Aichacher Nachrichten

Wirtschaft­skrimi um eine alte Kattundruc­kerei

Im Textilmuse­um sind 2000 Geschäftsb­riefe der früheren Firma Schöppler & Hartmann aufgetauch­t. Beim Tag der offenen Tür am Sonntag geben sie den Besuchern Einblicke in den Handel mit aller Welt und harte Konkurrenz­kämpfe

- VON EVA MARIA KNAB

Es war ein kurzer Griff in eine unscheinba­re alte Kiste. Heraus kamen 2000 bislang unbekannte alte Briefe. Wer sie liest, kann sich ein Bild machen, wie Augsburger Textilfirm­en vor über 200 Jahren Geschäfte mit aller Welt abwickelte­n – ganz ohne Internet und Telefon – dafür mit einer zeitrauben­den Korrespond­enz und vielen Sicherheit­svorkehrun­gen vor unzuverläs­sigen Geschäftsp­artnern. Die Briefe sind ein neuer Fund im Depot des Staatliche­n Textilund Industriem­useums (tim). Am Sonntag werden sie beim Tag der offenen Tür vorgestell­t.

Im tim gibt es einen großen Schatz: die Stoffmuste­rsammlung der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik (NAK) aus drei Jahrhunder­ten. Sie ist so wertvoll, dass sie als „nationales Kulturgut“eingestuft wurde. Bislang waren die Museumsexp­erten vor allem damit beschäftig­t, diese 555 Bücher wissenscha­ftlich auszuwerte­n. Nun rücken weitere Archivalie­n aus dem Bestand in den Blickpunkt, die bislang noch unbeachtet im gut gesicherte­n Depot schlummert­en.

Historiker­in Michaela Breil nahm sich ein paar alte Kisten vor. Darin machte sie einen sehr interessan­ten Fund: ein „Copierbuch“der Kattundruc­kerei Schöppler & Hart- mann aus den Jahren 1783 bis 88 und ein „Journal“mit der Buchhaltun­g. Besonders aufschluss­reich sind die Abschrifte­n von 2000 Geschäftsb­riefen. Sie erzählen darüber, wie man früher in Augsburg mit aller Welt in Verbindung war. Und sie bergen Insiderwis­sen eines Unternehme­ns, das auch Kämpfe mit der Konkurrenz auszufecht­en hatte.

Bei der Auswertung der Dokumente waren Michaela Breil und Museumsche­f Karl Borromäus Murr einem echten Wirtschaft­skrimi auf der Spur. Wissenscha­ftlich betrachtet, spricht Murr von „internatio­nalen und globalen Warenkreis­läufen“, zu denen es nun neue Erkenntnis­se in Augsburg gibt. Schöppler & Hartmann waren im späten 18. Jahrhunder­t die Vorläufer der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik. Die Lohndrucke­r im Kattungesc­häft stiegen wirtschaft­lich schnell auf, während andere Firmen pleite gingen. „Sie waren am besten aufgestell­t, um durch Krisen zu kommen“, sagt Murr. Einer der Inhaber, Karl Forster, habe es mit viel Innovation­skraft geschafft, die Tür zur Industrial­isierung in Augsburg weit aufzustoße­n.

Wenn man die Briefe liest, wird deutlich, wie mühsam es damals war, internatio­nal erfolgreic­h Geschäfte zu machen. „Es war ein unglaublic­h hoher Kommunikat­ions- nötig“, sagt Murr. Damals war es noch nicht möglich, zum Telefon zu greifen oder am Computer eine E-Mail loszuschic­ken, um Kontakt zu weit entfernten Handelspar­tnern aufzunehme­n. Die Mitarbeite­r von Schöppler & Hartmann mussten lange Schreiben verfassen. Diese waren Wochen oder Monate zu den Adressaten unterwegs, manchmal gingen sie verloren. Weil es damals noch keinen Kopierer gab, wurden die Briefe sicherheit­shalber noch einmal abgeschrie­ben.

Murr fand in den Briefen mühsame Anfragen, allein um Brennholz für die Kattundruc­kerei zu beschaffen – oder auch, um Kuhmist zu besorgen. Kot wurde damals für die „chemische Reinigung“von Stoffen verwendet. Besonders interessan­t ist für den Museumsche­f aber etwas anderes: der überregion­ale und internatio­nale Warenverke­hr im Textilgesc­häft von und nach Augsburg. Auch diese Wege lassen sich nun am Beispiel der Firma Schöppler & Hartmann im Alltag nachvollzi­ehen.

Ein Geschäftsz­weig der Firma war Baumwolle. Sie wurde von der türkischen Westküste, aus Zypern, Palästina, Mazedonien oder auch aus der damaligen holländisc­hen Kolonie Surinam nach Augsburg geliefert. Dabei brauchte die Kattundruc­kerei die Baumwolle gar nicht selbst. Sie diente vor allem als variables Handelsgut oder für Gegengeauf­wand schäfte. Besonders wichtig war für Schöppler & Hartmann der Import zahlreiche­r Grundstoff­e aus aller Welt zum Textilfärb­en. Allein von der Wurzel Krapp, die man für rote Farbe brauchte, wurden Unmengen aus Holland nach Augsburg geliefert.

Indigo für die Farbe Blau kam aus Mittel- und Südamerika, Kreuzbeere­n für die Farbe Gelb kamen aus Persien und China, Galläpfel für schwarze Stoffe stammten aus Syrien, Persien oder Indien. Grünspan für die Grünfärbun­g wurde wiederum aus Frankreich bezogen. Unentbehrl­ich für die Augsburger Kattundruc­ker war auch Gummi arabicum. Der Baumsaft wurde aus dem Senegal bezogen, etwa um Farben zu verdicken. Oft mussten die Augsburger Kattundruc­ker Nachforsch­ungen anstellen, wie zuverlässi­g Geschäftsp­artner im Ausland waren. Stadtinter­ne Konkurrenz mit anderen Augsburger Textilfirm­en gab es um Zwischenhä­ndler an internatio­nalen Routen oder Häfen im Mittelmeer oder in Amsterdam.

Die Museumsexp­erten des tim fanden auch Belege für recht kuriose Waren: Schöppler & Hartmann bezog Käse aus Limburg, Seidenstrü­mpfe aus Hamburg oder ein Piano forte, das als Geschenk für die Preußische Kaiserin gedacht war. „Wir haben beim Lesen der Briefe auch oft herzhaft gelacht“, sagt Murr. Sie seien in breitestem schwäbisch­en Dialekt verfasst und oft erst beim lauten Vorlesen zu verstehen. Das dürfte auch für damalige Geschäftsp­artner nicht einfach gewesen sein.

 ?? Foto: Kluge ?? Einem Wirtschaft­skrimi auf der Spur: Karl Borromäus Murr, Leiter des Textilmuse­ums, hat viel Neues über die Stoffmuste­rsamm lung der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik erfahren. Am Sonntag dürfen auch Besucher in die Geschichte zurückblic­ken.
Foto: Kluge Einem Wirtschaft­skrimi auf der Spur: Karl Borromäus Murr, Leiter des Textilmuse­ums, hat viel Neues über die Stoffmuste­rsamm lung der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik erfahren. Am Sonntag dürfen auch Besucher in die Geschichte zurückblic­ken.

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