Wo Kinder toben und schmutzig werden dürfen
Pöttmes denkt über einen Waldkindergarten nach. Die Leiterin einer Einrichtung in Rain berichtet in Pöttmes vor 40 Zuhörern von ihrem Alltag. Warum Waldkinder in Grundschulen beliebt sind und Wäschewaschen eh kaum etwas bringt
Pöttmes Das Baby auf Sarah Strebers Schoß macht große Augen. Vor fünf Monaten kam es auf die Welt. Es ist eines von über 70 Neugeborenen im vergangenen Jahr im Markt Pöttmes. Die Zahlen liegen damit das zweite Jahr nacheinander auf Rekordniveau. Sarah Streber hat zwei Kinder. Der zweieinhalbjährige Sohn geht in die Maxi-Waldgruppe, die sich an zwei Vormittagen pro Woche bei jedem Wetter in einem Waldstück bei Handzell trifft. Seine Mama, gelernte Kinderpflegerin, erzählt: „Ich merke, mein Großer blüht draußen auf.“Einen normalen Kindergarten habe sie sich für ihn nicht vorstellen können. Deshalb sah sie sich nach Alternativen um. Mit Janine Baumer – Erzieherin, Sozialpädagogin und Mama eines zweieinhalbjährigen Buben – aus Pöttmes hospitierte sie einen Tag im Waldkindergarten in Rain (Donau-Ries).
Davon, wie die Kinder dort ihren Alltag erleben, lernen und betreut werden, war sie so begeistert, dass sie beim Markt Pöttmes nachfragte, ob dort etwas Ähnliches vorstellbar wäre. Damit brachte sie den Stein ins Rollen. Insgesamt 18 Eltern aus dem Kernort und Handzell schlossen sich der Initiative für einen Waldkindergarten an. Der Marktgemeinderat stimmte im Mai grundsätzlich mit 20:1 zu, die Gegenstimme kam von der Zweiten Bürgermeisterin Sissi Veit-Wiedemann (CSU). Im Dezember vertagte das Gremium die endgültige Entscheidung, weil die CWG-Fraktion und fast alle Mitglieder der CSU-Fraktion noch Beratungsbedarf sahen. Ein Infoabend am Donnerstag im Rathaus sollte offene Fragen klären.
Rund 40 Zuhörer, unter ihnen viele Eltern und zahlreiche Mitglieder des Gemeinderats, kamen. In Sandra Zerle, Leiterin des im Herbst 2015 eröffneten Waldkindergartens in Rain, fanden sie eine beherzte Fürsprecherin. Vor 14 Jahren hatte sie bereits den Waldkindergarten in Donauwörth mitgegründet. Sie ist gelernte Erzieherin, staatlich geprüfte Hauswirtschafterin, hat eine Zusatzausbildung in Waldpädagogik, ist Naturlehrerin – und Mama zweier „Waldkinder“. Die Tochter ist zwölf, der Sohn sechs Jahre alt.
Viele Jahre arbeitete Zerle im Regelkindergarten. „Ich hatte solche Ohren“, sagte sie in Anspielung auf den großen Lärm in den geschlossenen Räumen. Sie meldete ihre Tochter im Waldkindergarten an. Als sie sah, wie gut es dem Mädchen dort ging, entschloss sie sich selbst zum Wechsel. Sie hat ihn nie bereut: „Das ist ein ganz anderes Arbeiten mit den Kindern.“
Mit sieben Kindern habe der Waldkindergarten in Rain angefangen, im selben Jahr sei er auf 14 angewachsen. Schon im zweiten Jahr wurden es 20 Kinder, inzwischen sind es 22 – inklusive einem Integrativkind. 2017 habe sie 14 Kindern absagen müssen, so Zerle. Nun soll die Einrichtung eine zweite Gruppe bekommen. Zerle reichte Fotos herum, die die Kinder in der Matschgrube, beim Bau einer Murmelbahn oder beim Essen zeigten.
Das Personal ist beim Bayeri- schen Roten Kreuz angestellt, die Sachverantwortung liegt bei der Stadt. Sie trägt auch das Defizit, so wie Pöttmes das für seine Einrichtungen tut. Vier Mitarbeiter betreuen die 22 Waldkinder in Rain. „Der Betreuungsbedarf im Wald ist höher“, erklärte Zerle. In Regelkindergärten seien zwei Leute für 25 Kinder verantwortlich. Die Eltern zahlen im Rainer Waldkindergarten zum Beispiel für vier bis fünf Stunden Betreuung 105 Euro oder für sechs bis sieben Stunden 120 Euro.
Zwei Bauwagen stehen den Rainer Waldkindern zur Verfügung, einer ist beheizt. Aber die Kinder wollen nicht drinnen sein. „Das ist sehr unbeliebt“, betonte Zerle. Bei Wind und Wetter sei die Gruppe draußen. Nur bei Sturm oder Schneebruchgefahr halte sie sich in der Realschule auf. Sechs Mal sei das im vergangenen Jahr der Fall gewesen. Handschuhe seien bei den Kindern übrigens verhasst, stellte Zerle klar. „Die sind nicht lange dran, das sage ich Ihnen gleich.“Sie riet den Eltern, keine teure Kleidung zu kaufen. Es reiche Ware vom Discounter. „Der Schmutz ist nicht so schlimm, wie Sie meinen.“Die Kinder schauten zwar manchmal aus „wie die Wildschweine“, erzählte Zerle mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Aber die Kleidung müsse nicht ständig gewaschen werden. „Die ist morgen genauso dreckig.“
Auf Nachfrage von Veit-Wiedemann und einer weiteren Zuhörerin sagte Zerle, die Waldkinder seien wesentlich weniger krank als andere. Sie hätten ein robustes Immunsystem. Dieselbe Zuhörerin wollte wissen, ob Waldkinder später in der Regelschule Probleme hätten, still zu sitzen. Zerle verneinte: „Die Kinder können still sitzen. [...] Sie sind wesentlich ausgeglichener.“Bei den Grundschulen seien die Donauwörther Waldkinder daher nach anfänglicher Skepsis sehr beliebt.
Da der Rainer Waldkindergarten im Wasserschutzgebiet liegt, gibt es dort Zerle zufolge keinen Donnerbalken und keinen „Bieselbaum“, sondern eine Komposttoilette – vergleichbar mit einem Katzenklo. Die Arbeit richte sich wie in anderen Einrichtungen nach dem Bayerischen Erziehungs- und Bildungsplan. Vorschulerziehung finde auch im Waldkindergarten statt. Sarah Streber und Janine Baumer haben das in Rain erlebt. Baumer sagt: „Die Schulfähigkeit von Kindern im Waldkindergarten ist auf keinen Fall geringer als im Regelkindergarten.“Die anhaltende politische Diskussion verstehen die beiden nicht. „Ich finde es schade, dass die Diskussion rausgezögert wird“, so Baumer. „Da wird ein bisschen gegeneinander geschossen“, so ihr Eindruck.
Fast 20 Eltern, die ihr Kind in einen Waldkindergarten schicken möchten, trugen sich am Schluss in eine Liste ein. Ende Januar finden in den Pöttmeser Kindergärten die Anmeldungen statt. Bürgermeister Franz Schindele riet den Eltern, sich dort anzumelden. Komme der Waldkindergarten, könnten sie wechseln. Am Dienstag berät der Marktentwicklungsausschuss über das Thema. Dann ist wieder der Gemeinderat dran.