Selbstüberschätzung beim Dating
Viele schreiben bei Online-Portalen potenzielle Partner an, die für sie eigentlich viel zu hübsch sind. Woher das kommt
Michigan Beim Online-Dating herrscht offenbar oftmals ordentliche Selbstüberschätzung. Die meisten Menschen schauen jedenfalls nach Partnern, die um einiges attraktiver sind als sie selbst. Die Mehrheit sucht Menschen, die „außerhalb ihrer Liga spielen“, wie es US-Forscher im Fachblatt Science Advances beschreiben. Männer und Frauen, so die Bilanz der Studie, schreiben bei der Online-Partnersuche Menschen an, die im Durchschnitt um 25 Prozent attraktiver sind als sie selbst.
Schon lange lernen sich Paare bekanntlich nicht mehr nur am Arbeitsplatz oder über Freunde kennen, sondern zu großen Teilen auch über das Internet. In Deutschland hat beispielsweise schon jeder sechste Internetnutzer ab 14 Jahren versucht, über Online-Dating-Portale oder entsprechende Apps einen Partner zu finden, wie eine Erhebung der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien zeigt. Und dabei ist diese Art der Partnersuche völlig unabhängig von Bildung oder Einkommen.
Die Soziologin Elizabeth Bruch und der Physiker Mark Newman von der Universität Michigan hatten für die neue Studie wissenschaftlich untersucht, welche Strategien – heterosexuelle – Menschen beim Online-Dating verwenden. Dafür stuften sie die Attraktivität von Nutzern eines Online-Netzwerks aus New York, Boston, Chicago und Seattle nach einem bestimmten Bewertungsmechanismus ein.
Grundlage war die Anzahl von Nachrichten, die ein Teilnehmer auf seine Anzeige im Dating-Portal erhielt. Im Ergebnis erhielten die Forscher eine Attraktivitätshierarchie der Nutzer. „Anstatt uns auf Schätzungen zu verlassen, um herauszufinden, was Menschen anziehend finden, erlaubt uns dieser Ansatz, Attraktivität danach zu messen, wer die meiste Aufmerksamkeit von wem bekommt“, erklärte Physiker Newman.
Diese Vorgehensweise sei die erste ihrer Art, betonen die Autoren. Die Psychologin Christiane Eichenberg von der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien findet den Ansatz interessant: Für sie hängt die Wahl eines attraktiveren Partners beim Online-Dating mit den Vorteilen des Internets zusammen: „Anscheinend haben die Suchenden weniger Scheu, da die Kränkung einer potenziellen Ablehnung online weniger drastisch ist, als sie es in einer Situation von Angesicht zu Angesicht wäre.“Im schlimmsten Fall bekomme man im Internet einfach keine Antwort.
Online-Dating vermittelt zudem das Gefühl, ständig neue Kontakte anbahnen zu können, so Eichenberg: „Wieso sollte man es dann nicht mit dem ,Besten‘ versuchen, gerade wenn die Kosten etwa in Form des Kränkungspotenzials so gering sind?“Ein weiteres Ergebnis der Studie: Beziehungswillige Menschen schreiben im Netz viele und längere Nachrichten an Menschen „außerhalb ihrer Liga“. Aber: Die Nachrichten bleiben oft unbeantwortet. „Das ist eine häufige Beschwerde der Nutzer von OnlineDating-Seiten“, so Soziologin Bruch. „Doch obwohl die Rücklaufquote niedrig ist, zeigt unsere Analyse, dass 21 Prozent der Menschen, die ein ehrgeiziges Verhalten an den Tag legen, eine Antwort von jemandem bekommen, der attraktiver ist. Beharrlichkeit zahlt sich also aus.“
Einen weiteren Aspekt ergänzt Christiane Eichenberg: Der Erfolg bei einem Partner, der attraktiver ist, bedeutet eine Aufwertung des eigenen Selbst.
Viel wichtiger schlussendlich ist allerdings natürlich die Frage, ob dann Partnerschaften überhaupt zustande kommen und wie tragfähig sie sind. Der weitere Verlauf der Paaranbahnung wurde in der Studie nicht verfolgt.
Die US-Wissenschaftler verglichen noch die Attraktivitätshierarchie mit Eigenschaften der Nutzer. So war etwa ein Ergebnis, dass bis zum Alter von 50 Jahren ältere Männer höhere Attraktivitätswerte hatten als jüngere. Bei Frauen nahm dieser Wert hingegen im Alter von 18 bis 60 Jahren kontinuierlich ab.
Doch das sei nur eine Tendenz, sagten die Forscher. Es könne durchaus Nischen geben, in denen diese Rangfolgen nicht gelten würden und in denen Menschen, die auf einer solchen Skala nicht weit oben stünden, dennoch ein „großartiges und erfülltes Dating-Leben“hätten, so Bruch. Zudem sei das in der Studie errechnete Attraktivitätslevel nur in der ersten Phase der Partnerwerbung bedeutend. Andere Studien hätten gezeigt, dass einzigartige Charakterzüge im weiteren Verlauf immer wichtiger werden.
Dies betont auch Psychologin Eichenberg: Beim Online-Dating findet das Kennenlernen „von innen nach außen“statt – passe das erste Foto, werden Äußerlichkeiten erst einmal zurückgestellt und viel kommuniziert: „Doch spätestens beim ersten echten Treffen fallen diese Äußerlichkeiten wieder ins Gewicht und dann ist die Frage, ob die online aufgebaute Beziehung bis dahin schon so eine Intensität hat, dass die optische Attraktivität nicht mehr so wichtig ist.“Zudem sind die Vorstellungen von Partnerschaften stark kulturabhängig. Das heißt: Es müsste erst einmal überprüft werden, ob die Ergebnisse von Bruch und Newman beispielsweise auf Deutschland übertragbar sind. Oder auf Menschen, die auf dem Land leben. Und ob die Ergebnisse unter Umständen in verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich ausfallen.