„Störfaktoren akzeptiere ich nicht“
Oberbürgermeister Kurt Gribl äußert sich zum Zustand des Rathausbündnisses aus CSU, SPD und Grünen. Und er sagt, unter welchen Kriterien Augsburg erfolgreich wachsen kann und wie es in der Verkehrspolitik weitergeht
Augsburg wächst, aber nicht mehr so stark wie in den Jahren zuvor. Statt wie zuvor 5000 Neubürger pro Jahr mehr, werden es 2017 rund 2000 sein. Ist dies gut oder schlecht?
Kurt Gribl: Wir befinden uns nicht in einem Wettbewerb. Wachstum um jeden Preis ist ohnehin nicht meine Linie. Ich bin für organisches Wachstum, deshalb halte ich diese Entwicklung überhaupt nicht für problematisch.
Welche Rolle spielt der Wohnungsmangel? Die Stadt startete im März eine Wohnraumoffensive, das Wachstum geht aber schon seit Jahren. Im Rückblick betrachtet: War Augsburg zu langsam, was den Bau von Wohnungen anbelangt?
Gribl: Ich glaube nicht, dass wir zu langsam waren. Es gibt genügend Grundstücke mit Baurecht. Wenn alle Grundstückseigentümer, die Baurecht haben, ihr Grundstück auch bebauen würden, hätten wir von heute auf morgen mehr Wohnungen, als wir brauchen können. Es gibt bestehendes Baurecht für einige tausend Wohnungen. Wir haben in den Jahren von 2008 bis 2013 schwerpunktmäßig mit unserer WBG, also der städtischen Wohnbaugruppe Augsburg, die Modernisierung betrieben. Dazu Sanierungsmaßnahmen, Barrierefreiheit, Balkone und dergleichen. Das haben wir gemacht, um zu vermeiden, dass wir in der Stadt eine Zwei-KlassenGesellschaft bekommen, was die Wohnqualität anbetrifft.
Hätte man diese Energie auch in Neubauten stecken können?
Gribl: Durchaus. Aber das hat sich in diesen Jahren nicht so abgezeichnet und ich bin froh, dass wir einen gewissen Standard beim Wohnen als Grundlevel haben. Aber ich gebe Ihnen Recht, man kann auch einen anderen Standpunkt vertreten. Die Frage dabei ist, was wir selber als Stadt tun können. Effektiv sind wir nur, wenn wir selbst Grundstücke haben, die wir einer Bebauung zuführen. Diese Möglichkeit schöpfen wir voll aus, was unsere eigene Leistungsfähigkeit anbelangt. Die WBG ihrerseits kann nicht mehr als 100 Wohnungen pro Jahr errichten. Das ist deren Leistungsfähigkeit.
Stichwort Bezahlbarkeit von Wohnungen. Da war eine Ihrer Botschaften, man muss auf eine ausgewogene Entwicklung achten und nicht nur im geförderten Wohnungsbau zulegen. Überspitzt gefragt: Sind arme Neubürger also nicht so erwünscht?
Gribl: Die Lebenswirklichkeit beweist das Gegenteil. Wir haben sehr viele Neubürger im niedrigen Ein- kommenssegment. Ich kann mich an keine Geste erinnern, mit der sie nicht willkommen geheißen wären. Trotzdem bleibe ich dabei, dass wir auf eine ausgewogene Gesellschaftsstruktur in Augsburg achten, die in sich tragfähig ist.
Gibt es diese in Augsburg?
Gribl: Ja, was auch an den guten Umständen liegt. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit den 1980er Jahren. Die Lage würde sich sofort anders darstellen, wenn wir eine höhere Arbeitslosigkeit hätten.
Die Infrastruktur spielt in einer Großstadt eine zentrale Rolle, wenn es um den Verkehr und die Mobilität geht. Reichen die vorhandenen Angebote für die wachsende Stadt Augsburg?
Gribl: Wenn die Bevölkerung wächst, muss sich die Infrastruktur mitentwickeln. Das heißt nicht zwingend, dass man zusätzliche Straßen bauen muss, sondern die Mobilität muss gewährleistet wer- Ich sehe, dass wir in den zurückliegenden drei, vier Jahren im Bereich des Nahverkehrs einen enormen Fahrgastzuwachs gehabt haben. Je attraktiver dafür die Angebote sind, desto entlastender wirkt sich das beim Individualverkehr aus. Daher müssen wir den Nahverkehr noch attraktiver machen.
