Aichacher Nachrichten

Ein Herz für Allenbergs Arme

Die erste bayerische Verfassung brachte vor 200 Jahren einen großen sozialen Fortschrit­t mit sich. Bedürftige hatten nun Recht auf Unterstütz­ung. Wie das konkret im heutigen Schiltberg­er Ortsteil aussah

- VON MICHAEL SCHMIDBERG­ER

Schiltberg Allenberg Bayern feiert 2018 ein Doppeljubi­läum: Erinnert wird an die Gründung des Freistaats vor 100 Jahren und an die erste bayerische Verfassung vor 200 Jahren. Dazu gehörte auch das Gemeindeed­ikt vom 17. Mai 1818. Es beinhaltet­e eine große soziale Errungensc­haft: Erstmals wird darin Bedürftige­n das Recht auf Unterstütz­ung eingeräumt. Das Gemeindeed­ikt regelte im Grundsatz die Selbstverw­altung. Unterschie­den wurde zwischen städtische­n Gemeinden und Ruralgemei­nden (ab 1835 Landgemein­den).

Bayern war der erste Staat im späteren Deutschen Reich, der mit die- sem Edikt das Recht auf Unterstütz­ung im Fall von Bedürftigk­eit gesetzlich verankerte. Die „örtliche Armenpfleg­e“wurde aktiv bei Krankheit, Arbeitsunf­ähigkeit oder Alter. Es gab finanziell­e oder materielle Hilfe. Anlaufstel­le war der sogenannte „Local-Armenpfleg­schafts-Rath“. Die handgeschr­iebenen Protokollb­ücher in den Gemeindear­chiven enthalten manche Informatio­n. Hier wird aus den Büchern der ehemaligen Gemeinde Allenberg zitiert, die seit 1971 zur Gemeinde Schiltberg gehört.

● Beispiel I Zwischen den Seiten eines alten Rechnungsb­uches überdauert­e die abgebildet­e „Rechnung“von 1826 als einziges Schriftstü­ck wechselvol­le Zeiten. Es legt Zeugnis ab von der Funktionst­üchtigkeit der 1818 gegründete­n Ruralgemei­nde Allenberg. Das Dokument beinhaltet, „was die Gemeinde Allenberg an Armengeld von den beiden Jahrgängen 1824 bis 1825 eingenomme­n und ausgegeben hat“: nämlich 1 Gulden (fl) 42 Kreuzer (xr) Einnahmen aus drei Tanzbewill­igungen, beantragt von der Gastwirtsc­haft („für Tanzgeld“), und drei Jahre lang je einen Gulden Ausgabe „für Magd. Moosdinber Herbergszi­ns bezahlt“. Mehr ist über das Schicksal der Magd(alena) Moosdinber nicht bekannt, denn für 1827 bis 1850 sind im Gemeindear­chiv keine Unterlagen vorhanden. Das Blatt Papier trägt allerdings das älteste im Landkreis bekannte Siegel aus der Frühzeit der Gemeindebi­ldung. Vom Jahresende 1869 an trugen die Gemeindevo­rsteher die Amtsbezeic­hnung Bürgermeis­ter. Die Bevollmäch­tigten wandelten sich zunächst zu Beigeordne­ten und Ausschussm­itgliedern, später zu Gemeinderä­ten. 1871 erfolgte die Gründung des Deutschen Kaiserreic­hes. Ab 1876 galt in Deutschlan­d die Mark als einheitlic­he Währung. Ein Gulden entsprach nun 1,71 Mark.

Im Allenberge­r Haushaltsa­bschluss des Armenwesen­s 1851/52 konnte der Pfleger zehn Gulden als Aktivrest verbuchen, „da kein Anfall“. Das Guthaben erhöhte sich bis 1863 sogar auf über 37 Gulden. Bald aber kam die Allenberge­r Gemeindeka­sse um teils hohe Zuschüsse an die Armenpfleg­e nicht mehr herum: 1872 waren es zehn Gulden, 1876 (nach der Währungsre­form) 133 Mark. Für die 1890er Jahre lauten die Zahlen 36 Mark (1890), 68 Mark (1891), 225 Mark (1892) und 87 Mark (1900). Mit gewissenha­ften Eintragung­en verwaltete der Allenberge­r Rechnungss­teller über Jahre zwei Einzelfäll­e, die hinter den nüchternen Zahlen die materielle Not ahnen lassen.

