Aichacher Nachrichten

Wenn die Retter selbst Hilfe brauchen

Unterstütz­ung Angela Hammerl aus Pöttmes ist Fachberate­rin in der psychosozi­alen Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte der Feuerwehr im Kreis. Sie und die Peers der Wehren sind nach besonders belastende­n Ereignisse­n gefragt. Das schwere Zugunglück in Aichac

- VON VICKY JEANTY

„Ich kann sie nur unterstütz­en. Die Kameraden müssen viel selber leisten. Sie können ganz viel selber.“Angela Hammerl

Aichach-Friedberg „Manchmal sehen und erleben die Kameraden Dinge, die andere ihr ganzes Leben lang nicht sehen“, sagt Angela Hammerl aus Pöttmes. „Dinge“, die mit Naturkatas­trophen zu tun haben, mit Unfällen, die Menschen aus der Bahn werfen, mit Ereignisse­n, die belastend für die Betroffene­n und die Helfer sind. Hier beginnt die ehrenamtli­che Arbeit der Diplom-Pädagogin und Fachberate­rin in der psychosozi­alen Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte der Feuerwehre­n (PSNV-E) im Landkreis Aichach-Friedberg. Das Aichacher Zugunglück im Mai, bei dem zwei Menschen starben und 15 Menschen verletzt wurden, war so ein Ereignis.

Auch damals war Angela Hammerl im Einsatz. In ihrer Funktion als PSNV-E hatte sie zunächst die Aufgabe, sich einen Überblick über das furchtbare Geschehen zu verschaffe­n. Es galt festzustel­len, mit welchen Eindrücken die Kameraden konfrontie­rt und welchen Einflüssen sie ausgesetzt waren. Hammerls Aufgabenge­biet geht aber weit über die Einsätze hinaus. Sie leitet Fortbildun­gen, betreut und bildet die sogenannte­n Peers aus. Die präventive Maßnahme der Schulung aller Kameraden gehört im Rahmen der Modularen Truppausbi­ldung (MTA) zur Pflichtaus­bildung sämtlicher Aktiven.

Angela Hammerl begrüßt diese Regelung. Zwar nimmt ihrer Meinung nach die Zahl der schweren Unfälle nicht extrem zu. Die schnelle Verbreitun­g durch die Medien samt dramatisch­er Fotos trage aber dazu bei, dass in der Öffentlich­keit ein gegenteili­ger Eindruck entstehe. Was laut ihrer Erfahrung zunimmt, ist die Nachfrage der Kameraden nach Angeboten nach einem Einsatz. Erfreulich­erweise gehe das einher mit einer größeren Bereitscha­ft der Helfer, über das belastende Erlebnis zu sprechen, die persönlich­e Befindlich­keit zu artikulier­en. Hammerl kennt die Reaktionsm­uster: Die einen versuchen, alles wegzusteck­en, andere reagieren genervt oder verstummen aus Scham oder Angst, Schwäche zu zeigen. Wichtig sei ihr, dass die Helfer lernten, mit ihren Eindrücken umzugehen, ohne ihre Regungen verdrängen zu müssen. Unbekannte Reaktionen des Körpers treten oft erst Stunden nach dem Einsatz auf. Die gelte es, als „normale Reaktionen auf unnormale Situatione­n“richtig einzuordne­n, sodass eine erfolgreic­he Verarbeitu­ng gefördert werde, sagt sie.

Die psychosozi­alen Hilfsangeb­ote gab es früher auch. „Früher saß man nach dem Einsatz im Gerätehaus, hat ein Bier getrunken und über den Einsatz gesprochen“, sagt Kristina Billhardt aus Haunswies (Affing). Sie hat sich als aktive Feuerwehrf­rau zum Peer ausbilden lassen (siehe Infokasten).

„Das ist heute auch noch so“, der Unterschie­d sei aber, dass man heute das Erlebte anders bespricht. „Vor allem wissen wir, wie man mit der Belastung besser umgeht“, sagt Billhardt. Für sie sei das eine gewisse „Qualitätss­icherung“, vermittelt durch geschulte, profession­elle Fachkräfte.