Was heißt dies für geplante Trambahnlinien? Die Linie 5 ist seit Jahren in der gefühlten Dauerwarteschleife. Gribl: Ich gehe davon aus, dass wir bei der Linie 3, der Verlängerung nach Königsbrunn, wesentlich schneller vorankommen als bei der Linie 5, die zum Klinikum führt. Wir wollen, so die Auskünfte der Stadtwerke, bei der Tramlinie 3 im Jahr 2019 mit der Baumaßnahme starten. Bei der Linie 5 ist es komplizierter. Da erschwert schon die Frage einer Variantenprüfung das Verfahren. Wir müssen mehrere Varianten vergleichen. Die Gutachter sitzen dran. Es ist in diesem Jahr viel passiert, was man nicht sieht. Ich gehe davon aus, dass wir im Februar, spätestens März so weit sind, um die Verkehrsmodelle mit der Simulation dem Stadtrat vorstellen zu können. Danach geht es in das Genehmigungsverfahren für die Linie 5.
Bleibt es bei der Vorzugsvariante Holzbachstraße?
Gribl: Nach heutigem Stand der Dinge: Ja.
Welche Rolle spielt die Fahrradstadt 2020? Die Erwartungen waren groß, bisher umgesetzt wurde nicht so viel. Ist das Ziel, in drei Jahren 25 Prozent des Augsburger Verkehrs mit dem Rad abzuwickeln, noch realistisch?
Gribl: Das Ziel ist richtig und man muss sich ehrgeizige Ziele setzen, auch wenn es schwierig sein wird, sie zu erreichen. Aber ich würde es für verfehlt halten, das Ziel aufzugeben. Einiges werden wir umsetzen können – wobei eine gewisse Unruhe auch deswegen entsteht, weil Maßden. nahmen erst geplant werden müssen. Und es hat keiner die Geduld, Planungskonzepte abzuwarten. Ich verstehe das, weil ich auch lieber gleich sehe, dass etwas passiert.
Kommen wir zum Innenleben der Koalition im Rathaus. Dieses Jahr hat es gewaltig gekracht zwischen CSU und SPD. Wie fällt Ihre Bestandsaufnahme des Bündnisses aus?
Gribl: Es ist in Ordnung und okay. Es funktioniert. Außerdem bestreite ich, dass es gewaltig gekracht hat. Wenn man mal sagt, dass einem etwas nicht gefällt, dann kracht es noch lange nicht. Das Ganze war aber von klarstellender Wirkung.
Wie war das bei den Kinderkrippen, als Sie Sozialreferent Stefan Kiefer (SPD), so kam es zumindest öffentlich an, in die Schranken wiesen?
Gribl: Ich will es nicht herunterspielen. Ich hatte einfach Sorge, dass etwas, was wir ohnehin – und zwar im guten Miteinander zwischen den Referaten – verfolgen, in Schlingerkurs gerät, weil plötzlich einer da ist, der glaubt, das Thema neu erfinden und für sich in Anspruch nehmen zu müssen. Das ist ein Störfaktor. Und Störfaktoren akzeptiere ich nicht.
Welche Erwartungen haben Sie an das Bündnis bis Ende der Periode?
Gribl: Dass wir die Entscheidungen treffen, die die Stadt braucht, um voranzukommen. Wenn wir zeigen, dass wir in der Stadtregierung gut zusammenarbeiten, Ergebnisse erzielen, um Ergebnisse ringen und anständig miteinander umgehen, dann ist das die beste Empfehlung dafür, dass wir auch den Auftrag bekommen, weiterzumachen. Da gehört im Übrigen die jetzige Konstellation insgesamt dazu. Ich halte es für eine gute Gestaltungsgrundlage, dass die CSU mit der SPD auch unter Einbeziehung der Grünen agiert.
Warum?
Gribl: Ich nehme wahr, dass allein deswegen bei vielen Themen ein Ausgleich gesucht wird und dass nach Lösungen gesucht wird, die nicht – oder sagen wir weniger – konfliktträchtig sind. Da habe ich auch dazugelernt.
Wäre es denkbar, dass dieses Konstrukt nicht einmalig bleibt?
Gribl: Wieso soll ich das ausschließen? Es ist ein gutes Miteinander. Und warum soll man Dinge nur aus Modegründen heraus verändern wollen?
Das Interview führten Stefan Krog und Michael Hörmann