Das Tafelsilber von Haunstetten
Große und kleine Schätze werden an unserem mobilen Schreibtisch präsentiert. Auktionator Georg Rehm begutachtet jedes Stück mit Wertschätzung der besonderen Art. Über der Georg-Käß-Piazza brennt wieder die Sonne
Ein Foto wird herumgereicht. Es zeigt eine imposante Erscheinung mit Fernglas um den Hals und geschulterter Flinte: Karl Schneider. Er war Jäger in Diensten der Gräfin Tattenbach in Haunstetten. Eine Frau erzählt, wie sie als Kind im Lochbach schwamm. Schräg gegenüber erklärt eine Haunstetterin, wo sich die „Kolonie“befand, eine Fabrikarbeitersiedlung mit Kastanienbaum im Innenhof. Und wie hieß noch mal dieser eine Gastwirt? „Wüst“, ruft jemand quer über unseren mobilen Schreibtisch, „Wüst!“. Irgendwann an diesem Nachmittag fällt in dieses Stimmengewirr hinein der Satz: „Sie haben Haunstetten aus dem Dornröschenschlaf geweckt!“Elisabeth Wengenmeir findet, es gehe ein Ruck durch Haunstetten, seit – nunmehr am vierten von sechs Dienstagen – am Georg-Käß-Platz das Leben erzählt und erinnert, beschworen und bebildert wird im Rahmen unserer Sommerserie „Kultur aus Haunstetten“.
Dornröschen schlief hundert Jahre. So alt und manchmal noch älter sind einige der Objekte, die an diesem heißen Dienstag aus Häusern und Wohnungen geholt worden sind und an unserem Schreibtisch ins Licht der Öffentlichkeit gehalten werden. Georg Rehm, der Auktionator und Experte für Kunst und Antiquitäten, ist da und begutachtet hellwach vor Publikum unter freiem Himmel Gemälde, Schmuck, Silberlöffel, Kruzifixe, Bleiglasbilder, Vasen, Stickereien, einen alten Spielzeugbaukasten, Krüge… Es ist eine unterhaltsame Kunstsprechstunde (die dann eine Doppelstunde wird…), in der – wie könnte es anders sein – Haunstetten für einige Überraschungen gut ist.
Christa Schweiger hat ein Gemälde mitgebracht, das eine Flusslandschaft mit Boot zeigt, im Hintergrund ein Kirchturm. „Könnte das ein Wilhelm Busch sein?“, fragt sie. Auktionator Rehm betrachtet das Bild, dreht es um, nimmt die Lupe, nickt. „Es könnte ein Busch sein. Der Verdacht ist nicht übertrieben.“Er kenne Bilder von Busch in dieser Art, das könne passen. Ein Raunen geht über den Käß-Platz. Weitere Überprüfungen und Expertisen seien aber notwendig, sagt Rehm. Zum Beispiel müsse man unter der Quarzlampe die Signatur checken – ist sie so alt wie das Bild? Christa Schweiger hat das Bild von ihrer Mutter geerbt, die es bei einem Antiquitätenhändler gekauft hatte.
Es wäre nicht das erste prominente Gemälde aus Haunstetten. Rehm erzählt vom teuersten Bild, das er je versteigert habe. Ein Werk des Impressionisten Max Liebermann. Auktionsergebnis: „290 000 Euro.“Herkunft? „Es kam damals von einem Mann aus Haunstetten.“Solche Schätze tauchen an diesem Dienstag nicht auf. Eine Farbradierung aus den 1950er Jahren, immerhin signiert, schätzt Rehm auf 40 bis 50 Euro. Die Enttäuschung bei Rudolf Peschanel hält sich in Grenzen. „Also müssen wir es wieder an die Wand hängen“, sagt er.
Nächstes Objekt: Ein sogenannter „Wettersegen“, eine kleine barocke Monstranz, die vermutlich einmal auf einem privaten Hausaltar stand. Walter Frank hat das Stück mitgebracht, von dem Rehm angetan ist: „Spätbarock, vermutlich süddeutsch, sehr guter Zustand, eine sehr schöne Arbeit, sehr schön“. Wettersegen brauchen wir für Haunstetten in diesen Wochen nicht. Wir sind im Süden Augsburgs – und es fühlt sich auch so an. Das Obst auf dem großen Stillleben von 1920 strahlt in der Sonne, als seine Besitzerin es an den Schreibtisch trägt. Das Gemälde ist signiert – aber die Signatur ist unleserlich. Georg Rehm reibt mit einem Tuch und etwas Spucke darüber und beruhigt aufgeschreckte Besitzerin: „Schadet nichts!“Gleichwohl bleibt der Künstlername unklar. Immerhin so viel kann Rehm sagen: Gut gemalt, und der Rahmen ist so alt wie das Bild, 20er Jahre.
Plötzlich stellt sich die Frage, ob es uns am mobilen Schreibtisch zu heiß geworden ist: Wir sehen doppelt. Margarete Heinrich ist zwei Mal da, Hans Wengenmeir ebenfalls. Beide befinden sich gerade im Landtagswahlkampf, beide haben sich am Georg-Käß-Platz plakatieren lassen, beide sind gleichzeitig auch noch zu uns gekommen. Heinrich weist uns darauf hin, dass die an der ihr Wahlkampfplakat hängt, vor 30 Jahren von ihrem Vater am Platz gepflanzt worden ist – zu seinem 50. Geburtstag 1988. Klar, dass sie an diesem Baum Vorrechte hat. „An den Heinrich-Baum traue ich mich nicht“, sagt Wengenmeir.
