Neue Medien
Augsburger Historiker sind Fans der Frühen Neuzeit. Jetzt bringen sie die Datenautobahn des 16. Jahrhunderts ans Licht: Stafettenreiter mit Einblattdrucken im Gepäck
Hotspot Augsburg. Wie bei vielen Entwicklungen der frühen Neuzeit wurde die Metropole am Lech auch in Sachen Nachrichtenwesen früh zum Trendsetter. Genauer gesagt: die Handelshäuser der Stadt. Ihre Wirtschafts- und Sozialaktivitäten sind bestens dokumentiert und die Fugger zum Beispiel führen bis heute ein eigenes Privatarchiv mit eigens angestelltem Fachpersonal, sodass der geschichtliche Blick und die Vermittlung von Geschichte sich wie unter Zwang auf diese Dynastie verengt.
Dessen ist sich die habilitierte Historikerin Regina Dauser bewusst. Für ihre Recherchen über „Neue zeittungen aus Augsburg – das Kommunikations- und Nachrichtenzentrum des 16. Jahrhunderts“führt am Dillinger Fuggerarchiv natürlich trotzdem kein Weg vorbei. Das Jakob-Fugger-Zentrum lud die renommierte Neuzeitexpertin zum Auftakt seiner Reihe „Stadtgeschichten“jetzt zu einem gut besuchten Vortrag in das Fugger und Welser Erlebnismuseum ein.
Nahezu alle erfolgreichen Augsburger Handelsfamilien verbreiteten News aus ihren regionalen, reichsinternen und internationalen Niederlassungen, erklärt Dauser. Erhalten ist von diesen jedoch wenig, systematisch erforscht fast nichts. Im Gegensatz zur „Fuggerzeitung“. Aus ganz Europa, aber auch aus Augsburg selbst trafen über ein ausgedehntes Korrespondentennetz handschriftlich verfasste Nachrichten bei den Fuggern und ihren Schreibbüros ein, wurden bearbeitet und unter dem Titel „Fuggerzeitung“gedruckt. Die FuggerSprösslinge Philipp Eduard und Octavian Secundus archivierten Ende des 16. Jahrhunderts 15 000 Exemplare. Diese Sammlung ist erhalten und wurde an der Wiener Universität untersucht und katalogisiert. Für die Augsburger Szene zeigt sich, dass die hiesigen Nachrichtenbüros um 1610 ihren Kunden für ein Jahresabo bis zu 40 Gulden berechneten und damit ihre 40 Familien ernährten. Ein bereits funktionierender Wettbewerb dieser vielen Nachrichtenanbieter sorgte für eine Qualitätskontrolle der In- halte: Wer zu oft Falsches über die Welt berichtete, fiel auf und flog.
Doch schon vor diesen für Adel, Klerus und Militärs professionell erstellten Zeitungen gab es einen Nachrichtenfluss. Angestellte Boten liefen kreuz und quer durch Europa, um auf den wichtigsten, schon seit dem Spätmittelalter bekannten Handelswegen Schriften zu transportieren. Bereits im 14. Jahrhundert machten die Kurierdienste im Deutschen Reich sogar den Boten aus Venedig Konkurrenz. Beschleunigung setzte im 15. und 16. Jahrhundert ein: Die Kaufleute des Reichs führten Stafettenreitereien und neue Posthäuser ein, in denen frische Pferde und Boten warteten. Von Antwerpen bis Augsburg war eine Nachricht jetzt sechs Tage unterwegs. In Venedig war dieselbe Neuigkeit zwölf Tage alt, von Augsburg bis Madrid vergingen zwei bis drei Wochen.
Augsburg hatte Glück: Die Stadt war bereits im Spätmittelalter ökonomisch erfolgreich, unabhängig von Obrigkeiten, sie lag zentral zwischen den wichtigen niederländischen Handels- und Schifffahrtszentren und den rührigen Oberitalienern. Dadurch hatte die Stadt mehr noch als Nürnberg direkten Anschluss an das europäische und überseeische Nachrichtennetz. Maximilian I. ließ zudem das erste Posthaus des Reiches in Augsburg, am Wertachbrucker Tor, bauen. Einmal pro Woche trafen hier Boten aus aller Welt ein und gaben ihre Depeschen an die nächste Reiterstaffel weiter. Auch die hiesigen Drucker setzten sich im 16. Jahrhundert schnell an die Produktionsspitze des Reichs und lieferten im Auftrag der Handelshäuser Einblattdrucke samt Zeichnungen und gekürzten Texten der Schreiber und Korrespondenten. Die Themen: Neues aus Brasilien, Augsburger Windhosen, Gewürzpreise in Antwerpen, Mordserien aus der Region, politische Entwicklungen und Kriegsnachrichten aus den Niederlanden und Ungarn.
Der Boom der Serienzeitungen endete im 17. Jahrhundert. Augsburg verlor seine Vorreiterstellung als Medienstandort an die Handelsstädte Hamburg und Bremen.