Bombe vertreibt Neu Ulmer
Wegen eines Blindgängers müssen 10400 Bürger die Innenstadt verlassen. Nicht jedem fällt das leicht – in mehrfacher Hinsicht
Neu Ulm Eine gewisse Routine hat Thorsten Haselau schon. Doch heute ist es anders. Weil der 56-Jährige gehbehindert ist, ist er immer wieder auf die Hilfe der Bereitschaft des Roten Kreuzes angewiesen, die ihn aus seiner Wohnung abholt. An anderen Tagen geht es um Besuche bei Haselaus Mutter, zu deren Wohnung eine „blöde“Treppe führt. So drückt es der 56-Jährige aus. An diesem Freitagmorgen muss er seine Wohnung in der Neu-Ulmer Innenstadt verlassen, weil auf einer Baustelle in der Nähe eine 450 Kilo schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft wird. Schon wieder.
Sorgen macht sich Thorsten Haselau deswegen nicht. „Das ist ja schon zwei Mal gut gegangen“, sagt er. Erst vor knapp vier Wochen hatten mehr als 12 000 Menschen ihre Wohnungen verlassen müssen, weil ein Blindgänger auf derselben Baustelle gefunden worden war. Und auch davor hatten Bauarbeiter dort bereits einmal einen Sprengkörper gefunden – evakuiert werden musste die Innenstadt beim ersten Mal nicht. Nun sind 10400 Neu-Ulmer Bürger betroffen und mehr als 600 Einsatzkräfte eingebunden, unter ihnen 330 Polizisten und knapp 100 Ehrenamtliche vom Bayerischen Roten Kreuz. „Wir profitieren von den Erfahrungen“, sagt BRKKreisbereitschaftsleiter Florian Schaich. Es ist ein Kraftakt für das Bayerische Rote Kreuz im Kreis Neu-Ulm, der Einsatz an einem Werktag stellt die Freiwilligen vor eine Herausforderung.
Thorsten Haselau hat auf die Helfer gewartet. Er geht mit Krücken zum Aufzug und lässt sich unten auf der Straße in einen Stuhl mit Rollen helfen. Michael Holzhauser und Demian Müller von der BRK-Bereitschaft Vöhringen schieben ihn auf dem Stuhl in den Rettungswagen, mit dem die beiden Helfer Haselau abholen. Vor vier Wochen war der Trubel um die Bombe an ihm noch vorbeigegangen. Von der Evakuierung habe er nichts mitbekommen, erzählt er. Während fast die gesamte Innenstadt verwaist war, saß Haselau in seiner Wohnung. Dieses Mal aber bat der 56-Jährige über das Bürgertelefon der Stadt darum, abgeholt zu werden.
In der Neu-Ulmer RatiopharmArena haben die Helfer Liegen für Patienten aufgebaut, die behandelt werden müssen – und Stühle und Tische für alle anderen, die nur eingeschränkt mobil sind. Thorsten Haselau geht zu Fuß vom Rettungswagen dorthin. Der 56-Jährige lehnt seine Krücken an den Tisch und lässt sich nieder. „Das wird jetzt eine Weile dauern“, sagt er.
Nicht alle Neu-Ulmer wollen das Sperrgebiet verlassen. In Trupps zieht die Polizei durch die Innenstadt, läutet an allen Türen. Knapp 60 Bürger bestehen darauf, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Gut fünf Stunden dauert die Evakuierung, zwischen 8.20 und 13.25 Uhr sind die Einsatzkräfte in den Straßen von Neu-Ulm unterwegs. Kurz darauf geht es los, Sprengmeister Roger Flakowski entschärft den 450 Kilo schweren Blindgänger. „Die Zünder haben keine Probleme gemacht“, sagt er später. Die Herausforderungen sind andere: Kies hatte sich am Sprengkörper verfestigt, die Bombe muss zuerst sauber gemacht werden. Außerdem zieht ein Gewitter auf. Gegen halb zwei donnert es in Neu-Ulm. Die Bombe bleibt still. Die Gefahr ist gebannt – und Thorsten Haselau darf wieder zurück in seine Wohnung.
60 Menschen verlassen Sperrgebiet nicht