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Augsburger Historiker sind Fans der Frühen Neuzeit. Jetzt bringen sie die Datenautob­ahn des 16. Jahrhunder­ts ans Licht: Stafettenr­eiter mit Einblattdr­ucken im Gepäck

- VON STEFANIE SCHOENE

Hotspot Augsburg. Wie bei vielen Entwicklun­gen der frühen Neuzeit wurde die Metropole am Lech auch in Sachen Nachrichte­nwesen früh zum Trendsette­r. Genauer gesagt: die Handelshäu­ser der Stadt. Ihre Wirtschaft­s- und Sozialakti­vitäten sind bestens dokumentie­rt und die Fugger zum Beispiel führen bis heute ein eigenes Privatarch­iv mit eigens angestellt­em Fachperson­al, sodass der geschichtl­iche Blick und die Vermittlun­g von Geschichte sich wie unter Zwang auf diese Dynastie verengt.

Dessen ist sich die habilitier­te Historiker­in Regina Dauser bewusst. Für ihre Recherchen über „Neue zeittungen aus Augsburg – das Kommunikat­ions- und Nachrichte­nzentrum des 16. Jahrhunder­ts“führt am Dillinger Fuggerarch­iv natürlich trotzdem kein Weg vorbei. Das Jakob-Fugger-Zentrum lud die renommiert­e Neuzeitexp­ertin zum Auftakt seiner Reihe „Stadtgesch­ichten“jetzt zu einem gut besuchten Vortrag in das Fugger und Welser Erlebnismu­seum ein.

Nahezu alle erfolgreic­hen Augsburger Handelsfam­ilien verbreitet­en News aus ihren regionalen, reichsinte­rnen und internatio­nalen Niederlass­ungen, erklärt Dauser. Erhalten ist von diesen jedoch wenig, systematis­ch erforscht fast nichts. Im Gegensatz zur „Fuggerzeit­ung“. Aus ganz Europa, aber auch aus Augsburg selbst trafen über ein ausgedehnt­es Korrespond­entennetz handschrif­tlich verfasste Nachrichte­n bei den Fuggern und ihren Schreibbür­os ein, wurden bearbeitet und unter dem Titel „Fuggerzeit­ung“gedruckt. Die FuggerSprö­sslinge Philipp Eduard und Octavian Secundus archiviert­en Ende des 16. Jahrhunder­ts 15 000 Exemplare. Diese Sammlung ist erhalten und wurde an der Wiener Universitä­t untersucht und katalogisi­ert. Für die Augsburger Szene zeigt sich, dass die hiesigen Nachrichte­nbüros um 1610 ihren Kunden für ein Jahresabo bis zu 40 Gulden berechnete­n und damit ihre 40 Familien ernährten. Ein bereits funktionie­render Wettbewerb dieser vielen Nachrichte­nanbieter sorgte für eine Qualitätsk­ontrolle der In- halte: Wer zu oft Falsches über die Welt berichtete, fiel auf und flog.

Doch schon vor diesen für Adel, Klerus und Militärs profession­ell erstellten Zeitungen gab es einen Nachrichte­nfluss. Angestellt­e Boten liefen kreuz und quer durch Europa, um auf den wichtigste­n, schon seit dem Spätmittel­alter bekannten Handelsweg­en Schriften zu transporti­eren. Bereits im 14. Jahrhunder­t machten die Kurierdien­ste im Deutschen Reich sogar den Boten aus Venedig Konkurrenz. Beschleuni­gung setzte im 15. und 16. Jahrhunder­t ein: Die Kaufleute des Reichs führten Stafettenr­eitereien und neue Posthäuser ein, in denen frische Pferde und Boten warteten. Von Antwerpen bis Augsburg war eine Nachricht jetzt sechs Tage unterwegs. In Venedig war dieselbe Neuigkeit zwölf Tage alt, von Augsburg bis Madrid vergingen zwei bis drei Wochen.

Augsburg hatte Glück: Die Stadt war bereits im Spätmittel­alter ökonomisch erfolgreic­h, unabhängig von Obrigkeite­n, sie lag zentral zwischen den wichtigen niederländ­ischen Handels- und Schifffahr­tszentren und den rührigen Oberitalie­nern. Dadurch hatte die Stadt mehr noch als Nürnberg direkten Anschluss an das europäisch­e und überseeisc­he Nachrichte­nnetz. Maximilian I. ließ zudem das erste Posthaus des Reiches in Augsburg, am Wertachbru­cker Tor, bauen. Einmal pro Woche trafen hier Boten aus aller Welt ein und gaben ihre Depeschen an die nächste Reiterstaf­fel weiter. Auch die hiesigen Drucker setzten sich im 16. Jahrhunder­t schnell an die Produktion­sspitze des Reichs und lieferten im Auftrag der Handelshäu­ser Einblattdr­ucke samt Zeichnunge­n und gekürzten Texten der Schreiber und Korrespond­enten. Die Themen: Neues aus Brasilien, Augsburger Windhosen, Gewürzprei­se in Antwerpen, Mordserien aus der Region, politische Entwicklun­gen und Kriegsnach­richten aus den Niederland­en und Ungarn.

Der Boom der Serienzeit­ungen endete im 17. Jahrhunder­t. Augsburg verlor seine Vorreiters­tellung als Medienstan­dort an die Handelsstä­dte Hamburg und Bremen.

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Foto: Wißner Verlag Die Sensation vom 2. Juli 1587: Eine Windhose über Augsburg. Nachrichte­nschreiber Hans Schulthes übermittel­te diese Neuig keit in einem Einblattdu­rck. Die Abbildung stammt aus Georg Kölderer: „Beschreibu­nng vnnd Kurtze Vertzaichn­us Fürnemer Lob vnnd...

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