„Ich trieb zehn Stunden im Meer“
Eine britische Urlauberin stürzt nachts vor Kroatien von einem Kreuzfahrtschiff ins Wasser und wird erst am nächsten Morgen gerettet. Ein kleines Wunder?
Zagreb Wie überlebt man zehn Stunden im Meer, allein, dazu noch im Dunkeln? Und kann das überhaupt sein? Kay Longstaff, 46-jährige Britin, behauptet jedenfalls, das geschafft zu haben – mit Singen und dank Yoga-Fitness. Und, wenn es denn stimmt, sicherlich mithilfe eines riesengroßen Schutzengels.
Die Urlauberin, so viel scheint klar, ist am Samstag kurz vor Mitternacht knapp 100 Kilometer vor der Küste Kroatiens vom Heck des Kreuzfahrtschiffs „Norwegian Star“ins Meer gefallen. Dieses hatte zuvor den Hafen von Pula auf der Halbinsel Istrien verlassen und war auf dem Weg nach Venedig. Überwachungskameras an Bord zeichneten offenbar den Sturz auf. So konnte anhand der Winde und Strömungen ungefähr das Suchgebiet eingegrenzt werden. Die Küstenwache fand die Frau schließlich etwa 1,3 Kilometer entfernt von dem Ort, in dem sie ins Wasser gefallen war. Bilder zeigen, wie die Besatzung eines Schiffs der Kriegsmarine sie dann am Sonntag gegen 10 Uhr aus dem derzeit etwa 27 Grad warmen Wasser zieht.
Danach sagte Kay Longstaff dem Fernsehsender HRT: „Diese wunderbaren Jungs haben mich gerettet. Ich war zehn Stunden lang im Wasser.“Und dann: „Ich bin sehr glücklich, am Leben zu sein.“Die blonde Frau trug bei ihrer Rettung kurze Jeans und ein über dem Bauch zusammengeknotetes T-Shirt. Sie ging ohne Hilfe. Unter welchen Umständen sie über Bord gegangen war, sagte sie nicht. Auch die Kreuzfahrt-Reederei Norwegian Cruise Line machte dazu keine Angaben. Die britische Zeitung Daily Mail zitiert einen Passagier, der seinen Namen nicht nennen wollte, mit den Worten: „Allem Anschein nach war sie betrunken.“Longstaff wur- de vorsorglich ins Krankenhaus gebracht; ihr Gesundheitszustand sei „stabil“, hieß es. Sie habe sich nur einen Sonnenbrand geholt. Experten zufolge hatte die Frau Glück im Unglück, weil das Meer relativ ruhig und warm war. Sie scheine auch psychisch stark zu sein.
Die Rettung von Menschen auf hoher See nach mehreren Stunden wird oft als Wunder betitelt. 2001 überlebte ein Seemann vor der Nordwestküste Schottlands fast zwölf Stunden in eiskaltem Wasser. Sechs weitere Seeleute, die es nach dem Untergang ihres Fischkutters nicht in die Rettungsinsel geschafft hatten, konnten nur tot geborgen werden. Ende Juni dieses Jahres soll ein Besatzungsmitglied eines Kreuzfahrtschiffs nach einem Sturz von Bord gar fast 24 Stunden im Wasser überlebt haben. Er wurde dem Miami Herald zufolge nördlich der Küste von Kuba gerettet.
Der Kreuzfahrt-Experte Ross Klein, Professor für Maritime Studien an der kanadischen Universität Neufundland, hat seit dem Jahr 2000 insgesamt 315 solcher Fälle dokumentiert. Ein Teil der Vermisstenfälle sei auf Suizide zurückzuführen, andere Fälle seien das Resultat unglücklicher Unfälle, oft als Folge von Alkoholmissbrauch.