Auf Golf Kurs
Der Ford Focus will dem Platzhirsch der Kompaktklasse ans Leder. Warum es dafür nicht ganz reicht
Faszinierend: Selbst nach fast drei Jahren hat Volkswagen die Dieselkrise noch nicht überwunden, doch alle Skandale scheinen an dem Autobauer abzuperlen wie an einer Teflonpfanne. VW fährt Verkaufsrekorde ein und dass jemals ein Mitbewerber den Bestseller VW Golf vom Thron der Kompakt-Klasse schubsen könnte, scheint ausgeschlossen. Diese Gefahr geht auch vom neuen Ford Focus nicht aus, der dafür die ein oder andere Schwäche zu viel hat.
Auf den ersten Blick erkennbar sind diese nicht: Der Focus steht gut da, ist seinen Abmessungen treu geblieben, wirkt aber dank des stark abfallenden Dachs um einiges sportlicher; der große Kühlergrill nach Aston-Martin-Manier tut da sein Übriges. Die schlanke Linie birgt aber schon den ersten Nachteil: Während man im Fond die Beine noch problemlos verstauen kann, wird es am Kopf ziemlich eng. Auch der Kofferraum liegt mit 341 Litern Stauraum nur im Mittelfeld. Mehr passt in den Kombi Turnier, der zusammen mit dem Steilheckmodell für 1000 Euro mehr ab September beim Händler steht; stolze 1653 Liter schluckt hier der Laderaum.
Freude kommt auf, wenn man die erste Reihe entert: Das Cockpit ist geräumig, ordentlich verarbeitet und endlich ist die bisherige Tastenund Schalterflut verschwunden. Die meisten Funktionen sind im neuen, ab der zweiten Ausstattungslinie inklusive Navigation serienmäßigen „Sync3-Infotainmentsystem“mit 8-Zoll-Touchscreen gebündelt, an das sich problemlos Apple- und Android-Smartphones anschließen lassen. Auf unserer ersten Testrunde reagiert der Computer dahinter allerdings nicht besonders schnell auf Fingerabdrücke und nicht alle Menüs und Funktionen sind logisch angeordnet. Das gilt auch für den Bordcomputer zwischen den immer analogen Rundinstrumenten, der etwas umständliche über zahlreiche Lenkradtasten bedient wird. Neu hinzugekommen ist ein Head-upDisplay, allerdings eignet sich die Lösung mit einer aus dem Armaturenbrett ausklappenden Scheibe nur für kleine Fahrer, alle anderen sehen Infos leider auf der Motorhaube statt auf der Straße vor dem Wagen.
Unter der Motorhaube stecken alte Bekannte, allen voran die turbogeladenen Einliter-Benziner (ab 18700 Euro) mit 85, 100 und 125 PS. Das Aggregat selbst ist technisch top und hat nicht umsonst schon mehrfach den Engine-of-the-YearPreis gewonnen. Allein es ist und bleibt nun mal ein Dreizylinder. Der klingt auch im Focus angestrengt-kernig und keinesfalls souverän; ein Umstand, der übrigens auch für den 1,5-Liter-Vierzylinder-Diesel (ab 22 800 Euro) mit wahlweise 95 oder 120 PS gilt. Kraft genug, um den 1,4 Tonen schweren Focus alltagsflott zu bewegen hat zumindest der stärkste Einliter-Otto trotzdem, und auch der Unterbau ist markentypisch straff abgestimmt und erlaubt – nicht zuletzt dank der tadellosen Lenkung – einen heißen Reifen. In Sachen Komfort muss man jedoch, zumindest bei den von uns gefahrenen Vorserien-Fahrzeugen, Abstriche machen. Beim Geradeauslauf auf der Autobahn wirkt das Fahrwerk nervös und zittrig und so manche Querfuge in der Kurve brachte den Fokus aus der Ruhe.
Wie gut, dass der Kompakte mit Assistenzsystemen vollgestopft ist, ab Werk hält er sogar selbsttätig die Spur und warnt vor Auffahrunfäldie len. Optional gibt es unter anderem einen Abstandstempomat mit Staupilot, den selbsttätigen Parkassistenten und einen Warner vor Geisterfahrer-Auffahrten auf die Autobahn.
Zurück zum Fahrwerk: Mag sein, dass das Fahrverhalten bei den stärkeren Motoren anders ist. Bei den nicht zur Testfahrt angetretenen 1,5-Liter-Benzinern (150 und 182 PS, ab 25 200 Euro) sowie dem Zweiliter-Diesel (ebenfalls 150 PS) verbaut Ford hinten statt einer Verbundeine Mehrlenker-Achse, die Komfort und Agilität gleichermaßen entgegenkommen sollte; für diese Focus-Varianten hält der Hersteller außerdem ein adaptives Fahrwerk bereit. Ebenfalls den stärkeren Motoren vorbehalten ist auch mit die neue, fein abgestimmten Achtgang-Automatik, die statt eines Schalthebels einen Drehregler auf dem Mitteltunnel mitbringt.