Fließt das Geld ins Militär statt in zivile Hilfe?
Vorwürfe Wenn von der Bekämpfung von Fluchtursachen geredet wird, sei allzu oft Flüchtlingsbekämpfung gemeint, kritisiert das Hilfswerk Brot für die Welt. Die Reaktion von Entwicklungsminister Müller fällt überraschend aus
Berlin Die Hilfsorganisation Brot für die Welt geht mit der Politik hart ins Gericht. „Wenn von Fluchtursachenbekämpfung die Rede ist, geht es in Wirklichkeit häufig um Flüchtlingsbekämpfung“, sagte die Präsidentin des evangelischen Entwicklungswerks, Cornelia FüllkrugWeitzel, am Donnerstag in Berlin. Finanzielle Ressourcen der offiziellen Entwicklungshilfe würden für Maßnahmen eingesetzt, um Menschen mit allen Mitteln davon abzuhalten, Europas Grenzen zu überschreiten. An der Gewalt, den Menschenrechtsverletzungen und der Perspektivlosigkeit in den Herkunftsländern der Flüchtlinge ändere sich dadurch gar nichts. „Hier von Fluchtursachenbekämpfung zu reden, ist Augenwischerei.“
Mit großer Sorge, so FüllkrugWeitzel, sehe Brot für die Welt „den weltweiten Trend, Entwicklungsgelder auch für sicherheitspolitische und militärische Aufgaben oder Migrationskontrolle zu nutzen“. Eine solche „nicht deklarierte Mittelverwendung“werde zudem dazu beitragen, den Ruf der Entwicklungshilfe noch weiter zu ruinieren. Denn so würden völlig falsche Erwartungen geweckt. Wenn etwa mit Geld der Europäischen Union, das ausdrücklich für die Verhütung von Gewaltkonflikten und zivile Aktivitäten der Friedensförderung bestimmt war, Ausbildung und Ausrüstung von Militär in nordafrikanischen Ländern bezahlt werden, ändere das an der Not der Menschen gar nichts. Die Nutzung ziviler Budgets für eine „Vorverlagerung der Grenzen“schade der Glaubwürdigkeit der deutschen und europäischen Politik.
Wie reagiert Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) auf die Vorwürfe, die Brot für die Welt zwar nicht direkt an ihn, aber doch auch an die Bundesregierung richtet? Auf Nachfrage unserer Zeitung sagte er: „Wir stimmen überein: Entwicklungspolitik muss an den Ursachen von Flucht und illegaler Migration ansetzen.“Die Bundesregierung sieht er dabei auf einem guten Weg: „Wir haben allein im Kampf gegen den Hunger unser Engagement für ländliche Entwicklung in den letzten vier Jahren von einer auf 1,5 Milliarden Euro jährlich gesteigert.“Nachholbedarf erkennt Müller aber bei der Europäischen Union. Die müsse sich „viel stärker engagieren als bislang“, so der Kemptener. „Im nächsten EU-Haushalt stehen 370 Milliarden Euro für den europäischen Agrarsektor zur Verfügung, für Afrika sind aber gerade einmal 39 Milliarden Euro bis 2027 vorgesehen. Das wäre lediglich eine Milliarde mehr pro Jahr als bislang“, sagt Müller. So werde Europa der „Jahrhundertaufgabe Afrika“nicht gerecht.
Von der Bundesregierung, vor allem vom Entwicklungsministerium, stammt mit gut 150 Millionen auch der Löwenanteil der Einnahmen von Brot für die Welt, die sich 2017 auf rund 282 Millionen Euro summierten. Der Rest sind vor allem Spenden, Kollekten und Kirchensteuermittel. Brot für die Welt fördert derzeit mehr als 1800 Projekte in 90 Ländern. Ein Beispiel: In Äthiopien haben 990 Familien – ein Drittel von ihnen sind Flüchtlinge aus dem umkämpften Südsudan – verbesserte Anbaumethoden für Mais, Bohne und Kürbis gelernt. „Auch um dem Klimawandel zu trotzen“, so Füllkrug-Weitzel, denn der sei mitverantwortlich dafür, dass sich immer mehr Menschen auf die Flucht machten. Fast 70 Millionen Männer, Frauen und Kinder befinden sich nach ihren Angaben heute auf der Flucht, so viele wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Hauptlast des Flüchtlingselends tragen demnach nicht die reichen europäischen Länder, sondern arme und sehr arme Staaten. Auch die Zahl der Hungernden sei angestiegen, auf insgesamt 815 Millionen.
Neben echter Fluchtursachenbekämpfung statt Flüchtlingsbekämpfung wünscht sich Brot für die Welt auch, dass die Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit nicht durch Entscheidungen anderer Ressorts zunichtegemacht werden. FüllkrugWeitzel nennt als Beispiele Waffenexporte in Krisenregionen oder unfaire Wirtschaftsbeziehungen. Auch in diesem Punkt stimmt ihr Entwicklungsminister Müller zu: „Wir müssen die afrikanischen Staaten unterstützen, Wertschöpfung vor Ort aufzubauen und in Europa die verbliebenen Handelshemmnisse endlich vollständig abbauen.“Tunesien etwa dürfe nur eine geringe Menge Olivenöl zollfrei nach Europa exportieren. „Solche Beschränkungen verhindern eine Wachstumsdynamik, die neue Jobs für die jungen Menschen vor Ort schafft“, so Müller.
„Entwicklungspolitik muss an den Ursachen von Flucht und illegaler Migration ansetzen.“
Gerd Müller, Entwicklungshilfeminister