Stärkstes Wachstum seit sechs Jahren
Ex-Wirtschaftsminister Clement warnt aber, dass nicht alles gut sei in Deutschland
Augsburg Die Weltwirtschaft hat wieder an Fahrt gewonnen. Produkte „Made in Germany“sind bei ausländischen Kunden begehrt. Und nicht nur in der Vorweihnachtszeit haben die Bundesbürger in Kaufhäusern und im Internet kräftig eingekauft. Beides – der starke Konsum und die steigende Auslandsnachfrage – führt dazu, dass die deutsche Wirtschaft derzeit in bester Verfassung ist. Sie ist im Jahr 2017 so stark gewachsen wie seit sechs Jahren nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt legte um 2,2 Prozent zu, berichtet das Statistische Bundesamt. Es herrscht Hochkonjunktur. Und sowohl Wirtschaftsvertreter als auch Experten sind zuversichtlich, dass es dieses Jahr so bleibt.
Das Wachstum tut dem Arbeitsmarkt und den Staatskassen gut. Die Zahl der Arbeitslosen ist so niedrig wie nie zuvor seit der Wiedervereinigung. Bund, Länder und Gemeinden nahmen mehr Geld ein, als sie ausgaben. Jetzt investieren auch die Unternehmen selbst wieder stärker in neue Maschinen. Das hilft der Wirtschaft zusätzlich. „Die Kapazitäten in der Industrie sind so ausgelastet wie seit der weltweiten Finanzkrise vor zehn Jahren nicht mehr“, sagte Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Er erwartet, dass etliche hunderttausend neue Arbeitsplätze entstehen. Doch es gibt auch kritische Stimmen.
Der frühere Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (einst SPD), einer der Architekten der Agenda2010-Reformen der Regierung Schröder, warnt im Interview mit unserer Zeitung, dass „nicht alles in Butter“sei in Deutschland. Clement fordert, mehr Geld in „wichtige Zukunftsthemen“zu investieren. Zum Beispiel müssten 20 Milliarden Euro in die Bildung fließen. Die Arbeit der letzten Großen Koalition dagegen kritisiert er scharf. Zu viel Geld sei für „soziale Wohltaten“ausgegeben worden. Beschlüsse wie die Mütterrente und die Rente mit 63 bezeichnet Clement als „unsinnig“.
Die gute wirtschaftliche Lage kommt aber nur zum Teil bei den Beschäftigten an. Grund ist die Inflation. Löhne und Gehälter der Tarifbeschäftigten stiegen 2017 im Schnitt um 2,4 Prozent, berichtete die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Nach Abzug der Preissteigerung bleibt aber nur ein reales Plus von 0,6 Prozent. Steigende Preise fressen also einen Teil der Tariferhöhung auf. Dass die Löhne nur moderat steigen, erklärt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung damit, dass „vor allem aus dem europäischen Ausland nach wie vor viele Menschen kommen, um hierzulande zu arbeiten“. Die häufig diskutierte Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft sieht das Institut aufgrund der gemäßigt steigenden Löhne nicht.
Was Ex-Minister Clement von einer Neuauflage der Großen Koalition hält und wieso er im politischen System „Verkrustungen“und „Speichelleckertum“befürchtet, lesen Sie auf der Wirtschaft. Mit der Konjunktur befasst sich auch der Kommentar.