Die alten Bündnisse bröckeln
Schweden macht deutlich, dass es für die großen politischen Blöcke immer schwerer wird, Koalitionen zu schmieden. Die Flüchtlingskrise sorgt für enorme Umwälzungen
Stockholm Mit der Wahl am Sonntag hat Schweden ein altes politisches System zu Grabe getragen. Die Zeiten des Blockdenkens sind wohl vorbei – nicht nur im skandinavischen Vorzeigeland. Denn die Flüchtlingskrise hat den großen Parteien fast überall in Europa den Boden unter den Füßen weggerissen. Zugleich haben sich die Rechtspopulisten festgesetzt. Wer sich mit ihnen nicht zusammentun will, muss neue Allianzen bilden. Rot gegen Schwarz, Mitte-Links gegen MitteRechts, Sozialdemokraten gegen Konservative, all das funktioniert nicht mehr. Nicht in Schweden, nicht in Deutschland und wohl auch nicht bei der Europawahl im kommenden Mai.
„Dieser Abend sollte die Beerdigung der Blockpolitik sein“, forderte Schwedens sozialdemokratischer Regierungschef Stefan Löfven noch in der Wahlnacht. Sein Land steht vor einer historischen Zäsur. Denn bislang war die Koalitionsbildung meist in ein paar Tagen erledigt: entweder regierte ein rot-grüner Block unter Führung der Sozialdemokraten – oder ein bürgerlicher, angeführt von den konservativen Moderaten. Mehr Möglichkeiten gab es nicht. Diesmal könnte die Regierungsbildung bis Weihnachten dauern. Sowohl Sozialdemokraten als auch Moderate verloren deutlich, die Sozialdemokraten stürzten sogar auf das schlechteste Ergebnis seit mehr als 100 Jahren. Zwar blieben auch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten als drittstärkste Kraft hinter den Erwartungen zurück. Doch mehr als jeder Sechste gab ihnen die Stimme. So verhindert die einwanderungsfeindliche Partei eine regierungsfähige Mehrheit für jeden der traditionellen Blöcke, zwischen denen weniger als 0,5 Prozentpunkte liegen.
Der Parteichef der Rechtspopulisten, Jimmie Akesson, machte in der Wahlnacht gleich seine Ansprüche deutlich: Die Schwedendemokraten müssten nun „einen immen- sen Einfluss“bekommen. „Das kann uns niemand nehmen“, sagte er. Doch diesen Einfluss will ihnen niemand geben.
Schon im Wahlkampf hatten die Rechtspopulisten die anderen Parteien gelähmt. Sozialdemokraten und Konservative versuchten, die Wäh- lerflucht durch ein Law-and-OrderProgramm aufzuhalten: Grenzkontrollen, erschwerter Familiennachzug für Flüchtlinge, schnelle Versprechen von mehr Polizei und Feuerwehr. Dabei hätten sie im Rest Europas sehen können, was passiert, wenn Parteien der Mitte nach rechts rücken: Man stärkt die Rechtspopulisten sogar noch, anstatt ihnen Stimmen abzunehmen. Nun reiht sich also auch Schweden ein in die Liste vergangener Wahlen, die die EU nicht unbedingt stabilisiert haben. In Ungarn fuhr der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orbán einen unerwartet deutlichen Sieg ein – sein Land muss sich womöglich bald einem Sanktionsverfahren wegen Gefährdung von EU-Grundwerten stellen. In Italien regieren seit mehr als 100 Tagen Populisten. Auch in Frankreich wurden die traditionellen Parteien nahezu pulverisiert.
„Immerhin sind die Bäume der Populisten nicht in den Himmel gewachsen“, kommentierte ein EUDiplomat am Montag die Schweden-Wahl. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Udo Bullmann, mahnte: „Allerdings sind die Ergebnisse der extremen Rechten in einem Land, das für das fortschrittlichste Sozialsystem bekannt ist, eine ernsthafte Warnung.“
Mit der Erosion der großen Parteien schwindet auch in der EU vor der großen Wahl im Mai die Berechenbarkeit. Die politischen Systeme werden instabiler – dabei stehen viele Aufgaben an, für die es eigentlich Geschlossenheit bräuchte: Brexit, Haushaltsverhandlungen. Müssen dafür auch auf EU-Ebene die alten Blöcke brechen?
Selbst in Deutschland bröckeln sie schon länger. Zumindest auf Länderebene wird immer lauter über Koalitionen zwischen Grünen und CSU, Linken und CDU nachgedacht. Hauptsache, die AfD bleibt draußen. Große Koalitionen von SPD und CDU sind spätestens seit Anfang der 2000er Jahre normal. Für viele andere Länder wären sie ein großer Schritt.
Wie geht es nun weiter in Schweden? Die Sozialdemokraten wollen als stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellen und eine blockübergreifende Regierung führen. Doch wer mitmacht, ist unklar.