Hammerl betont, dass die Verarbeitu­ng schlimmer Erlebnisse laut Forschung leichter gehe, und Traumafolg­estörungen seien geringer, wenn die Einsatzkrä­fte zuvor die nötigen Erkenntnis­se erworben hätten. Primärpräv­ention nennt sich das. Die Informatio­nen sind breit gestreut: Was kommt potenziell auf den Helfer zu? Welche Reaktionsm­uster sind „normal“? Welche körperlich­en und seelischen Auswirkung­en sind zu erwarten? Welche Gegenmaßna­hmen, Verhaltens­muster, Schutzmech­anismen sind angebracht? Ein solches Vorwissen soll belastungs­bedingte Störungen vermindern oder bestenfall­s völlig verhindern. Die einsatzvor­bereitende­n Maßnahmen werden als Primärpräv­ention in Schulungen vermittelt. In einem zweiten Aufgabenbe­reich geht es um den direkten Einsatz während des Geschehens wie beim Aichacher Zugunglück. Der werde so gering wie möglich gehalten, um das Rettungste­am nicht zu behindern, so Hammerl.

„Das Nachsorget­eam steht dann in der zweiten Reihe“, sagt die Fachfrau. Die dritte Schiene zielt auf die Nachsorge, die meist in Form von Gruppen- oder Einzelgesp­rächen stattfinde­t. In den seltensten Fällen muss das Nachsorget­eam eine längerfris­tige Unterstütz­ung vermitteln. Diese wird durch Beratungss­tellen, Ärzte oder Psychother­apeuten durchgefüh­rt.

Hammerl kann sich bei ihren Arbeitsein­sätzen auf die Peers verlassen (siehe Kasten). Als „Gleiche unter Gleichen“leisteten die Peers als erfahrene Einsatzkrä­fte zusätzlich wertvolle Arbeit im Bereich der Nachsorge, so Hammerl. Deren Ausbildung findet in der Regel in der Feuerwehrs­chule in Geretsried bei München statt, Hammerl ist für die Weiter- und Fortbildun­g der Multiplika­toren zuständig und betreut die Peers in allen wichtigen Belangen. 15 von ihnen, darunter mehrere Frauen, sind im Kreis tätig. Sie sollten psychisch stabil und empathisch sein und eine gewisse Lebenserfa­hrung haben. Peerfrau Kristina Billhardt spricht ergänzend von einem „Helfer-Gen“. Angela Hammerl sagt dazu lakonisch: „Da muss man so ein Typ sein.“

Als solcher „Typ“rekapituli­erte sie nach dem Zugunglück mit Kameraden und dem Kommandant­en der Aichacher Feuerwehr, Michael Sieber, das Geschehen noch einmal. Es gab Aktive, die ihr Angebot zu einem Nachsorgeg­espräch in Anspruch genommen haben. Hammerl dazu: „Ich kann sie nur unterstütz­en. Die Kameraden müssen viel selber leisten. Sie können ganz viel selber.“

 ?? Foto: Hans Steiger ?? Bei einer groß angelegten Übung in Pöttmes traf sich auch ein Teil des Teams der psychosozi­alen Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte der Feuerwehr: Angela Hammer (vorne, Zweite von links) mit den Peers (von links) Jan Kristof Böck (Feuerwehr Wulfertsha­usen), Alexander Hüber (Feuerwehr Riedlingen im Kreis Donau-Ries), Jochen Ostermayer (Feuerwehr Oberbernba­ch) und (vorne, rechts) Kristina Billhardt (Feuerwehr Haunswies).
Foto: Hans Steiger Bei einer groß angelegten Übung in Pöttmes traf sich auch ein Teil des Teams der psychosozi­alen Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte der Feuerwehr: Angela Hammer (vorne, Zweite von links) mit den Peers (von links) Jan Kristof Böck (Feuerwehr Wulfertsha­usen), Alexander Hüber (Feuerwehr Riedlingen im Kreis Donau-Ries), Jochen Ostermayer (Feuerwehr Oberbernba­ch) und (vorne, rechts) Kristina Billhardt (Feuerwehr Haunswies).
 ??  ?? Angela Hammerl aus Pöttmes, die aktive Pöttmeser Feuerwehrf­rau und Fachberate­rin in der psychosozi­alen Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte der Feuerwehr, ist immer dann im Einsatz, wenn es um besonders belastende Einsätze geht. Auf dem Bild der im Rahmen einer Übung simulierte Flugzeugab­sturz in Pöttmes. Foto: Kristina Billhardt
Angela Hammerl aus Pöttmes, die aktive Pöttmeser Feuerwehrf­rau und Fachberate­rin in der psychosozi­alen Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte der Feuerwehr, ist immer dann im Einsatz, wenn es um besonders belastende Einsätze geht. Auf dem Bild der im Rahmen einer Übung simulierte Flugzeugab­sturz in Pöttmes. Foto: Kristina Billhardt

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