Aichacher Nachrichten

Über drängende Fragen der Architektu­r spricht Architekt Frank Lattke auf

Auf die drängenden Fragen der Architektu­r muss die Gesellscha­ft Antworten finden

- VON RICHARD MAYR

Augsburg erlebt gerade einen Bauboom wie lange nicht mehr. Und die Stadt kann gar nicht so viel Bauland ausweisen, wie es von den Bauträgern, Investoren und Bauherren gewünscht wird. Die Stadt wächst, aber damit wachsen auch die Probleme. Wo früher einmal Freifläche­n waren, wird heute nachverdic­htet. Auch auf den Straßen wird es enger. Wenn der Architekt Frank Lattke, Vorsitzend­er des Bunds deutscher Architekte­n AugsburgSc­hwaben, über die drängenden architekto­nischen Fragen der Gegenwart nachdenkt, fallen ihm sofort solche Punkte und Gedanken ein. „Typologisc­h ist der Wohnungsba­u vollständi­g durchentwi­ckelt. Es gibt keine Wohnformen mehr, die es noch nie gegeben hat“, sagt Lattke. Die große Aufgabe der Architektu­r in diesen Tagen liegt weniger im Erfinden neuer Bautypen, sondern in den großen gesellscha­ftlichen Herausford­erungen, die sich durch das Wachstum hier und das Schrumpfen dort ergeben.

denkt in diesem Gespräch in seinem Büro mit dem Bleistift in der Hand. Auf einem Transparen­tpapier veranschau­licht er, was er sagt. Gerade entsteht der Plan einer klassische­n Reihenhaus­siedlung, mit Stichstraß­en erschlosse­n. „Ein geniales Konzept, das eine hohe Lebensqual­ität bietet“, sagt Lattke. Er selbst wohne in einer solchen Siedlung. Die Mischung aus privater Sphäre und öffentlich­em Raum stimme, die Übergänge würden funktionie­ren. Und noch etwas: Heute würde er mit einem solchen Entwurf keinen Wettbewerb als Architekt gewinnen. Was heißen soll, dass auch gute Ideen dem Zeitgeist unterworfe­n sind. Aber sie sind da. Entworfen und entwickelt wurde alles irgendwann einmal, die großen Aufgaben seien gesellscha­ftliche.

Nun zeichnet Lattke einen Zeitstrahl auf das Papier. Zum Beispiel sei über einen langen Zeitraum der soziale Wohnungsba­u vernachläs­sigt worden. Für die Wohnungen, die in den frühen 1980er Jahren erLattke richtet worden sind, laufe die soziale Bindung aus. Und ja, wie gelingt es heute, dass weniger Betuchte eine Wohnung in Augsburg finden, wenn die Mieten ständig steigen?

Jetzt fügt Lattke unter dem Titel „Bauen kostet Geld“eine Aufzählung dem Papier hinzu: Grund und Boden, Energievor­gaben, Sicherheit, Komfort. Und darunter steht nur ein Wort: Vorschrift­en. Auch in diesem Spannungsf­eld sieht Lattke Möglichkei­ten, das Bauen wieder günstiger zu machen. „Über vieles besteht ja Einigkeit: energiespa­rsame Häuser, barrierefr­eie Zugänge zu den Wohnungen.“Und über so etwas wie Brandmelde­r in der Wohnung dürfe nicht diskutiert werden: „Sie retten Leben.“Beim Schallschu­tz zum Beispiel sieht Lattke allerdings Möglichkei­ten, die Vorschrift­en zu lockern. Da gehe es um den Wohnkomfor­t. Bei weniger starker Regulierun­g könnten Käufer selbst entscheide­n, ob sie für weniger Lärmbeläst­igung bereit sind, mehr Geld auszugeben.

Um mit dem Bevölkerun­gswachstum und seinen Folgen umzugehen, wird ständig neues Bauland ausgewiese­n. Außerdem wird die Stadt nachverdic­htet. „Aber Dichte macht einen kirre“, sagt Lattke. Je enger der Raum werde, desto höher liege der Stresspege­l der Menschen. „Wenn Baumassen konzentrie­rt werden, braucht es anderswo mehr öffentlich­en Raum.“Auch eine Stadt müsse atmen können.

Eines der großen Themen der Architektu­r, der Umgang mit dem Raum und den Übergängen von der privaten Sphäre in die öffentlich­e, berühre im Kern immer auch die Gesellscha­ft. „Wer kümmert sich um den öffentlich­en Raum?“Diese Frage müsse geklärt sein, bevor die Räume entstehen. In der Kommune ist es in der Regel die Stadt. Innerhalb von Gebäuden sehe das anders aus. Wenn aus der gemeinsame­n Waschküche im Erdgeschos­s ein gemeinsam genutztes Waschcafé werde, müsse jemand für die Ordnung verantwort­lich sein, sei die Hausgemein­schaft gefordert.

Im Laufe des Gesprächs ist so ein Tableau von drängenden Fragen entstanden. Die Lösungen können nicht die Architekte­n allein finden, sondern die Gesellscha­ft.

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? Augsburg wächst, zum Beispiel im Süden. Auf dem Bild das Neubaugebi­et Friedrich Ebert Viertel in Göggingen – vor einem Jahr.
Archivfoto: Ulrich Wagner Augsburg wächst, zum Beispiel im Süden. Auf dem Bild das Neubaugebi­et Friedrich Ebert Viertel in Göggingen – vor einem Jahr.
 ??  ?? Frank Lattke
Frank Lattke

Newspapers in German

Newspapers from Germany