Ein Herz für Allenbergs Arme
Die erste bayerische Verfassung brachte vor 200 Jahren einen großen sozialen Fortschritt mit sich. Bedürftige hatten nun Recht auf Unterstützung. Wie das konkret im heutigen Schiltberger Ortsteil aussah
Schiltberg Allenberg Bayern feiert 2018 ein Doppeljubiläum: Erinnert wird an die Gründung des Freistaats vor 100 Jahren und an die erste bayerische Verfassung vor 200 Jahren. Dazu gehörte auch das Gemeindeedikt vom 17. Mai 1818. Es beinhaltete eine große soziale Errungenschaft: Erstmals wird darin Bedürftigen das Recht auf Unterstützung eingeräumt. Das Gemeindeedikt regelte im Grundsatz die Selbstverwaltung. Unterschieden wurde zwischen städtischen Gemeinden und Ruralgemeinden (ab 1835 Landgemeinden).
Bayern war der erste Staat im späteren Deutschen Reich, der mit die- sem Edikt das Recht auf Unterstützung im Fall von Bedürftigkeit gesetzlich verankerte. Die „örtliche Armenpflege“wurde aktiv bei Krankheit, Arbeitsunfähigkeit oder Alter. Es gab finanzielle oder materielle Hilfe. Anlaufstelle war der sogenannte „Local-Armenpflegschafts-Rath“. Die handgeschriebenen Protokollbücher in den Gemeindearchiven enthalten manche Information. Hier wird aus den Büchern der ehemaligen Gemeinde Allenberg zitiert, die seit 1971 zur Gemeinde Schiltberg gehört.
● Beispiel I Zwischen den Seiten eines alten Rechnungsbuches überdauerte die abgebildete „Rechnung“von 1826 als einziges Schriftstück wechselvolle Zeiten. Es legt Zeugnis ab von der Funktionstüchtigkeit der 1818 gegründeten Ruralgemeinde Allenberg. Das Dokument beinhaltet, „was die Gemeinde Allenberg an Armengeld von den beiden Jahrgängen 1824 bis 1825 eingenommen und ausgegeben hat“: nämlich 1 Gulden (fl) 42 Kreuzer (xr) Einnahmen aus drei Tanzbewilligungen, beantragt von der Gastwirtschaft („für Tanzgeld“), und drei Jahre lang je einen Gulden Ausgabe „für Magd. Moosdinber Herbergszins bezahlt“. Mehr ist über das Schicksal der Magd(alena) Moosdinber nicht bekannt, denn für 1827 bis 1850 sind im Gemeindearchiv keine Unterlagen vorhanden. Das Blatt Papier trägt allerdings das älteste im Landkreis bekannte Siegel aus der Frühzeit der Gemeindebildung. Vom Jahresende 1869 an trugen die Gemeindevorsteher die Amtsbezeichnung Bürgermeister. Die Bevollmächtigten wandelten sich zunächst zu Beigeordneten und Ausschussmitgliedern, später zu Gemeinderäten. 1871 erfolgte die Gründung des Deutschen Kaiserreiches. Ab 1876 galt in Deutschland die Mark als einheitliche Währung. Ein Gulden entsprach nun 1,71 Mark.
Im Allenberger Haushaltsabschluss des Armenwesens 1851/52 konnte der Pfleger zehn Gulden als Aktivrest verbuchen, „da kein Anfall“. Das Guthaben erhöhte sich bis 1863 sogar auf über 37 Gulden. Bald aber kam die Allenberger Gemeindekasse um teils hohe Zuschüsse an die Armenpflege nicht mehr herum: 1872 waren es zehn Gulden, 1876 (nach der Währungsreform) 133 Mark. Für die 1890er Jahre lauten die Zahlen 36 Mark (1890), 68 Mark (1891), 225 Mark (1892) und 87 Mark (1900). Mit gewissenhaften Eintragungen verwaltete der Allenberger Rechnungssteller über Jahre zwei Einzelfälle, die hinter den nüchternen Zahlen die materielle Not ahnen lassen.
● Beispiel II Seit dem Haushaltsjahr 1857/58 (Oktober 1857 bis September 1858) verauslagte die Gemeinde elf Gulden und 30 Kreuzer „für ein Schäffel Korn, wovon die Gemeinde jährlich dem Sebastian(?) Peischl, Häusler in Rapperzell, 22 kleine Vierling (ein Vierling = 9,26 Kubikdezimeter) zu verabreichen hat, weil derselbe seine kranke und presthafte Schwester, geb. Maria E., für lebendig und todt angenommen hat, welche dem Gemeindeverbande Allenberg angehörte, und die Gemeinde dann allen Unkosten für dieselbe enthoben bleibt.“1868 scheint die kranke Frau gestorben zu sein. Ab 1869 findet sie nämlich keine Erwähnung mehr.
● Beispiel III Eine zweite Unterstützung blieb weiter aktuell: „19 Gulden für ein Klafter Holz und ein Schäffel Korn. Die Gemeinde hat die Summe der Viktoria Glas zu geben, weil sie ihren Vater, den die Gemeinde verpflegen müßte, zu sich nahm.“Wie unterstützungsbedürftig die Tochter selbst war, geht aus einer Arztrechnung vom 23. Juni 1861 an die Gemeindekasse hervor: „Für die Behandlung der ledigen Viktoria Glas von Allenberg mit ihrem Unterleibsleiden. Macht für abgegebene Medikamente nebst acht Krankenbesuchen summa summarum 6 Gulden 51 Kreuzer. Dr. Mayer, Schiltberg.“
● Beispiel IV In Diensten der Gemeinde fristete der Hüter ein karges Leben. Seine Unterstützung aus Gemeindemitteln war eine permanente Aufgabe. Er durfte im Gemeindehaus oder im Hüthaus wohnen, die Miete wurde ihm im Voraus vom Lohn abgezogen, beziehungsweise ihre Höhe bei der Entlohnung berücksichtigt. Er erhielt im Bedarfsfall eine finanzielle Unterstützung. 1857/58 waren es neun Gulden „Herbergszins“. ● Beispiel V Als erste Sozialversicherung trat 1884 die Krankenversicherung in Kraft, gefolgt von Unfallund Rentenversicherung. Aber noch bis ins 20. Jahrhundert hinein bestritt die Allenberger Gemeindekasse soziale Leistungen. So beschloss am 5. März 1905 die Gemeindeversammlung einstimmig: „Es sei der Armenhäuslerin Anna Niggl von Allenberg alle acht Tage der Betrag von 2,10 Mark von dem Armenkassier als Verpflegungsgeld auszubezahlen.“Am 26. Februar 1911 bewilligte der Gemeindeausschuss für Theresia Kneißl „behufs Verehelichung“eine Mitgift von 100 Mark, am 25. Februar 1912 für die ledige Fabrikarbeiterin Monika Höß aus gleichem Anlass eine Mitgift von 150 Mark.