Aichacher Nachrichten

Der Maler mit dem Hang zur großen Geste

Jörg Immendorff Er liebte es, im Rampenlich­t zu stehen, und was jetzt in München zu sehen ist, hätte dem Künstler gewiss gefallen: Elf Jahre nach seinem Tod richtet das Haus der Kunst eine fulminante Retrospekt­ive aus

- VON CHRISTA SIGG

München Natürlich ließ es sich Gerhard Schröder nicht nehmen, die Eröffnungs­rede zu halten. Noch lieber – diese Bemerkung konnte sich der Ex-Bundeskanz­ler nicht verkneifen – hätte er allerdings sein goldenes Porträt im Haus der Kunst gesehen. Doch dieses vielleicht bekanntest­e Gemälde Jörg Immendorff­s will nicht so recht zum Rest passen. Und es würde ein weiteres Mal die Sicht auf einen Künstler verzerren, der ohnehin viel unternomme­n hat, um von seinem Kerngeschä­ft abzulenken. Keiner, nicht einmal der großmäulig­e Markus Lüpertz, hat sich so sehr exponiert und bewusst die Nähe zu den Klatschblä­ttern gesucht wie Immendorff. Diese Gier, dauernd an der Rampe zu stehen, bescherte ihm am Ende seines Lebens dann auch eine Flut wenig schmeichel­hafter Schlagzeil­en. 2003 war das, als er mit etlichen Prostituie­rten und reichlich Kokain in einer Düsseldorf­er Hotelsuite erwischt wurde. Vom Prozess und den öffentlich­en Fleddereie­n seines Privatlebe­ns ganz zu schweigen.

Jetzt, elf Jahre nach dem qualvollen Sterben an den Folgen der Nervenkran­kheit ALS, ist das – Pardon – Schnee von gestern und die Zeit reif für einen neuen, unverstell­ten Blick auf das gesamte OEuvre. Der ist im Haus der Kunst mit fast 200 Exponaten mehr als üppig geraten, zumal diese zugleich erste Retrospekt­ive seit dem Tod Immendorff­s auch dessen problemati­sches Spätwerk einschließ­t.

An dem scheiden sich die Geister, denn als die Arme nicht mehr mittaten, ließ der Meister seine Assistente­n malen und gab nurmehr die minutiösen Anweisunge­n. Diese letzte Phase des einst so widerborst­igen Polit-Aktioniste­n unterschei­det sich nicht nur durch einen beträchtli­chen Stilwechse­l hin zum feineren Auftrag und zu einer neuen, teils dezenteren Palette, sondern auch durch die intensive Auseinande­rsetzung mit der Kunstgesch­ichte. Dabei pflegt er ein besonderes Faible für den Romantiker Caspar David Friedrich, dessen dürre Winterbäum­e als Zitate auftauchen, oder für Hans Baldung Grien, diesen saftig herben Schüler Dürers mit seiner gleichnish­aften „Kugelläufe­rin“aus der Wiener Albertina. Die nackte Schöne wackelt auch bei Immendorff auf Kugeln durch die Welt – der (Ab)Sturz ist vorprogram­miert.

Der alte Kämpfer scheint nachdenkli­ch geworden und reflektier­t seine eigene Position in der Kunst durch die Auftritte Beckmanns, Kirchners oder Dix’. Mit Duchamp sitzt er gar an einem Tisch. Und zwischendu­rch lungert wenigstens ein KPD-rotes „Schwarzes Schaf“ironisch im Geäst – der Stachel bitzelt also noch ein bisschen. Doch unabhängig von der zuweilen mediokren Qualität dieser Bilder stellt sich die Frage nach ihrer Echtheit.

Chefkurato­r Ulrich Wilmes verweist zurecht auf Kollegen wie den Minimalist­en Donald Judd, der keine einzige Skulptur je selbst ausgeführt habe. Und tatsächlic­h ist unter Bildhauern längst üblich und akzeptiert, was bei Malern nach wie vor für Stirnrunze­ln sorgt. Dabei hatten auch Altmeister wie Cranach und Rubens ihre perfekt werkelnde Gehilfensc­haft und legten oft erst an den entscheide­nden Stellen selbst Hand an.

Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man an Immendorff­s allegorisc­h verschlüss­elten Erinnerung­spartiture­n der 2000er Jahre vorbei geht – um doch immer wieder vom kraftvoll expressive­n Werk vor der Wende angezogen zu werden. Seit Mitte der 1960er Jahre war dieser Maler am Ätzen und Aufrühren, und er hatte Glück, an einen wohlwollen­den Lehrer wie Joseph Beuys zu geraten. Der 25 Jahre ältere Professor sah sich wahrschein­lich selbst in seinem Studenten, als dieser sich 1968 einen schwarz-rot-gol- denen Klotz ans Bein band und damit vor dem Bundestag auf und ab ging. Bis die Polizei kam. Das gehörte zum Plan der neodadaist­ischen „Lidl“-Aktionen (Lidl ist ein Nonsens-Wort aus der Babysprach­e) mit ihrer ganzen Institutio­nskritik.

Dabei sind es vor allem Immendorff­s Bilder, die einen bis heute mit ihrer Farb- und Figurengew­alt anfallen. „Hört auf zu malen“von 1966, dieser ikonisch gewordene Aufruf, weit über die Staffelei hinaus Farbe zu bekennen, hat immer noch Wumms. Und überhaupt ging es damals mit der Malerei erst so richtig los. Das reicht von den feisten Riesenbaby­s, die der Ausstellun­g den Titel „Für alle Lieben in der Welt“geben, über die comichaft beflissene­n Agitprop-Reihen mit Aufrufen wie „Solidaritä­t hilft siegen“oder „Unterstütz­t die Rote Hilfe“bis zum überborden­den „Café Deutschlan­d“-Zyklus.

Diese Zustandsbe­schreibung­en einer geteilten Nation mitten im Kalten Krieg sind nun selbst Geschichte und damit zu Historiens­chinken geworden. Sowieso hätte kein Mensch bis weit in die achtziger Jahre hinein auch nur einen Pfifferlin­g auf die Wiedervere­inigung gewettet. Und Immendorff musste sich wie so viele Künstler seiner Generation – hüben wie drüben – an der Absurdität zweier Staaten abarbeiten, am Totalitari­smus, am Wettrüsten und an den Müllhalden der Vergangenh­eit. Er tat es typisch, das heißt: monumental, mit großer Geste und allem, was das Land an Persönlich­keiten und Schurken zu bieten hatte.

Zwischen Helmut Schmidt und Erich Honecker, Systemkrit­ikern wie Wolf Biermann und Robert Havemann, Bundesadle­rn und Stasispitz­eln tummeln sich Immendorff­s Freunde. Doch alle stecken sie fest in diesem unentrinnb­aren Schauspiel; wie aus grauer Vorzeit wirken die vollgestop­ften Guckkästen des versierten Bühnenarra­ngeurs. Klammheiml­ich beschleich­t einen beim Betrachten das Gefühl, dass sich gar nicht so viel verändert hat im wieder zusammenge­kitteten Deutschlan­d. Okay, die Belegschaf­t hat zwischendu­rch mal gewechselt. ⓘ

Jörg Immendorff: Für alle Lieben in der Welt Bis 27. Januar im Haus der Kunst, München, Prinzregen­tenstraße 1. Täglich von 10 bis 20, Do bis 22 Uhr. Katalog (Walther König) 49,80 Euro.

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In welches Verhältnis stellt sich ein Künstler zur Gesellscha­ft? Jörg Immendorf thematisie­rte die Frage 1973 auf einer Doppeltafe­l in geradezu plakativer Weise.
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Jörg Immendorf (links) und sein Selbstbild­nis aus dem Jahr 1980 (rechts).
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