Stoff für Erinnerung
Die Tür stand offen. Ich trat ein. Ich war im Urlaub in Mecklenburg. Die Kirche am Wegesrand lockte mich. Ich sah mich um. In einem Nebenraum stand ein Koffer. Ich war irritiert. Hatte den jemand vergessen? Ein alter brauner Koffer lag offen auf einem Tisch. Darin lagen viele verschiedene Stoffe. Ich runzelte die Stirn. Dann entdeckte ich ein Schild mit der Aufforderung, die Stoffe anzufassen und anzuschauen. „Erinnert Sie der Stoff an etwas?“, wurde ich gefragt. Eine einfache Frage. Aber gar nicht so einfach, sich darauf einzulassen. Wer wollte, konnte die Erinnerung aufschreiben. Die Geschichten waren auf kleinen Tafeln ausgestellt und mit den Stoffen liebevoll ausgestaltet. Ein Mann hatte einen dunkelgrünen, rauen Stoff gefunden. Er erinnerte ihn an einen Mantel, den er geschenkt bekam, als er ohne alles aus russischer Gefangenschaft kam. Eine Frau erzählte ihren erwachsenen Kindern von den waschbaren Windeln vor 40 Jahren. Jemand erinnerte sich an die Gardine in der ersten eigenen Wohnung. Da war eine 52-jährige Frau, die sich an die erste selbst genähte Hose erinnerte. Damals studierte sie in Berlin. „Die Leichtigkeit von damals ist wieder da!“Dieser Satz berührte mich. Wie schön, wenn ein Stück Stoff ein längst verloren gegangenes Lebensgefühl wieder wecken kann! Doch auf der anderen Seite machte es mir auch bewusst, wie viel ich bereits vergessen hatte von meinem Leben. Das machte mir Angst. Wie gern hätte ich so einen Stoffkoffer und eine Ausstellung mit den Erinnerungen meines ganzen Lebens.
Wie gut, dass Gott mich kennt. So heißt es im Psalm 139: „Herr, du erforschst mich und kennst mich. Du verstehst meine Gedanken von ferne und alle Tage waren in dein Buch geschrieben.“Gott erinnert sich an meine Lebensstationen und das jeweilige Lebensgefühl. Bei ihm sind sie im Buch des Lebens wie in einer Ausstellung wunderbar gestaltet. Wie gut, dass bei ihm nichts verloren geht. Mein Leben ist in Gottes Erinnerung aufgehoben.