65000 protestieren gegen Rechts
Nach einer Woche mit Hooligan- und AfD-Demos wird ein Konzert mit Bands wie den Toten Hosen und Kraftklub zum beeindruckenden Statement. Die Lage bleibt ruhig
Chemnitz Als die Trauer um einen Getöteten in Chemnitz von Hooligans und Rechtsextremisten ausgenutzt wird, als Bilder bedrohlicher Aufmärsche um die Welt gehen, greift Felix Brummer zum Telefon. Der Frontmann der Chemnitzer Band Kraftklub ruft befreundete Musiker-Kollegen an. Sie wollen ein Zeichen setzen. Unter dem Motto „#wirsindmehr“rufen sie zu einem Gratis-Konzert gegen Rassismus und rechte Gewalt auf. Wie viele Menschen dazu nach Chemnitz kommen werden, ist ungewiss. 10 000, vielleicht 20 000? Doch noch bevor am Montagabend auf dem Platz vor der Johanniskirche die ersten Takte gespielt werden, ist klar: Sie sind wirklich mehr. Auf 65 000 schätzen die Veranstalter und die Stadt die Besucherzahl. Die Beteiligung bei #wirsindmehr wird auch deshalb aufmerksam beobachtet, weil beim „Trauermarsch“von AfD und Pegida am Samstag die Gegendemonstranten in der Unterzahl gewesen waren: Rechte Populisten, Radikale und Extremisten hatten 8000 Teilnehmer mobilisiert, die Gegenseite nur 3500.
Anna (20) ist aus Görlitz gekommen. „Ich will zeigen, dass es nicht okay ist, dass heutzutage Leute mit Hitlergruß und Naziparolen durch welche Stadt auch immer laufen“, sagt die Studentin. Sie sei wegen der Botschaft des Konzertes gekommen, nicht nur wegen der Musik. „Das Bild von Sachsen ist jetzt natürlich negativ. Es gibt sicher viele, die denken, alle Sachsen sind Nazis. Darum ist es wichtig, dass so etwas auf die Beine gestellt wird. Ich hoffe, dass darüber genauso berichtet wird, wie über die Ereignisse der vergangenen Woche.“
Kraftklub-Sänger Brummer sagt: „Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht und dann ist die Welt gerettet.“Aber: „Manchmal ist es wichtig, zu zeigen, dass man nicht allein ist.“Unterstützt werden Kraftklub auf der Bühne von dem aus Chemnitz stammenden Trettmann, von Marteria und Casper, K.I.Z, von der Punk-Band Feine Sahne Fischfilet und den Toten Hosen.
„Bevor ihr das Volk sein wollt, versucht doch erst mal, Mensch zu sein“, steht auf einem selbstgemalten Schild, mit dem Laura (22) im Publikum steht. Die Studentin ist mit ihrer Freundin Janina (30) aus Berlin nach Chemnitz gekommen. „Es ist wichtig, nicht nur zu Hause zu sitzen und Likes auf Instagram zu verteilen“, sagt Laura. Und Janina ergänzt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit seien kein reines Sachsen-Problem. „Ich komme ursprünglich aus Bayern. Jedes Bundesland hat ein Problem.“
Nicht nur junge Leute stehen am Montagabend auf dem übervollen Platz. Eine 54-Jährige hält sich mit ihrem Begleiter etwas am Rand auf. „Bis jetzt ist die Musik nicht so meins, der Grund für das Konzert aber schon“, sagt die Chemnitzerin. Die vergangene Woche habe sie als beängstigend empfunden. Die Trauer um den getöteten Mann sei nachvollziehbar. Aber: „Ich käme nie auf die Idee, bei den Hooligans mitzulaufen.“
Laut Polizei bleibt alles ruhig und friedlich. Am Karl-Marx-Monument, von dem zuletzt eher bedrohliche Bilder ausgingen, machen DJ’s Stimmung mit ihrer Musik. Das Zentrum ist belebt und beliebt wie seit einer Woche nicht mehr. Doch vor dem ersten Ton herrscht zunächst einmal andächtige Ruhe. Mit einer Schweigeminute wird an den 35-jährigen Deutschen erinnert, dessen gewaltsamer Tod Auslöser der Vorfälle wurde.
Vor dem Open-Air-Konzert kritisierten CDU-Politiker die Unterstützung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die Veranstaltung. „Ich halte das für sehr kritisch“, sagte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer der Welt. Sie monierte, dass Steinmeier die Ankündigung der Veranstaltung auf seinem Facebook-Account geteilt hatte. Denn der Verfassungsschutz in MecklenburgVorpommern hatte die teilnehmende Punkband Feine Sahne Fischfilet zeitweise wegen „linksextremistischer Bestrebungen“im Blick, seit längerem jedoch nicht mehr.
Martin Kloth, Birgit Zimmermann, dpa
CDU Kritik an Steinmeiers Unterstützung fürs Konzert