Die Garnison ist weg
Die Archive in Neuburg, Jeseník und Sète wollen in Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs ein Buch herausbringen. Wie ging es in den Städten damals zu? Neuburg musste mit einer großen Veränderung klarkommen
Neuburg „Gestern nachts kam es in Neuburg zu Gewaltakte, zuerst durch Sprengung einer Wahlversammlung der Bayerischen Volkspartei unter Verjagung bezw. Körperverletzung der Leiter und Redner, dann durch Erbrechen der Schriftleitung der Druckerei des Neuburger Anzeigeblattes, Vernichtung und Verbrennung der bereitgehaltenen Flugblätter und Demonstration mit Fenstereinwurf vor der Wohnung des Landtags-Kandidaten der Bayerischen Volkspartei, des Malzfabrikanten Loibl dahier“
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ging es in Neuburg alles andere als friedlich zu, wie dieser Auszug aus dem Bericht des Bezirksamts Neuburg an die Regierung vom 18. Januar 1919 zeigt. Über die Randale bei der Druckerei Loibl wurde vom Neuburger Anzeigenblatt selbst übrigens mit keinem Wort berichtet. Es war eine unruhige, aber auch eine spannende Zeit – nicht nur in Deutschland. Aus diesem Grund wollen die durch eine Städtepartnerschaft verbundenen Stadtarchive Neuburg und Sète sowie das Kreisarchiv in Jeseník eine gemeinsame Publikation in Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs herausbringen. Das Buch soll im Herbst 2018 erscheinen, wenn sich das Ereignis zum 100. Mal jährt. Der Arbeitstitel: „Ende und Anfang. Jeseník – Neuburg – Sète 1918 bis 1920“.
Die Voraussetzungen für einen Neubeginn gestalteten sich in den drei Städten sehr unterschiedlich, erzählt Dr. Barbara Zeitelhack, Leiterin des Neuburger Stadtarchivs. Sie kümmert sich um den hiesigen Teil der Veröffentlichung. Neuburg und Jeseník standen auf der Seite der Verlierer, Sète auf der der Gewinner – mit Entbehrungen hatten die Menschen in allen drei Städten zu kämpfen. Materielle Not, Leid, traumatische Erfahrungen der Kriegsheimkehrer und Trauer um die Getöteten seien universell gewesen, sagt Zeitelhack.
Was Neuburg betrifft, will die Archivsleiterin vor allem die Rolle des Militärs in der Stadt beleuchten. Dabei hilft ihr der Student Sebastian Funk. Das Interessante daran: Die Abrüstung Deutschlands bedingte die Auflösung der Garnison, die seit Ende des 18. Jahrhunderts vor Ort stationiert war und großes Ansehen genoss. Darunter litt auch die kommunale Wirtschaft. Daneben standen insbesondere die Offiziere auf einmal vor einer ungewissen Zukunft, ihr gesellschaftlicher Status war plötzlich unklar. Recherchieren will Zeitelhack noch, wie die Moderne in Neuburg Einzug hielt: War die Gleichberechtigung der Frau hier ein Thema? Wie ging man mit dem größeren Mitspracherecht in einem demokratischen Staat um? Mit den neuen Verhältnissen schien man sich in der ehemaligen Residenzstadt mehrheitlich nicht anfreunden zu können: Wie Zeitelhack bereits herausfand, wurden die Ak- tivitäten von Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Arbeiter-Vereinen argwöhnisch überwacht, während die entstehenden „vaterländischen Verbände“großen Zuspruch fanden. Die Bevölkerung sei eher konservativ eingestellt gewesen und habe der Monarchie nachgetrauert, erzählt die Historikerin.
In Jeseník wird sich Bohumola Tinzowa unter anderem mit der Proklamation der selbstständigen Tschechoslowakischen Republik beschäftigen. Wie gestaltete sich die politische Entwicklung? Wie war wirtschaftliche Situation, wie die Stimmung in der Bevölkerung? Die vorherrschende Problematik in Jeseník: der Konflikt zwischen einer deutschen Mehrheit und einer tschechischen Minderheit.
In Sète – im Süden Frankreichs am Mittelmeer gelegen und damit nicht direkt vom Krieg betroffen – muss sich Catherine Lopez-Dreau weder mit schwerer Zerstörung noch mit einer Vertreibung der Bevölkerung auseinandersetzen. Dennoch waren auch hier die Folgen des Weltkriegs spürbar, zum Beispiel durch die Überwachung des Hafens während des U-Boot-Kriegs und durch Lebensmittelknappheit. Viele Sèter waren getötet worden oder kehrten verwundet heim. Also mussten Witwen und Waisen versorgt und Hilfsorganisationen eingerichtet werden. Erste Parlamentsund Kommunalwahlen wurden durchgeführt. Der Rückgang der Hafenaktivität führte zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosenrate und somit zu Protestbewegungen. Gleichzeitig bemühte man sich, das gesellschaftliche und kulturelle Ledie ben wieder aufzubauen. Jeder Beitrag soll ungefähr 15 Seiten umfassen. Die Einleitung zur allgemeinen politischen Situation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs übernimmt Thomas Götz von der Universität Regensburg. Schwierig, so Zeitelhack, sei es jetzt noch, geeignete Bilder zu finden. Denn privat habe damals kaum jemand fotografiert. Und dann stehen noch die Übersetzungen an. Die Publikation soll nämlich in drei Sprachen erscheinen: deutsch, französisch und tschechisch.