Aktive Wehr hört nach 123 Jahren auf
Im Pöttmeser Ortsteil Reicherstein gibt es nicht genug Aktive, die die Grundausbildung absolvieren. Der Verein bleibt bestehen. Kommandant spricht von einem generellen Problem
Pöttmes Reicherstein In Handzell und Wiesenbach wird im Mai und im Juni groß gefeiert. In beiden Pöttmeser Ortsteilen steht das 125. Jubiläum der jeweiligen Freiwilligen Feuerwehr an. In Reicherstein, nur drei Kilometer von Wiesenbach entfernt, jährt sich die Gründung der Feuerwehr heuer zum 124. Mal. Doch sie hat keine aktive Truppe mehr. Diese stellte im Herbst ihren Dienst ein. Die benachbarte Feuerwehr Echsheim übernimmt nun den Brandschutz für Reicherstein.
Seit Langem tat sich die Reichersteiner Wehr schwer, genug Nachwuchs zu finden. Zum einen hat der Ort gerade mal 150 Einwohner, zum anderen gibt es mit der OberlandTheatergruppe, den Schützen oder dem Sportverein alternative Angebote für Leute, die sich einem Verein anschließen möchten.
Johann Müller, seit vier Jahren Kommandant in Reicherstein, macht noch eine andere Ursache dafür aus, warum immer weniger Interesse am aktiven Feuerwehrdienst bestand: die modulare Truppausbildung (MTA), also die Grundausbildung. „Das sind über 100 Stunden, die Sie freiwillig ableisten müssen, damit Sie Feuerwehrmann sein dürfen“, sagt er. In seinen Augen zu viel. Manche Themen seien praxisfremd, kritisiert er. 30 bis 40 Stunden wären seiner Ansicht nach ausreichend. Er vermisst eine „bessere Unterscheidung, wer was braucht“.
Das sei nicht nur bei der Grundausbildung, sondern auch bei den Kommandanten-Lehrgängen so. Dort säßen Ehrenamtliche und Berufsfeuerwehrler in einem Raum. „Das ist den Leuten schlecht zu vermitteln, dass sie die gleiche Ausbildung brauchen wie ein Berufsfeuerwehrler“, so Müller. Bei der Grund- ausbildung sei es genauso: „Man muss nicht wissen, wie eine Drehleiter funktioniert, wenn man nicht mal eine Steckleiter auf dem Wagen hat.“Müller, 45 Jahre alt und seit 1991 im Vorstand tätig, verfolgt die Entwicklung seit Langem und ist überzeugt: „Kleine Feuerwehren macht man mit so was kaputt.“
Die Einsatzbereitschaft der Aktiven sei durchaus vorhanden gewesen. „Es war nicht so, dass es niemanden juckt, wenn die Sirene geht“, stellt er klar. Das Aus der aktiven Truppe sei aber letztlich die Konsequenz aus dem mangelnden Wissensstand gewesen. „Ohne die Grundausbildung darfst du gar nicht mehr ausrücken.“Denn wenn dann etwas passiere, stehe er als Kommandant in der Verantwortung.
Kreisbrandrat Christian Happach widerspricht Müllers Grundsatzkritik: Die Ausbildung sei schon vereinfacht und auf das Grundwissen eingedampft worden. Als es noch den Truppmann 1, Truppmann 2 und Truppführer gab, seien 300 Ausbildungsstunden zusammengekommen. Seit vor circa fünf Jahren auf die MTA umgestellt wurde, seien es nur noch 120. Während sich die Ausbildung früher über drei oder vier Jahre hingezogen habe, könnten Aktive sie jetzt in anderthalb Jahren durchziehen. Der Lehrgang sei so abgestimmt, dass jede Feuerwehr mit einem kleineren Fahrzeug über das nötige Grundwissen verfüge. „Einen gewissen Grundstock sollte jeder Feuerwehrler kennen – auch um sich selbst zu schützen“, betont Happach.
Kritische Stimmen wie die aus Reicherstein kenne er zwar, bestätigt Happach. Meist relativiere sich das aber im Gespräch. Er empfehle Feuerwehren, sich bei der Ausbildung zusammenzutun wie beispielsweise Aichach und Pöttmes.
Das sieht Erich Poisl, Feuerwehrreferent im Markt Pöttmes, ähnlich. Er ist seit fast vier Jahrzehnten bei der Feuerwehr aktiv. Von 2006 bis 2012 war er Kreisbrandinspektor, 2011 für kurze Zeit übergangsweise Kreisbrandrat. Auch ihm kommen immer wieder kritische Töne über die aufwendige MTA zu Ohren.
Doch die Anforderungen bei Erster Hilfe und Technik würden immer höher, sagt Poisl. „Früher gab’s keine Biogasanlagen. Früher gab’s keine Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Da muss auch der Feuerwehrmann Bescheid wissen.“Er nennt ein weiteres Beispiel: Früher habe die Feuerwehr einen Unfallwagen einfach aufgeschnitten; heute müsse sie darauf achten, dabei nicht versehentlich Airbags auszulösen. Poisl sagt, um die MTA zu reduzieren, könnten Kommandanten einige Bestandteile in Übungen behandeln.
Reicherstein geht einen anderen Weg. Der Feuerwehr-Verein bleibt bestehen und nutzt das Gerätehaus weiterhin. Doch die aktive Truppe ist Geschichte. Die Schutzanzüge hat Müller nach Pöttmes gebracht. Ein schwerer Gang für den Kommandanten. Doch er ist sicher, dass Reicherstein kein Einzelfall ist: „Die nächsten fünf, sechs Jahre wird die ein oder andere Feuerwehr auf der Strecke bleiben.“