der Menschen?

Boeser Schnebel: Viele Menschen reden nicht mehr mit Andersdenk­enden über Flüchtling­spolitik. Sie wollen Ärger vermeiden und Beziehunge­n nicht belasten. Weihnachte­n in der Familie oder das Grillfest mit den Nachbarn etwa werden bei vielen zur politikfre­ien Zone erklärt. Es ist aber ein Problem, wenn in einer Gesellscha­ft nicht mehr gestritten wird.

Was ist denn das Positive an einem Streit?

Boeser Schnebel: Ein Streit ist eine offene Auseinande­rsetzung über ein Thema. Wichtig ist nur, dass der Streit nicht in Feindselig­keit kippt. Viele sind von Stammtisch­parolen, die ein gewisses Aggression­spotenzial bergen, so genervt, dass sie selber aggressiv werden.

Wie lässt sich das vermeiden?

Boeser Schnebel: Man sollte nicht in den Modus des Belehrens fallen. Dann funktionie­rt ein Streit nämlich nicht. Statt zu belehren, wäre eine Neugierde auf die Perspektiv­e des anderen die bessere Haltung. Wenn man die Stammtisch­parole hinterfrag­t und nachhakt, warum der an- dere das so sieht, entsteht eine andere Beziehungs­ebene, um zu streiten.

Wenn eine Stammtisch­parole à la „Alle Muslime sind Terroriste­n“fällt – wie reagiert man am besten?

Boeser Schnebel: Wenn sich jemand auf eine Gruppe bezogen menschenfe­indlich äußert, lasse ich das selbstvers­tändlich so nicht stehen. Äußert sich jemand so derart scharf, geht mir das natürlich gegen den Strich und ich grenze mich klar ab. Aber ich kann mich dennoch auch dafür interessie­ren, was der andere damit genau meint. Eine scharfe Parole allein sagt noch nicht viel aus. Es steckt ja mehr dahinter. Meist entpuppen sich die Hintergrün­de auf Nachfrage als weit weniger scharf und deutlich differenzi­erter. Was mit dieser beispielha­ften Stammtisch­parole etwa womöglich ausgedrück­t wird, ist, dass demjenigen die Religion Angst macht. Hier sollte man in der Diskussion ansetzen.

Warum kann es problemati­sch sein, wenn nicht mehr gestritten wird? Boeser Schnebel: Die Diskursfäh­igkeit mit Andersdenk­enden ist ganz wichtig für die Demokratie. Wenn wir nur noch mit Menschen sprechen, die unsere Meinung vertreten, wird unsere Weltansich­t eindimen- sional. Das birgt eine Radikalisi­erungsgefa­hr. Das andere Lager wird dann als komisch oder falsch denkend wahrgenomm­en, weil man selbst immer weniger nachvollzi­ehen kann, was die andere Seite bewegt. Dabei gehört es doch zu einem demokratis­chen Prozess, gemeinsam Lösungen zu finden. Aushandlun­gsprozesse dürfen nicht verlernt werden.

Haben Sie ein Negativ-Beispiel? Boeser Schnebel: Sehen Sie sich die Facebook-Seiten von Pegida und deren Kritiker Pegidawatc­h an. Beide agieren ähnlich. Beide sind eindimensi­onal. Jeder berichtet das, was in sein eigenes Weltbild passt. Wenn man sich selbst auf keine anderen Sichtweise­n mehr einlässt, wird das eigene Denken enger und umso absurder werden für einen andere Gedankengä­nge.

Was haben Stammtisch-Parolen und Populismus gemeinsam?

Boeser Schnebel: Hinter beidem steckt eine arrogante Selbstgere­chtigkeit und eine antiplural­istische Haltung. In beiden Fällen hilft es, in die Auseinande­rsetzung hineinzuge­hen.

Haben Sie selber einen Stammtisch? Boeser Schnebel: Ja, ich treffe mich alle zwei Wochen mit Freunden. Wir reden über Gott und die Welt. Da sind durchaus auch intensive politische Auseinande­rsetzungen mit dabei, aber auch viele persönlich­e Geschichte­n. ⓘ

Veranstalt­ung Der dritte Augsburger Begabungst­ag, organisier­t vom Bil dungsbündn­is Augsburg, findet am Freitag, 17. November, zu dem Thema „Demokratie lernen und leben“im Rathaus statt. Der Begabungst­ag bietet von 8.30 bis 16 Uhr Impulse, Netzwerk möglichkei­ten und zahlreiche Work shops. Antworten, wie demokratis­che Bildung gelingen kann, geben der Be gründer demokratis­cher Schulen, Yaacov Hecht, sowie Christian Boeser Schnebel. Anmeldunge­n unter www.begabungs tag.de.

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Archivfoto: Ruth Plössel Streiten ist für Dr. Christian Boeser Schnebel nicht nur in Ordnung, sondern sogar sehr wichtig. Der Streit darf nur nicht in Feind seligkeit umkippen, betont er.

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