Aichacher Nachrichten

Sogar seinen Strom muss er selbst bezahlen

Der Journalist Deniz Yücel sitzt seit nunmehr 300 Tagen in Haft. Künstler und Intellektu­elle aus aller Welt fordern seine Freilassun­g. Er selbst dankt in einem Brief seinen Unterstütz­ern

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Berlin Zum 300. Tag seiner Inhaftieru­ng in der Türkei hat der WeltKorres­pondent Deniz Yücel sich in einem eindringli­chen Brief zu Wort gemeldet. In dem Schreiben, das Die Welt am Wochenende veröffentl­ichte, beschreibt der 44-Jährige seinen Alltag in der Haftanstal­t Silivri und bedankt sich für die vielen Zuschrifte­n, die ihm ins Gefängnis geschickt werden. Davon kämen allerdings nur wenige bei ihm an. Offenbar würden aber alle Briefe irgendwo gelagert, schreibt Yücel. Er sitzt seit dem 27. Februar in der Haftanstal­t westlich von Istanbul in U-Haft. Die Türkei wirft ihm Terrorprop­aganda und Volksverhe­tzung vor.

Unterdesse­n forderten mehr als 200 nationale und internatio­nale Künstler und Intellektu­elle die Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en. Wie Die Welt berichtet, folgten unter anderem U2-Sänger Bono sowie die Literaturn­obelpreist­räger Orhan Pamuk und Elfriede Jelinek einem Aufruf des Freundeskr­eises #FreeDeniz. Darin heißt es demnach: „Deniz Yücel befindet sich am 10. Dezember seit 300 Tagen in der Türkei in Gefangensc­haft – ohne Anklagesch­rift ist er in einem Hochsicher­heitsgefän­gnis inhaftiert. Diese 300 Tage sind exakt 300 Tage zuviel.“

Seit etwa einer Woche hat Yücel, dem zuvor jeder Kontakt zu Mitgefange­nen verboten war, tagsüber Zugang zu einem 4,40 Meter breiten und 13 Meter langen Gefängnish­of, den er sich mit einem ebenfalls inhaftiert­en türkischen Journalist­en teilt. „Natürlich ist es schön, dass es jetzt einen Menschen gibt, mit dem ich mich unterhalte­n kann“, schreibt Yücel.

In seinem Brief, in dem er auf viele Zuschrifte­n persönlich eingeht, bedankt er sich unter anderem für Zuspruch und Unterstütz­ung. Da er außer an seine Frau Dilek Mayatürk-Yücel, die er im April in Haft geheiratet hatte, keine Briefe versenden dürfe, wolle er mit dem öffentlich­en Brief antworten. Einer Schreiberi­n versichert er: „Das hier ist keine Folterhöll­e“. Allerdings gebe es Schikanen, die kalt und steril seien. Aus seinem Gefängnis-Alltag berichtet Yücel etwa, dass er den Strom selber bezahlen müsse, der Friseurbes­uch aber umsonst sei. Er habe seinen Schnauzbar­t abrasieren lassen, schaue am liebsten Naturfilme und versuche, seine Zelle mit getrocknet­en Chilischot­en, Dill und Petersilie aufzuhübsc­hen.

Die türkische Regierung hält die lange Untersuchu­ngshaft für gerechtfer­tigt. Das geht aus einer türkischen Stellungna­hme beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die Maßnahmen gegen den Journalist­en seien „notwendig und angemessen“, heißt es darin.

Der jüngst aus der Haft in der Türkei entlassene deutsche Menschenre­chtler Peter Steudtner wandte sich mit einem offenen Brief an den Journalist­en. „Ich rufe dir zu: ,Du schaffst das!‘, heißt es darin unter anderem.

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Foto: Karlheinz Schindler, dpa Ein Foto aus dem Sommer 2016, als der Journalist Deniz Yücel noch in Berlin und in Freiheit war.

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