Sonnenuntergänge und fernwehmütige Blicke
Die Straßen Augsburgs sind leer – als hätte jemand einen Kescher genommen, die sonst heiter wuselnden Menschen eingefangen und an einen kühleren Ort verbannt. Doch wo sind diese schattigen Zufluchtsorte?
Es ist mitnichten der Rathausplatz. Der zentrale Wimmelort ähnelt mehr einem Amphitheater, wenn die Bühne noch leer steht und die Zuschauerränge sich unter Geplapper und Gewusel langsam füllen. Die Zuschauertribüne ist der äußere Schattenring, in dem sich die Passanten von den Sonnenstrahlen erholen. Schattenspender ist das Stichwort in diesen Tagen, an denen man das Schwitzen um einiger Sonnenstrahlen willen nicht mehr in Kauf nehmen möchte.
Einige Orte gibt es in der Stadt, an denen man das Nützliche mit dem Angenehmen verbindet: Flucht vor der Hitze, ohne dabei auf eine erholende und idyllische Umgebung zu verzichten. Der Hofgarten zum Beispiel hat unangefochten magnetische Wirkung, wenn es darum geht, eine kleine Oase in der Innenstadt zu finden. Der mit Bäumen und Blumen bepflanzte Mini-Park leistet für Jung und Alt Großes. Man begegnet hier bei kühlem Bier picknickenden Jugendlichen, eifrigen Künstlern, die sich von dem Panorama inspiriert sehen, Bücherwürmern, die ihrer Lektürelust durch den offenen Bücherschrank freien Lauf lassen können, Kindern, die ihre ersten Schritte in der Wiese tun können, aber auch solchen, die es seit längerem beherrschen und dies in dem Springbrunnen unter Beweis stellen wollen. Es ist aber auch ein Refugium für alle, die vor, während oder nach der Arbeit zur Ruhe kommen und Kräfte tanken wollen.
Eine von ihnen ist Shirly Ritzinger, 46, die mit ihrer Tochter Jill, 28, und der sechsjährigen Enkelin Mia vor deren Arbeitsantritt in den Hofgarten gekommen ist. Man hat beinahe das Gefühl, als würde die Familie diesen Ort mitten in der Stadt dem Paradies gleichsetzen: „Es ist ein schönes Örtchen. Es ist gut zu erreichen und wir kommen ziemlich oft hierher. Es ist friedlich und nicht so hektisch wie in der Stadt. Es sieht aus wie im Urlaub.“
Urlaubsgefühle stellen sich auch beim Besuch des Kuhsees ein. Ein voller Parkplatz, am Ufer wuseln Kinder mit und ohne Schwimmflügel, in den seichten Bereichen ergründen die ganz Kleinen das Wunder Wasser und die ein wenig Größeren vergnügen sich im tieferen Wasser beim Stand-Up-Paddling. Der Kuhsee ist Augsburgs Hauptattraktion für Eltern: „Für Kinder ist es angenehm flach und man hat alles im Blick“, sagt Elisabeth Andraschko, 33, die mit ihrer fünfjährigen Tochter Amy-Lynn, die sehnsüch- tig ihre Spielkameradin erwartet, die Sommerstunden auskostet. Zudem sei der See gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, es sei auch angenehmer als im Freibad. Der Kuhsee ist für Andraschko aus dem Stadtbild nicht mehr wegzu- sphäre ist auch der Grund, warum sich die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der Kleiderläden des Roten Kreuzes diesen Ort für ihre Sommerfeier ausgesucht haben. Und das auch nicht zum ersten Mal. „Es ist eine Oase“, sagt Gertrud Rapp, die Leiterin der Kleiderläden. Alle anderen Damen stimmen unisono zu: Es sei ruhig und gut angebunden. Selbst das aufkommende Sommergewitter kommt nicht gegen die heitere Stimmung an.
Der Himmel hat sich am Mittwochabend entladen, der Regen hat der Stadt eine nasse Abkühlung verpasst und die Abendsonne wirft einen warmen Rot-Gelb-Schleier über Augsburg. Dieses Farbenspiel kann man unnachahmlich an der Bismarckbrücke im Bismarckviertel bewundern. Der vornehmlich unter der Bismarck’schen Bevölkerung oder deren Freunden bekannte Spot ist ideal für Feierabendausklänge, Kleinpicknicks, als romantischer Aussichtspunkt für Sonnenuntergänge, aber vor allen Dingen für fernwehmütige Blicke, die sich mit dem Weg der Gleise dem Horizont annähern. Abel García, 31, und Kerstin Woinowski, 25, überkommt da die Sehnsucht nach geliebten Orten – ihn nach München, wo seine Freundin lebt, und sie nach ihrer Heimatstadt Heilbronn. Selbst das laute Vorbeidonnern der Züge trägt zu dieser urbanen Idylle bei.