Auf dem Tisch liegen alte Haunstetter Abzeichen, von der Stadtpolizei, die es einmal gab. Wengenmeir, selbst früher Polizist, kennt noch Geschichten älterer Kollegen, die von der Haunstetter Stadtpolizei erzählt wurden. Nach dem Krieg, als die Bezahlung lausig und der Hunger groß war. Damals habe es außerdie ordentliche mündliche Genehmigungen der Haunstetter Polizei für Hausschlachtungen gegeben – wahrscheinlich gegen Naturalien. Bei Rehm geht es weiter mit einem Kruzifix, das Heinrich mitgebracht hat. Der Korpus aus Porzellan, preislich zwischen 50 und 80 Euro.
Um Künstler und ihre Werke dreht sich viel an diesem Dienstag. Professor Hans Frei ist da, ehemaliger Museumschef von Oberschönenfeld. Er erinnert an den Bildhauer Christian Angerbauer, der in Haunstetten überall Spuren hinterlassen hat. Fast 50 Werke Angerbauers, der seit 1956 in Haunstetten seiEiche, ne Werkstatt hatte und 2008 starb, prägen den Stadtteil. Angerbauer, geboren 1925 in Berlin, arbeitete für alle Haunstetter Kirchen, schuf Bronzen, Mosaike, gestaltete auch Brunnen im öffentlichen Raum. Einer davon steht im Schatten des Maibaums auf dem Georg-Käß-Platz. Kleinplastiken und Engelsfiguren aus Holz verkaufte der Künstler bis nach Amerika, wie Frei sagt, der im Haunstetter Brigitte Settele Verlag eine Monografie über den Künstler herausgegeben hat.
Mit Fotos seiner Gemälde und zwei Originalen auf dem Rücksitz des Autos ist Paul Ciemala gekommen. Der 1944 geborene Autodidakt, der nebenan in Siebenbrunn seine Wurzeln hat, malt im naiven Stil. Bei einer Ausstellung im Alten Rathaus von Haunstetten hat er 65 von 80 Werken verkauft – das meiste Haunstetten-Motive. Das Besondere: Als Rahmen dienen ihm alte Fensterrahmen, die er aufwendig restauriert. Die meisten stammen aus der abgerissenen EisenbahnerGaststätte, die einst gegenüber der „Kolonie“stand und etwa 1880 erbaut worden war, wie Ciemala sagt. In Haunstetten geht nichts verloren. Was nicht weiter existiert als Bilderrahmen oder Sammelstück, das lebt in den Erinnerungen weiter…
An unserem vierten Dienstag haben wir den Eindruck, dass diese Zusammenkünfte auf der GeorgKäß-Piazza schon selbstverständlich sind. Immer kommen auch neue Gäste, zum Beispiel Horst Schwarz, ein Mann, ohne den das gesellschaftliche Leben Haunstettens ärmer gewesen wäre. Schwarz ist so etwas wie der geborene Vereinsmensch, eine Ewigkeit Vorsitzender der altehrwürdigen Vereinigten Schützengesellschaft
Ein Raunen geht über den Georg Käß Platz
Der größte Umzug, den es je in Haunstetten gab
Haunstetten, gegründet 1888. In seiner Zeit als Vereinsvorstand hat er zwei Jubiläen organisiert – zum 100-jährigen und zum 125-jährigen Bestehen. Zwischenzeitlich war er auch bei der Arge Haunstetten aktiv, hat die Haunstetter Zeitung 2002 zum Jubiläum der Stadterhebung für einen Tag wieder aufleben lassen und damals – im Jahr 2002 – auch eine neue Tradition begründet, die bis heute fortbesteht: die Serenadenabende im Hof des Forstamts. Schwarz erinnert sich noch gut, wie am 15. Mai 1988 zum Schützen-Jubiläum der größte Umzug, den Haunstetten je gesehen hat, durch den Stadtteil schritt: 18 Musikkapellen, 91 Vereine, vom Haunstetter Motor- und TouristikClub über die Augsburger Schwarzpulver-Schützen und die Auerhahnschützen Reinhartshausen bis zum Verein der Königstreuen Augsburg. Zwei Mal sei es damals über die B17 gegangen. „Heute könnte man so etwas bei den Sicherheitsauflagen gar nicht mehr organisieren“, sagt Schwarz.
Ob das auch für die Faschingsfeiern gilt, die damals in Haunstetten Ereignisse gewesen sein müssen? Margarete Zinke zeigt ein Album der anderen Art, eine Chronik der Lebensfreude, ein Bilderbuch der Ausgelassenheit, damals bei den Feiern im TSV. Einmal habe die Band nach dem letzten Lied die Männer aufgefordert, die Frauen an die Bar zu tragen. Zinke weiß das noch, als ob es gestern passiert sei. Sie erhielt dabei ein Haunstetter-FaschingsKompliment der besonderen Art. Sie lobte die Stärke des Mannes, der sie trug. Der erwiderte: „Ich bin Metzger, das mach’ ich jeden Tag, den ganzen Tag trage ich halbe Schweine.“Echte Feierbiester können diese Haunstetter sein.
Apropos Fasching. Georg Rehm, lange Vorsitzender der Faschingsgesellschaft Hollaria, kennt Haunstetten auch aus der Narrenperspektive. Er erwähnt ausdrücklich den Faschingsorden der Haunarria Haunstetten. Seine Einschätzung: „Wunderschön, unbezahlbar.“Ein Silbertest erübrigt sich bei diesem Liebhaberstück.