Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (141)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Projekt Gutenberg
Was willst du dem Chef sagen?“„Ich werd’ ’ne Razzia vorschlagen. Man kann zwanzig oder dreißig von den Halbseidenen einstecken und vernehmen. Vielleicht, daß einer was läuten gehört hat und Laut gibt, um wieder rauszukommen.“
„Das ist noch das beste.“„Die Leute“, sagte der erste wütend, „machen sich einen Begriff von der Polizei! Als wenn wir gleich alles wüßten! Natürlich wird man die Kerle einmal kappen. Aber wann?“
„Hoffen wir auf den Zufall“, sagte der zweite. „Meistens hilft der.“
„Ja, wenn wir den Zufall nicht hätten!“bestätigte der erste.
Der Zufall hieß Kufalt, und während die beiden Kriminalbeamten in ihren breiten, vertretenen Schuhen durch die winterlichen Straßen Hamburgs wandelten, saß er schon auf einer Bank im Stadthaus und wartete auf sie.
Als er in der Zeitung gelesen hatte, daß der Raub doch vonstatten gegangen war, daß Freund Batzke unerkannt mit so großer Beute entkommen war, da hatte ihn zuerst Angst, dann Wut erfüllt.
Plötzlich hatte er begriffen, warum ihm der Achtgroschenjunge mit der Schirmmütze nachgelaufen war. Nicht die Polizei hatte den Handtaschenräuber verfolgt, sondern Batzke hatte wissen wollen, ob Kufalt noch immer die Auslage am Jungfernstieg unter Augen hatte. Und darum hatte ihm Ilse ihren gestrigen Abendbesuch gemacht, auch sie hatte bloß baldowern wollen – für Batzke!
Angst hatte er zuerst. Er hatte den Tip gegeben, er hing mit drin. Er hatte sich um das Geschäft wochenlang herumgedrückt, vielleicht kannte man dort sein Gesicht, erinnerte sich jetzt seiner. Schon ging vielleicht seine Beschreibung an die Blätter.
Und es war nicht nur das, er konnte sich ja kaum rühren, er, der Handtaschenräuber, dessen Beschreibung von Mal zu Mal deutlicher in den Zeitungen beschrieben war.
Aber stärker als die Angst wurde die Wut in ihm. Batzke war es, der ihn in diese Lage gebracht hatte. Wieder hatte ihn Batzke verraten. Vom Stelldichein an unter dem Pferdeschwanz über den Zigarettenladen mit dem falschen Zwanziger über die nutzlos zurückgegebenen vierhundert Mark – immer hatte ihn Batzke verraten.
Er lief hin und her in seiner Stube, er grübelte. Ja, er würde sich hinsetzen, er würde jetzt einen anonymen Brief tippen. Er würde Batzke in die Pfanne hauen.
Und er setzte sich hin und tippte los und – hielt an. Fünftausend Mark vom Schwärzer, im ganzen, hatte Batzke gesagt. Aber es wurden Belohnungen bei solchen Einbrüchen ausgesetzt. Zehn Prozent war das mindeste, fünfzehntausend Mark und rechtlich erworben. Rechtlich erworben!
Da war in seiner hintersten Hirnkammer der Traum von dem kleinen Zigarrenladen mit Frau und Kindern. Man würde ihn ganz rechtens in Wahrheit und Wirklichkeit umsetzen können.
Er war aufgestanden. Er zerriß das Getippte in kleine Fetzchen. Er machte die Ofentür auf und schloß sie erst wieder, als er sich davon überzeugt hatte, daß auch das letzte Papierstückchen verbrannt war.
Nein, er mußte warten, bis die Belohnung ausgesetzt war. Gewiß, es war das Risiko dabei, daß die Bullen ihm auf die Spur kamen, aber ohne jedes Risiko war überhaupt nichts. Und sie würden nicht dahinterkommen. Gerade darum nicht, weil er zu ihnen kam.
Er geht weiter auf und ab. Nun kann er es schon nicht mehr erwarten, daß die Abendzeitungen erschienen. In den Abendzeitungen wird sicher die Belohnung stehen. Dann wird er noch heute nacht ins Stadthaus gehen, und Batzke wird erwischt werden. Vielleicht bekommt Kufalt bereits am Ende der Woche die Belohnung, und er ist raus aus allem.
Plötzlich ist Furcht wieder da. Aber Furcht einer andern Art. Polizei ist tüchtig und Ganoven sind schlimm. Alle sind Verräter. Vielleicht wissen noch andere von dem, was Batzke vorhatte. Vielleicht warten die andern nicht so lange, vielleicht sitzen die schon auf dem Stadthaus und nehmen Kufalt seine fünfzehntausend Mark fort.
Was hat er denn zu verraten? Einen einzigen Namen – den Namen Batzke. Er weiß die Helfershelfer nicht, er weiß die Schwärzer nicht. Er weiß nicht einmal, wo Batzke gewohnt hat, nur den einen Namen weiß er. Der Name ist sein Kapital, der Name ist sein Zigarrenladen, seine Zukunft. Den Namen darf er sich nicht wegnehmen lassen. Er muß unbedingt sofort gehen.
Er zieht den Mantel an, er setzt den Hut auf, er steht zögernd inmitten des Zimmers.
Der Rausch der Geldgier läßt einen Augenblick nach, die Rachsucht ebbt für eine Sekunde ab – ,dies kann schiefgehen‘, denkt er. ,Dies kann sehr schiefgehen.‘
Und doch geht er, zögert wieder auf dem Flur, hört Frau Fleege in der Küche wirtschaften, und plötzlich erfüllt ihn etwas wie eine leise Rührung bei dem Gedanken an das alte, verrunzelte Frauengesicht.
,Sie ist doch die einzige‘, denkt er, ,die es mit mir gut meint.‘
Er geht in eine Welt von Feinden. Nur Schlauheit und Kampf können helfen. Hier braucht er sie nicht. Er öffnet die Tür zur Küche. „Frau Pastorin“, sagt er. „Ich gehe für ein paar Stunden weg. Es kann aber auch länger dauern.“
Sie lächelt ihm freundlich zu unter ihrer Perlenhaube. „Ist es wegen eines Engagements?“fragt sie vorsichtig.
„Nein – doch – vielleicht – vielleicht komme ich heute gar nicht mehr wieder. Nun, meine Sachen sind ja gut bei Ihnen aufgehoben.“
„Herr Lederer“, sagt die alte Frau und nimmt seine Hand zwischen ihre beiden alten, zittrigen Hände. „Ich wünsche Ihnen ja so viel Glück! So viel Glück!“
„Sie kommen wegen des Juwelenraubs bei Wossidlo?“fragt der eine Beamte und sieht Kufalt musternd an. „Was soll’s denn sein?“
„Ich wollt’ mal fragen“, sagt Kufalt, „ob schon Belohnung ausgesetzt ist.“
„Nein“, sagt der Beamte kurz. „Und es wird auch keine?“fragt Kufalt wieder.
„Das kommt darauf an“, sagt der Beamte.
Kufalt sind die musternden Blicke der beiden Kriminaler sehr unangenehm. Jeden Augenblick kann sich einer von ihnen an die Beschreibung erinnern. Wenn er sich doch wenigstens noch vorher einen andern Mantel und einen andern Hut besorgt hätte! Aber an nichts hat er gedacht. Wie blind ist er losgelaufen, hinter dem Geld her, das es nun vielleicht nicht einmal geben wird.
„Also denn“, sagt er, „vielleicht komme ich noch mal wieder.“Und steht auf.
„Halt, halt“, sagt der Beamte aufgeräumter, „nicht so eilig“!