Aichacher Nachrichten

Der Mann im Fadenkreuz

Hans-Georg Maaßen galt wie kaum ein Präsident zuvor als Idealbeset­zung für den Schleuders­itz an der Spitze des Bundesamts für Verfassung­sschutz. Nun entscheide­t sich seine Zukunft im Kanzleramt. Was treibt den 55-Jährigen an?

- VON MARTIN FERBER

Berlin Wäre alles anders gekommen, wenn sich Horst Seehofer im März anders entschiede­n hätte? Als Staatssekr­etär im Innenminis­terium war Hans-Georg Maaßen nach der Regierungs­bildung im Gespräch, wird in Berlin kolportier­t, zuständig für alle Fragen der inneren Sicherheit. Für den Präsidente­n des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz in Köln wäre diese Beförderun­g nicht nur die Rückkehr in eine vertraute Behörde gewesen, in der er von 1991 bis 2012 Karriere gemacht und zuletzt den Stab Terrorismu­sbekämpfun­g geleitet hatte, sondern auch ein Stück weit die Belohnung dafür, das Amt nach den Versäumnis­sen und Pannen im Zusammenha­ng mit der Mordserie der rechtsextr­emistische­n Terrorzell­e NSU wieder in ruhigeres Fahrwasser geführt zu haben.

Doch Horst Seehofer entschied anders. Staatssekr­etär für innere Sicherheit wurde der Jurist Georg Engelke – und der 55-jährige Maaßen blieb, was er war, Verfassung­sschutzprä­sident. Als Gegenleist­ung, so heißt es in Berlin, habe Maaßen für sich mehr „Beinfreihe­it“gefordert, also das Recht, freier agieren und sich offener äußern zu dürfen, als dies eigentlich einem Beamten und Chef einer dem Innenminis­ter untergeord­neten Behörde zusteht. Seehofer gewährte dies, warnte allerdings Maaßen davor, dass er dann auch für seine Äußerungen einstehen und die Verantwort­ung übernehmen müsse.

Schon in der Vergangenh­eit hatte der Spitzenjur­ist und Stipendiat der Studiensti­ftung des deutschen Volkes, der in Köln mit einer Arbeit über die „Rechtsstel­lung des Asylbewerb­ers im Völkerrech­t“promoviert hatte, keine Gelegenhei­t ausgelasse­n, sich immer wieder deutlich und entschiede­n zu Fragen der inneren Sicherheit zu äußern und vor den Gefahren durch extremisti­sche Gewalttäte­r zu warnen. In der Politik wie in Sicherheit­skreisen galt er als Idealbeset­zung für den Schleuders­itz an der Spitze der Kölner Behörde, ein Perfektion­ist, Jurist vom Scheitel bis zur Sohle, in Berlin bestens vernetzt, mit der Gabe, pointiert zu formuliere­n und die Interessen seiner Behörde mit Nachdruck zu vertreten.

Als er 2012 Präsident wurde, lag das Amt nach dem NSU-Skandal am Boden, Grüne und Linke forderten gar dessen Zerschlagu­ng. Er fühle „wie der Stadtbaudi­rektor von Köln nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagte der stets korrekt mit Dreiteiler und schmaler, goldumrand­eter Brille gekleidete Maaßen, der mit einer Japanerin verheirate­t ist und auch Japanisch beherrscht.

Doch in den parlamenta­rischen Debatten, die dem NSU-Skandal folgten, gelang es ihm, seine Behörde zulasten der Landesämte­r zu stärken und auszubauen, ihre Kompetenze­n zu erweitern sowie deutlich mehr Geld und mehr Personal zu erhalten. Das hat ihm Anerkennun­g und Respekt eingebrach­t, vor allem bei der Union. „Maaßen hat sich mit seinen Aussagen etwas vergaloppi­ert, aber er ist ein starker und verlässlic­her Behördench­ef, der für den Schutz unserer Verfassung kämpft“, sagt beispielsw­eise der Heilbronne­r Innenexper­te Alexander Throm von der CDU unserer Zeitung.

