Polizei muss auf Baustelle schlichten
Streit In einer historischen Firmenhalle entstehen 42 Edel-Wohnungen. Die Arbeiter einer italienischen Baufirma sagen, sie warten seit Monaten auf Lohn. Weil sie ohne Geld nicht heimgehen wollten, rückten mehrere Polizeistreifen an
Das Textilviertel gilt als Vorzeigeviertel in Augsburg. Es sind schicke Wohnungen, die hier, in einer historischen Firmenhalle der früheren Augsburger Kammgarnspinnerei (AKS) derzeit entstehen. 42 Apartments und Lofts für Leute, die es sich leisten können. Der Kaufpreis soll bei mehr als 6000 Euro pro Quadratmeter liegen. Die Werbung verspricht Käufern: „Wohnen und Leben mit Geschmack und der Gewissheit des Besonderen“und „außergewöhnliche Erlebnisse“. Noch befinden sich die Wohnungen im Rohbau. Dafür hat der Bauleiter einer italienischen Firma, wie er sagt, momentan ein außergewöhnliches Erlebnis. Er und seine Arbeiter warten eigenen Angaben zufolge seit Monaten auf Geld. Es gehe in dem Streit um mehrere hunderttausend Euro. Am Mittwoch musste deshalb sogar die Polizei zur Baustelle anrücken.
Giovanni Panunzio, 62, arbeitet seit Jahrzehnten in der Baubranche. So etwas aber, sagt er, sei ihm in seiner Karriere noch nicht passiert. Er steht vor einem gut gesicherten Bauzaun. Der Eingang zur Baustelle ist mit einer Drehtür aus Metall abgesperrt. Seit rund einem Jahr hätten sie hier gearbeitet, erzählt Panunzio in gutem Deutsch. Sie machten die Beton- und Rohbauarbeiten. Doch seit dem Frühsommer habe der Investor nicht mehr gezahlt.
Sie seien im Zeitplan etwas zurück gelegen, schneller sei es aber einfach nicht gegangen. „Wir haben ja zehn Stunden täglich oder mehr gearbeitet“, sagt der Bauleiter. Die offenen Forderungen beziffert Panunzio auf rund 800000 Euro. Das bringe seine Firma, die ihren Sitz in Brescia nahe des Gardasees hat, in Schwierigkeiten. Seit Monaten könne man die Arbeiter nicht mehr bezahlen. Sie warteten auf ihren Lohn.
In dieser Woche eskalierte nun der Streit. Giovanni Panunzio sagt, der Chef der Münchner Immobilienfirma, die das Projekt umsetzt, habe ihnen am Montag versprochen, den Arbeitern zumindest einen Teil des Lohns auszuzahlen. Doch als sie am Dienstag wieder zur Baustelle gekommen seien, hätten sie das Gelände nicht mehr betreten können. Ihre Karten, mit denen sie durch die Drehtür kommen, seien gesperrt gewesen. Gleichzeitig sei ihm die Kündigung des Vertrags ausgehändigt worden, sagt Panunzio. Und das jetzt, nachdem rund 95 Prozent Arbeiten erledigt seien. Der Investor sage, er sei mit den Arbeiten nicht zufrieden. Deshalb wolle er nichts bezahlen. Panunzio sagt: „Er soll uns zeigen, wo die Fehler sind.“Dann könne man ja darüber reden.
Weil die Arbeiter am Mittwoch trotz der Kündigung wieder kamen, auf das Gelände gelangten und ohne Geld nicht wieder gehen wollten, rückten mehrere Polizeistreifen an. Bernd Waitzmann, der stellvertretende Chef der Polizeiinspektion Süd, versuchte zu vermitteln. Er machte den Arbeitern klar, dass sie auf die Schnelle kein Geld bekommen. Diese Fragen müssten die Gerichte klären. Panunzio und seine Leute ließen sich nach einigen Diskussionen überzeugen. Sie räumten die Baustelle und wollen nun erst mal zurück nach Italien fahren – wenn auch mit leeren Händen. Das sei schlimm, sagt Giovanni Panunzio, viele Arbeiter hätten schließlich eine Familie zu versorgen. Die Poli- zisten notierten sich auch die Personalien der Arbeiter. Sollte der Bauherr sie wegen Hausfriedensbruchs anzeigen, müssen sie sogar mit einem Strafverfahren rechnen.
Der Geschäftsführer der zuständigen Immobilienfirma, Kurt Kirmair, teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit, dass „eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses“mit der Firma wegen „erheblicher Vertragsverletzung“nicht mehr zumutbar gewesen sei. Er sagt: „Wir haben deshalb hier von unserem Recht Gebrauch gemacht und die Zusammenarbeit beendet, um das Projekt zügig vorantreiben und fertigstellen zu können.“Kirmair dankt der Polizei für den „schnellen und erfolgreichen Einsatz“. Er äußert darüber hinaus den Verdacht, dass die betroffenen Arbeiter von ihrem Arbeitgeber womöglich fehlerhafte Informationen über die aktuelle Situation bekommen hätten. Es ist nicht das erste Mal, dass es auf einer Bauder stelle im Textilviertel Wirbel um ausbleibende Löhne gibt.
Vor drei Jahren, im Juli 2015, gingen rumänische Arbeiter auf die Barrikaden, weil sie vergeblich auf ihren Lohn warteten. Sie hielten sogar eine Protest-Demonstration vor der Baustelle ab. Die rumänischen Arbeiter arbeiteten an den sogenannten Shed-Hallen. Das Areal ist inzwischen fertiggestellt, unter anderem Supermärkte sind dort eingezogen. Auch damals kritisierte ein Vorarbeiter, dass die Immobilienfirma – ebenfalls mit Geschäftsführer Kurt Kirmair – nicht zahle. Die rumänischen Arbeiter waren das letzte Glied in einer Kette von Subunternehmern. Sie versuchten dann, den Lohn vor dem Arbeitsgericht direkt beim Bauherrn einzuklagen. Das ist nach dem Mindestlohngesetz möglich. Es soll verhindern, dass Arbeiter bei einer solchen Firmenkonstellation in die Röhre schauen.
Allerdings wehrte sich das Immobilienunternehmen gegen die Vorwürfe und stellte die Sache ganz anders dar. Man habe sehr wohl gezahlt, erklärte der Anwalt der Firma. Das Geld sei aber offenbar bei einem der Subunternehmen versickert. Diese Sichtweise auf den damaligen Fall teilt inzwischen auch die Augsburger Staatsanwaltschaft. Sie hat deshalb vier Personen wegen gemeinschaftlichen Betrugs angeklagt. Unter anderem den Geschäftsführer eines Subunternehmens und den Rechtsanwalt, der die rumänischen Arbeiter vor dem Arbeitsgericht vertreten hat. In Untersuchungshaft sitzt aber keiner der Beschuldigten. Und einen Termin, wann ihnen vor dem Landgericht der Prozess gemacht werden soll, gibt es im Moment noch nicht.
In einem anderen Fall steht noch ein Prozess aus