Als die Irrlichter im Moor spukten…
Das Donaumoos ist berüchtigt – für schwarze Erde, gute Kartoffeln und verhängnisvolle Lichtphänomene
Noch sind die Tage lang, Sommer liegt über dem Land. Düstere Gedanken lassen sich leicht verdrängen, und wir lachen über Dinge, die uns des Nachts einen Schauer über den Rücken jagen. Eine gute Zeit also, auch furchtsameren Seelen Schauergeschichten aus der Heimat näherzubringen und den persönlichen Sagenschatz zu bereichern. Die dunklen Tage kehren schließlich schneller wieder, als uns allen lieb ist ... Neuburg Schrobenhausen Es begab sich einmal, dass sich Buben im Dachsholz bei Rohrenfels zu einem Kartoffelfeuer trafen. Sie dürften nicht älter als 14, vielleicht 15 Jahre gewesen sein. Wie es in diesem Alter üblich ist, erzählten sie sich Geschichten, meist der mysteriösen Art. Eine dieser Geschichten, so erinnert sich Horst Schwark noch Jahrzehnte später, handelte von einem Neuburger Pfarrer, der Bekanntheit dadurch erlangt hatte, Besessenen den Teufel auszutreiben. „Anschließend hat er die Teufel in eine Flasche verbannt und in einen Sumpf geworfen.“Seitdem berichteten Menschen immer wieder darüber, nahe dem Sumpf jämmerliche Stimmen vernommen zu haben: „Nimm mich mit!“, sollen sie gerufen haben.
Einige Orte im Donaumoos sind, das belegt auch diese Erzählung, von Sagen nur so durchzogen. Weshalb das so ist, lässt sich erahnen, wenn man über die nährstoffreiche, aber tiefschwarze Erde spaziert, die für die Gegend charakteristisch ist. Im Nebel der Nacht entfaltet sie ihre fast einschüchternde Wirkung, in deren Folge auch die Überlieferung der Irrlichter entstanden sein muss. Alfons Lehmeier schrieb in seinen Donaumoos G’schichten 1995 über deren Existenz: „Es ist bekannt, dass die Mösler und auch die Anlieger des Mooses sehr große Angst vor diesen Lichtern hatten. Sie sahen in ihnen etwas Übernatürliches, Mysteriöses, Geisterhaftes.“
Seine Urgroßmutter machte den Enkel glauben, dass die Irrlichter Geister armer Seelen seien, „die noch nicht erlöst sind und noch in das Himmelreich eingehen konnten“. Deshalb müsse man für sie beten. In ihrer Naivität – die Buben waren jung, unbedarft, aber voller Fantasie – schlenderten sie über die Wiesen und Felder des Donaumooses. Es war ein ruhiger Abend. Ab und an schrie ein Vogel, hin und wieder zitterte das Gebüsch. Bis es dunkel war. Und alles still. „Es gibt Situationen im Leben, die im Gedächtnis haften bleiben, egal wie lange sie her sind“, wird Horst Schwark später einmal in seinem Buch Heimat Neuburg schreiben. Und so marschierten die Burschen weiter zu Fuß über das Donaumoos in Richtung Heimat – die Erzählung vom exorzierenden Pfarrer hatten sie im Hinterkopf. Dann, plötzlich, sahen sie nicht weit entfernt eine kleine Flamme wieder und wieder aufflackern. „Hoffentlich ist das kein Irrlicht“, platzte es aus einem der Buben. Schwark erklärt rückblickend, dass sie aus Erzählungen der Erwachsenen wussten, dass ein Irrlicht dort entsteht, wo das Moor Menschen verschlingt. „Es soll verirrte Wanderer, so wie wir es waren, in den Sumpf locken, um sie eben- falls zu verderben“, ist in seinem Buch zu lesen, dessen Veröffentlichung erst wenige Jahre zurückliegt.
Horst Schwark ist 1944 geboren, im Spätherbst wird er 74 Jahre alt. Als Heimatforscher und Naturnicht schützer hat er sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen gemacht. Lange Zeit war er in der Forschung tätig. Dementsprechend wenig glaubt er an Geister, Sagen und Übernatürliches. Für „Quatsch“hält er das. Damals jedenfalls, vor sechzig Jahren im Donaumoos, hatten er und seine Kumpane Glück. Keiner ist den Irrlichtern zum Opfer gefallen, allesamt sind heil zu Hause angekommen. Das Erlebnis in jener Nacht behielt dennoch jeder für sich – vorerst. Denn als die Buben Jahre später wieder einmal aufeinandertrafen, „kam heraus, dass jeder unheimlichen Schiss gehabt hatte“, sagt Horst Schwark und lacht.
Seit dieser Zeit wurden die Irrlichter von niemandem mehr gesehen. Die Wissenschaft erklärt das Phänomen der blaugrün leuchtenden Lichtkegel übrigens als brennendes Methan- oder Sumpfgas, das dem Moosboden seit der Trockenlegung ab 1796 nicht mehr entweichen würde.
Was denken Zeitzeugen wie Horst Schwark? „Ich bin der Meinung“, sagt der 73-Jährige, „dass es sich damals nur um die Glut eines Kartoffelfeuers gehandelt hat, das wir Buben falsch interpretierten.“
Quelle: Horst Schwark, Heimat Neuburg – Geschichte, Geschichten und Sagen aus Neuburg und seiner Umgebung, Auflage 2016.