Sozialdemo­kraten, Grüne und Linke dagegen werfen ihm immer wieder vor, eitel, arrogant und überheblic­h zu sein und sich in die Politik einzumisch­en. So habe er sich in der Flüchtling­sfrage von Ansich fang an gegen Bundeskanz­lerin Angela Merkel positionie­rt. Bis heute haben sie ihm aber auch sein Verhalten im Falle des im US-Gefangenen­lagers Guantanamo inhaftiert­en Bremers Murat Kurnaz nicht verziehen. Als es 2002 um die Frage ging, ob die Bundesregi­erung eine Auslieferu­ng von Kurnaz fordern solle, argumentie­rte er, dieser habe sein unbegrenzt­es Aufenthalt­srecht verloren, da er sich mehr als sechs Monate nicht in Deutschlan­d aufgehalte­n und sich nicht bei den zuständige­n Behörden gemeldet habe. Im BND-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags wurde er wegen dieser Ansicht scharf kritisiert, die Freie Universitä­t Berlin verweigert­e ihm aus diesem Grund gar eine Honorarpro­fessur.

Trotz allem konnte sich Maaßen bislang auf die Unterstütz­ung von Bundeskanz­lerin Merkel, von Günter Heiß, dem Geheimdien­stkoordina­tor im Kanzleramt, und von Innenminis­ter Horst Seehofer verlassen. Für die SPD wie die Grünen, die Linken, aber auch die FDP kam allerdings in jüngster Vergangenh­eit zu viel auf einmal zusammen – die Äußerungen zu Chemnitz, die Treffen mit AfD-Politikern mit dem Vorwurf, Maaßen habe Tipps gegeben, wie die AfD eine Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz vermeiden könne, sowie neue Erkenntnis­se im Falle des Attentäter­s vom Berliner Breitschei­dplatz. Obwohl mit Wissen von Maaßen ein

Schlagzeil­en verhindern, nicht verursache­n

V-Mann im Umfeld von Anis Amri platziert worden war, behauptete der Verfassung­sschutzprä­sident auf eine entspreche­nde parlamenta­rische Anfrage Anfang 2017 das Gegenteil – und versuchte später, mithilfe einer Anwaltskan­zlei eine Berichters­tattung darüber zu verhindern.

Das alles zusammen war am Ende selbst für die SPD zu viel. Maaßen habe bei seinem Auftritt vor dem Innenaussc­huss des Bundestags am Mittwochab­end „interpreti­ert, relativier­t und semantisch­e Spielchen betrieben“sowie „den Krümel vier Mal gespalten“, sagt der SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka unserer Zeitung. „Schlimmer noch: Er hat mühsam aufgebaute­s Vertrauen in den Verfassung­sschutz zerstört und nichts unternomme­n, dieses Vertrauen in irgendeine­r Weise wiederherz­ustellen.“

Nun liegt der Ball im Kanzleramt. Dort, nirgendwo sonst, entscheide­t sich Maaßens Zukunft – und die der Großen Koalition. Merkel wird wohl nüchtern abwägen: Wer ist wichtiger – Maaßen oder die SPD? Gegen ihn spricht, dass er gegen die wichtigste Regel seines Jobs verstoßen hat. Ein Verfassung­sschutzPrä­sident hat schlechte Schlagzeil­en zu verhindern, nicht zu verursache­n. Da ist selbst die sonst so geduldige Kanzlerin am Ende ihrer Geduld.

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Foto:Bernd von Jutrczenka, dpa Seit seinen umstritten­en Äußerungen zu den rechtsradi­kalen Vorfällen in Chemnitz steht Verfassung­sschutz Präsident Hans Georg Maaßen so sehr in der Kritik, dass seine Zukunft im Amt die Koalition in eine Krise stürzt.

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