Über drängende Fragen der Architektur spricht Architekt Frank Lattke auf
Auf die drängenden Fragen der Architektur muss die Gesellschaft Antworten finden
Augsburg erlebt gerade einen Bauboom wie lange nicht mehr. Und die Stadt kann gar nicht so viel Bauland ausweisen, wie es von den Bauträgern, Investoren und Bauherren gewünscht wird. Die Stadt wächst, aber damit wachsen auch die Probleme. Wo früher einmal Freiflächen waren, wird heute nachverdichtet. Auch auf den Straßen wird es enger. Wenn der Architekt Frank Lattke, Vorsitzender des Bunds deutscher Architekten AugsburgSchwaben, über die drängenden architektonischen Fragen der Gegenwart nachdenkt, fallen ihm sofort solche Punkte und Gedanken ein. „Typologisch ist der Wohnungsbau vollständig durchentwickelt. Es gibt keine Wohnformen mehr, die es noch nie gegeben hat“, sagt Lattke. Die große Aufgabe der Architektur in diesen Tagen liegt weniger im Erfinden neuer Bautypen, sondern in den großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die sich durch das Wachstum hier und das Schrumpfen dort ergeben.
denkt in diesem Gespräch in seinem Büro mit dem Bleistift in der Hand. Auf einem Transparentpapier veranschaulicht er, was er sagt. Gerade entsteht der Plan einer klassischen Reihenhaussiedlung, mit Stichstraßen erschlossen. „Ein geniales Konzept, das eine hohe Lebensqualität bietet“, sagt Lattke. Er selbst wohne in einer solchen Siedlung. Die Mischung aus privater Sphäre und öffentlichem Raum stimme, die Übergänge würden funktionieren. Und noch etwas: Heute würde er mit einem solchen Entwurf keinen Wettbewerb als Architekt gewinnen. Was heißen soll, dass auch gute Ideen dem Zeitgeist unterworfen sind. Aber sie sind da. Entworfen und entwickelt wurde alles irgendwann einmal, die großen Aufgaben seien gesellschaftliche.
Nun zeichnet Lattke einen Zeitstrahl auf das Papier. Zum Beispiel sei über einen langen Zeitraum der soziale Wohnungsbau vernachlässigt worden. Für die Wohnungen, die in den frühen 1980er Jahren erLattke richtet worden sind, laufe die soziale Bindung aus. Und ja, wie gelingt es heute, dass weniger Betuchte eine Wohnung in Augsburg finden, wenn die Mieten ständig steigen?
Jetzt fügt Lattke unter dem Titel „Bauen kostet Geld“eine Aufzählung dem Papier hinzu: Grund und Boden, Energievorgaben, Sicherheit, Komfort. Und darunter steht nur ein Wort: Vorschriften. Auch in diesem Spannungsfeld sieht Lattke Möglichkeiten, das Bauen wieder günstiger zu machen. „Über vieles besteht ja Einigkeit: energiesparsame Häuser, barrierefreie Zugänge zu den Wohnungen.“Und über so etwas wie Brandmelder in der Wohnung dürfe nicht diskutiert werden: „Sie retten Leben.“Beim Schallschutz zum Beispiel sieht Lattke allerdings Möglichkeiten, die Vorschriften zu lockern. Da gehe es um den Wohnkomfort. Bei weniger starker Regulierung könnten Käufer selbst entscheiden, ob sie für weniger Lärmbelästigung bereit sind, mehr Geld auszugeben.
Um mit dem Bevölkerungswachstum und seinen Folgen umzugehen, wird ständig neues Bauland ausgewiesen. Außerdem wird die Stadt nachverdichtet. „Aber Dichte macht einen kirre“, sagt Lattke. Je enger der Raum werde, desto höher liege der Stresspegel der Menschen. „Wenn Baumassen konzentriert werden, braucht es anderswo mehr öffentlichen Raum.“Auch eine Stadt müsse atmen können.
Eines der großen Themen der Architektur, der Umgang mit dem Raum und den Übergängen von der privaten Sphäre in die öffentliche, berühre im Kern immer auch die Gesellschaft. „Wer kümmert sich um den öffentlichen Raum?“Diese Frage müsse geklärt sein, bevor die Räume entstehen. In der Kommune ist es in der Regel die Stadt. Innerhalb von Gebäuden sehe das anders aus. Wenn aus der gemeinsamen Waschküche im Erdgeschoss ein gemeinsam genutztes Waschcafé werde, müsse jemand für die Ordnung verantwortlich sein, sei die Hausgemeinschaft gefordert.
Im Laufe des Gesprächs ist so ein Tableau von drängenden Fragen entstanden. Die Lösungen können nicht die Architekten allein finden, sondern die Gesellschaft.