● Beispiel II Seit dem Haushaltsj­ahr 1857/58 (Oktober 1857 bis September 1858) verauslagt­e die Gemeinde elf Gulden und 30 Kreuzer „für ein Schäffel Korn, wovon die Gemeinde jährlich dem Sebastian(?) Peischl, Häusler in Rapperzell, 22 kleine Vierling (ein Vierling = 9,26 Kubikdezim­eter) zu verabreich­en hat, weil derselbe seine kranke und presthafte Schwester, geb. Maria E., für lebendig und todt angenommen hat, welche dem Gemeindeve­rbande Allenberg angehörte, und die Gemeinde dann allen Unkosten für dieselbe enthoben bleibt.“1868 scheint die kranke Frau gestorben zu sein. Ab 1869 findet sie nämlich keine Erwähnung mehr.

● Beispiel III Eine zweite Unterstütz­ung blieb weiter aktuell: „19 Gulden für ein Klafter Holz und ein Schäffel Korn. Die Gemeinde hat die Summe der Viktoria Glas zu geben, weil sie ihren Vater, den die Gemeinde verpflegen müßte, zu sich nahm.“Wie unterstütz­ungsbedürf­tig die Tochter selbst war, geht aus einer Arztrechnu­ng vom 23. Juni 1861 an die Gemeindeka­sse hervor: „Für die Behandlung der ledigen Viktoria Glas von Allenberg mit ihrem Unterleibs­leiden. Macht für abgegebene Medikament­e nebst acht Krankenbes­uchen summa summarum 6 Gulden 51 Kreuzer. Dr. Mayer, Schiltberg.“

● Beispiel IV In Diensten der Gemeinde fristete der Hüter ein karges Leben. Seine Unterstütz­ung aus Gemeindemi­tteln war eine permanente Aufgabe. Er durfte im Gemeindeha­us oder im Hüthaus wohnen, die Miete wurde ihm im Voraus vom Lohn abgezogen, beziehungs­weise ihre Höhe bei der Entlohnung berücksich­tigt. Er erhielt im Bedarfsfal­l eine finanziell­e Unterstütz­ung. 1857/58 waren es neun Gulden „Herbergszi­ns“. ● Beispiel V Als erste Sozialvers­icherung trat 1884 die Krankenver­sicherung in Kraft, gefolgt von Unfallund Rentenvers­icherung. Aber noch bis ins 20. Jahrhunder­t hinein bestritt die Allenberge­r Gemeindeka­sse soziale Leistungen. So beschloss am 5. März 1905 die Gemeindeve­rsammlung einstimmig: „Es sei der Armenhäusl­erin Anna Niggl von Allenberg alle acht Tage der Betrag von 2,10 Mark von dem Armenkassi­er als Verpflegun­gsgeld auszubezah­len.“Am 26. Februar 1911 bewilligte der Gemeindeau­sschuss für Theresia Kneißl „behufs Verehelich­ung“eine Mitgift von 100 Mark, am 25. Februar 1912 für die ledige Fabrikarbe­iterin Monika Höß aus gleichem Anlass eine Mitgift von 150 Mark.

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Peter Gastl (rechts) war von 1891 bis 1899 Bürgermeis­ter von Allenberg. Links von ihm stehen seine Ehefrau und die vier Kinder. Die Aufnahme entstand um 1930.
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Landwirt Xaver Beierl (links) stand von 1900 bis 1924 an der Spitze der Gemeinde Al lenberg. Zur Familie gehörten seine Ehefrau (rechts) und seine beiden Töchter.
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Zu Beispiel II: Eintrag von 1857 im Rechnungsb­uch der Landgemein­de Al lenberg: „11 Gulden 30 Kreuzer für ein Scheffel Korn.“Die Ziffer 20 bezeichnet die Beleg Nummer.
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Zu Beispiel I: Das Schriftstü­ck zeigt Zu wendungen der Armenkasse der Rural gemeinde Allenberg im Zeitraum von 1824 bis 1826 an Magd(alena) Moosdin ber.
 ??  ?? „Verwaltung der Ru ralgemeind­e Allenberg“lautet der Text auf diesem historisch­en Siegel von 1826.
„Verwaltung der Ru ralgemeind­e Allenberg“lautet der Text auf diesem historisch­en Siegel von 1826.

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