Warum das Schicksal Syriens auch uns Europäer angeht
Alles deutet darauf hin, dass Assad die vollständige Macht zurückgewinnt. Aber wie geht man mit einem Präsidenten um, der Blut an den Händen hat?
Es ist gekommen, wie es kommen musste: Vage Erklärungen waren das einzige Ergebnis, das der Gipfel von Teheran brachte. Eine Waffenruhe wird es nicht geben. Nun müssen die Menschen im syrischen Idlib schon bald mit einer Offensive von Regierungstruppen mit russischer Unterstützung rechnen. Der seit sieben Jahren tobende Bürgerkrieg treibt damit einem blutigen Höhepunkt entgegen. Für Europa rückt damit nach mehr als sieben Jahren Krieg in Syrien die Stunde der Wahrheit näher. Deutschland und andere europäische Staaten werden bald schwierige Entscheidungen treffen müssen, um die sie sich bisher herumdrücken konnten. Je früher die Diskussion darüber beginnt, desto besser.
In Idlib, der letzten Rebellenhochburg in Syrien, wird über kurz oder lang die Regierung von Präsident Baschar al-Assad wieder die Kontrolle übernehmen. Militärische Erfolge in den vergangenen Monaten hatten ihn ohnehin schon gestärkt. Damit deutet alles darauf hin, dass Assad im Amt bleiben wird. Er selbst hat das mehrmals angekündigt – und Russland steht nach wie vor zu ihm. Moskau will den Krieg in Syrien rasch beenden und sich als Friedensbringer profilieren. Jener Mann, der die Welt in den vergangenen Jahren immer wieder mit seiner Brutalität geschockt hat. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Assad und seine Partner in Moskau und Teheran künftig mehr Rücksicht auf Zivilisten an den Tag legen werden als bisher. Das hat Folgen nicht nur für die Region – sondern auch für uns. Denn die Frage, die sich nun stellt, lautet: Wie geht Europa damit um? Assads Schutzmacht Russland fordert vom Westen schon jetzt Milliardensummen für den Wiederaufbau von Syrien.
Europa hat sich aus dem Krieg in Syrien bislang herausgehalten. Und trotzdem kann der Kontinent nicht so tun, als ginge ihn das alles nichts an – schließlich kam die Fluchtwelle des Jahres 2015, die in Europa den Aufschwung der Rechtspopulisten beförderte, vor allem aus Syrien. Die Europäer haben ein Interesse daran, dass sich das nicht wiederholt. Deshalb werden sie wahrscheinlich gleich mehrere bittere Pillen zu schlucken haben.
Erstens dürften die Europäer wohl keine andere Wahl haben, als sich mit Assad politisch zu arrangieren, auch wenn der syrische Präsident Blut an den Händen hat. Zweitens wird Europa vor der Wahl stehen, neue Fluchtwellen zu riskieren – oder viel Geld zu zahlen. Die EU wird es auch weiterhin der Türkei überlassen, Millionen von Flüchtlingen aus Syrien aufzunehmen und zu versorgen. Dafür fordert Ankara finanzielle Unterstützung – und das völlig zu Recht. Drittens muss Europa erkennen, dass Russland nicht nur in der Ukraine nach neuem Einfluss strebt, sondern auch im Nahen Osten. Möglicherweise wird der russische Einfluss auf die Türkei noch zunehmen. Darauf deutet der geplante Verkauf eines russischen Raketenabwehrsystems an den Nato-Staat hin. Auch in Libanon, Ägypten und Libyen wächst die russische Rolle. Bisher haben die Deutschen und die anderen Europäer kein Konzept dafür, wie sie auf diese Machtverschiebung reagieren sollten. Dabei ist diese Region für sie sehr wichtig, unter anderem für die Energieversorgung.
Der Gipfel von Teheran sollte deshalb als Weckruf dienen. In europäischen Hauptstädten muss das Nachdenken über die Möglichkeiten und Grenzen Europas beginnen. Geschieht das nicht, werden die Europäer von einer Entwicklung ausgeschlossen bleiben, die sie zwar wegen der Flüchtlingsproblematik und der russischen Machtausbreitung berührt, auf die sie aber keinen Einfluss haben.
Bislang hat Europa kein Konzept für die Zukunft