Gänsehaut im halb gefüllten Stadion
Berlin nimmt Fahrt auf. Die Hauptstadt hat anfangs ein bisschen gefremdelt mit der Europameisterschaft der Leichtathleten. In der Stadt ist nichts zu sehen von dem Großereignis. Nur rund um den Breitscheidplatz präsentiert sich die EM deutlich erkennbar. Dort wurde eine Verkehrsachse gesperrt, dort stehen große Tribünen und Banner.
Europäische Meile nennen die Organisatoren diesen Ort, der 2016 Schauplatz eines brutalen Anschlags war. Das Herz der EM ist aber das Olympiastadion. 35000 Zuschauer kamen am ersten Wettkampftag, 37 000 am zweiten. Gestern war die genaue Zahl bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt, aber die freien Sitze werden weniger. Der Trend geht in die richtige Richtung. Am Wochenende soll das weite Rund dann komplett gefüllt sein.
Es ist das Schicksal der Leichtathletik, dass ihr die Wettkampfstätten ausgehen. In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren ein Stadion nach dem anderen umgebaut. Die Tartanbahnen müssen dem Fußball weichen, denn dort sollen die Zuschauer möglichst nahe am Spielgeschehen sitzen. Das Berliner Olympiastadion ist eines der letzten des Landes, das für eine Leichtathletik-EM oder -WM geeignet ist. Aber auch hier wird über einen Umbau diskutiert. Der Bundesligist Hertha BSC will dem Trend folgen und ein reines Fußballstadion.
Noch aber ist die blaue Laufbahn das Markenzeichen des Olympiastadions. Dort lief Usain Bolt 2009 seine Fabel-Weltrekorde über 100 und 200 Meter, die bis heute Bestand haben. Einziger Nachteil ist das gewaltige Fassungsvermögen. 70 000 Menschen sind für die Leichtathletik eine kaum erreichbare Größenordnung. Dass aber auch die Hälfte ausreicht, um für eine faszinierende Atmosphäre zu sorgen, war am Mittwochabend zu sehen. Als sich Diskuswerfer Robert Harting verabschiedete, war die Stimmung beeindruckend.
Als dann aber kurz darauf die Zehnkämpfer ihren Wettkampf mit den 1500 Metern abschlossen, hielt es niemand mehr auf den Sitzen. Gänsehaut pur. Den Moment, als er ins Ziel lief, werde er nie vergessen, sagte der Europameister Arthur Abele. Vielen Zuschauern dürfte es ähnlich gehen. Leichtathletik begeistert. Auch oder gerade in der riesigen Schüssel Olympiastadion.