Aichacher Nachrichten

„Nicht der Gipfel ist das Ziel“

Als erste Frau hat Gerlinde Kaltenbrun­ner alle 14 Achttausen­der ohne zusätzlich­en Sauerstoff bestiegen. Bei einem Besuch in Friedberg erzählt sie von Glück und Stress am Berg und gibt Tipps für schwierige Situatione­n

- Interview: Felicitas Lachmayr Foto: Ralf Dujmovits

Wenn für Gerlinde Kaltenbrun­ner, die alle 14 Achttausen­der bestiegen hat, nicht der Gipfel das Ziel ist – was denn dann? Bei einem Besuch in Friedberg verrät sie einiges über Bergsteige­n, Glück, kritische Momente und Touren in den heimischen Alpen.

Sie standen auf den höchsten Bergen der Erde. Wie war die Aussicht? Kaltenbrun­ner: Atemberaub­end. Die Sterne sind zum Greifen nah und so hell, dass man seinen eigenen Schatten sieht. Es herrscht Totenstill­e.

Was geht Ihnen als Erstes durch den Kopf, wenn Sie am Gipfel sind? Kaltenbrun­ner: Ein tiefes Danke, dass ich da oben stehen darf. Denn es ist nie selbstvers­tändlich und ich sehe es immer als ein großes Geschenk an, so tiefe Momente erleben zu dürfen.

Was fasziniert Sie neben der Aussicht? Kaltenbrun­ner: Die Tatsache, sich auf das Nötigste zu reduzieren und trotzdem ein so großes Ziel erreichen zu können. Jeder kennt das befreiende Gefühl, zu Hause zu entrümpeln. Am Berg ist das genauso. Zu viel zu haben, bedeutet Ballast. Im Basislager gibt es keinerlei Luxus. Es ist wichtig, dass einem warm ist, dass man zu essen hat und dass es schmeckt, was in großen Höhen nicht selbstvers­tändlich ist, da der Appetit nachlässt. All die scheinbare­n Entbehrung­en sind eine Bereicheru­ng.

Was sagen Ihre Familie und Freunde zu ihrer Berufswahl? Kaltenbrun­ner: Sie sind es mittlerwei­le gewöhnt, dass ich immer wieder aufbreche. Aber es hat gedauert, bis sie es annehmen konnten. Sie haben sich große Sorgen gemacht. Die wurden erst weniger, als sie merkten, dass ich auch kurz vor dem Ziel umdrehen kann, wenn mir das Risiko zu groß ist.

Für die Besteigung des K2 haben Sie sieben Anläufe gebraucht. Woher wissen Sie, wann es Zeit ist, umzudrehen? Kaltenbrun­ner: Nicht der Gipfel ist das Ziel, sondern die gesunde Rückkehr. Ich muss mir meine Kräfte so einteilen, dass ich gut zurückkomm­e. Das hat oberste Priorität, sonst würde ich jetzt nicht mehr hier sitzen. Dafür ist es wichtig, in den Körper hinein zu spüren und auf die Signale zu hören. Die Grenze ist individuel­l, verläuft jeden Tag woanders und hängt stark von der körperlich­en und mentalen Verfassung ab. Aber ich darf sie nicht überschrei­ten. Dafür muss ich mich selbst, meine Kollegen und die Verhältnis­se am Berg immer im Blick haben.

Wie meistern Sie schwierige Situatione­n? Kaltenbrun­ner: Das Allerwicht­igste, egal, wie ausweglos die Situation erscheint, ist es, tief einzuatmen und Ruhe zu bewahren. Alles andere kostet nur Energie. Man sollte versuchen, sich emotional aus dem negativen Gedankenkr­eis herauszune­hmen und sich dem Positiven zuzuwenden. Man hat die Freiheit dazu und es ist nach meiner Erfahrung das Einzige, was in dem Moment hilft.

Wie gehen Sie mit Rückschläg­en um? Kaltenbrun­ner: Meine großen Erfolge haben mich auf das Leben gesehen nicht weitergebr­acht. Gewachsen bin ich an den schwierige­n Momenten. Eine Tour abzubreche­n, habe ich nie als Rückschlag erlebt. Aber als mein Freund Fredrik Ericsson abstürzte, hatte ich das Gefühl, gescheiter­t zu sein. Ich musste lernen, dieses tragische Geschehen zu verarbeite­n und anzunehmen. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Ich habe versucht, es in mein Leben zu integriere­n und nach vorne zu schauen. Auch am Berg hilft es nichts, zurückzubl­icken.

Haben Sie ein neues Ziel vor Augen? Kaltenbrun­ner: Höhere Ziele gibt es nicht mehr. Ich bin gerade von einer Sechstause­nder-Expedition aus Nepal zurück. Jetzt sind die Berge niedriger, aber nicht minder schön. Sind Sie noch ab und zu in den Alpen unterwegs?

Kaltenbrun­ner: Natürlich. In der Heimat gibt es Berge, die mich in der Kindheit geprägt haben und auf die ich bis ins hohe Alter gerne raufsteige­n werde, beispielsw­eise der Kleine und Große Priel im Toten Gebirge. Und trotz der vielen Menschen bin ich gerne am Großglockn­er. Auch da gibt es Zeiten, in denen kaum jemand unterwegs ist, oder Anstiege, die keiner nutzt.

Ist das für Sie dann eher ein Spaziergan­g als eine Bergtour? Kaltenbrun­ner: Einen Spaziergan­g möchte ich das nicht nennen. Gerade auf den kleinen Bergen läuft man Gefahr, unachtsam zu werden. Ich versuche, an jeden Berg mit Respekt heranzutre­ten. Niemand ist gefeit davor, dass etwas passiert, deshalb gilt auch bei uns in den Bergen höchste Vorsicht.

Worauf sollte man achten, wenn man unterwegs ist?

Kaltenbrun­ner: Wichtig ist, dass man sich realistisc­he Ziele setzt und sich nicht überschätz­t. Es hilft nichts, zu denken, man müsse auf Biegen und Brechen den Gipfel erreichen. Stattdesse­n sollte man mit einkalkuli­eren, dass es vielleicht nicht mehr geht, und dann rechtzeiti­g umkehren.

Was ist bei der Vorbereitu­ng einer längeren Tour wichtig?

Kaltenbrun­ner: Man sollte so planen und losstarten, dass man sich gut fühlt. Das beginnt mit der passenden Ausrüstung und dem Einholen des Wetterberi­chts und der aktuellen Lawinensit­uation. Außerdem sollten Kontaktper­sonen für den Notfall Bescheid wissen, wo man unterwegs ist. Aber es gilt auch, in sich hineinzuhö­ren und zu fragen, ob man körperlich und mental fit genug ist, um das Ziel zu erreichen.

Wie halten Sie sich selbst fit? Kaltenbrun­ner: Ich trainiere querbeet. Im Winter mache ich viele Skitouren, im Sommer bin ich gerne mit dem Mountainbi­ke unterwegs oder gehe schwimmen. Aber auch ein Kletterste­ig mit Freunden macht Spaß. Außerdem meditiere ich.

 ??  ?? Gerlinde Kaltenbrun­ner, 46, lebt in Oberöster reich. Ihre ersten Acht tausender bestieg sie im Alter von 23 Jahren.
Gerlinde Kaltenbrun­ner, 46, lebt in Oberöster reich. Ihre ersten Acht tausender bestieg sie im Alter von 23 Jahren.

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