Wie zwei Frauen ihre Esssucht überwunden haben
Hilfe In einer Selbsthilfegruppe treffen sich Frauen und Männer, die ihr Essverhalten nicht unter Kontrolle haben. Wie sie es schaffen, mit dem Thema Ernährung anders umzugehen
Torten waren Mona S.’* Hauptdroge. Davon konnte sie locker Dreiviertel vertilgen, danach noch eine Tüte Chips und Gummibärchen. Karin M.* hingegen stand auch nachts auf, um zu essen. Beide sind zwei gut aussehende Frauen mittleren Alters mit schlanken Figuren und einer fröhlichen Ausstrahlung. Nie würde man meinen, dass sie esssüchtig waren. Die Frauen besuchen in Augsburg regelmäßig das Treffen der „Anonymen Esssüchtigen in Genesung“. Erst dadurch, sagen sie, hätten sie wieder zu sich gefunden.
Die 52-jährige Karin M. gibt zu, sie habe nie realisiert, dass sie dick war. Erst als sie nach einem Urlaub auf die Waage stieg und diese 95 Kilogramm anzeigte, habe sie sich nicht länger etwas vormachen können, meint die Hausfrau. Sie wusste, es muss endlich was passieren. Mona S. hingegen hatte in ihrem Leben schon mit vielen Süchten zu kämpfen: Alkohol, Drogen, Männer. Zuletzt eben das Essen. Beide behaupten von sich, sie seien Suchtmenschen. Beide kamen letztendlich zu der Gruppe „Anonyme Esssüchti- die sich in Augsburg zwei Mal die Woche trifft.
Die Treffen sind an alle gerichtet, die Probleme haben, ihr Essverhalten zu kontrollieren. Es ist eine Gemeinschaft von Menschen, die von der Krankheit Esssucht genesen, in dem sie Erfahrungen miteinander teilen und sich gegenseitig unterstützen. Das Prinzip ist das wie bei den Anonymen Alkoholikern und kommt auch aus den USA. In zwölf Schritten wird gegen die Sucht angegangen. Der erste Schritt ist das Eingeständnis, dass man sich in einer hilflosen Situation befindet und sein Leben selbst nicht mehr meistern kann. So wie bei Karin M. „Ich hatte schon alles versucht – sämtliche Diäten. Aber nichts half.“
Die Gruppe der „Anonymen Esssüchtigen in Genesung“, die es in manchen deutschen Städten gibt, nennt sich offiziell „Food Addicts“(FA). Mona S. und Karin M. sprechen nur von den „FA“, wenn sie über die Gruppe erzählen, die ihnen offenbar so viel hilft. Karin M. ist seit rund zwei Jahren dabei und hat in der Zeit 35 Kilo abgenommen. Sie wiegt inzwischen 60 Kilo und ist damit sehr zufrieden. „Du wirst von zu Tag schöner“, habe ihr Lebensgefährte ihr in der Zeit der Abnehmphase bescheinigt. Dabei geht es den beiden Frauen nicht nur um Gewichtsreduktion.
Vielmehr geht es ihnen darum, die Kontrolle über ihr Essverhalten und damit über sich und ihr Leben zurückzugewinnen. Der Ess-Frust nämlich habe sich auch auf andere Bereiche ausgewirkt. Bei Mona S. litt, wie sie berichtet, das Verhältnis zu ihrem Sohn stark darunter. Ihre Unausgeglichenheit, Unzufriedenheit und vielleicht auch Ungerechtigkeit belastete die Beziehung. Auch sonst habe sie viele Baustellen in ihrem Leben gehabt. Durch die Sucht, sagt sie, sei ihr vorheriges Leben immer von Schuldgefühlen geprägt gewesen. Jetzt könne sie ehrlich zu sich selbst sein. Die Mediengestalterin hat sogar ihren Job gewechselt, in dem sie sich nun sehr wohl fühlt.
Es sind bis zu zehn Frauen und Männer, die sich derzeit regelmäßig im Altenheim St. Verena am Kappelberg 2 treffen. Dort steht den FA ein Raum zur Verfügung. Die Treffen finden montags und freitags von 19 bis 20.30 Uhr statt. Eine Vorange“, meldung ist nicht nötig. Das Alter der anonymen Esssüchtigen ist gemischt.
„Die jüngste Teilnehmerin ist 24 Jahre alt, wir hatten aber auch schon eine 80-Jährige dabei.“Bei den Treffen würden Erfahrungen ausgetauscht und aus entsprechender Literatur gelesen. „Wir schauen nach vorne, teilen Kraft und Hoffnung.“Die Teilnehmer bekommen einen Essplan mit drei gesunden Mahlzeiten am Tag an die Hand. Zucker und Mehl sind absolut tabu. „Mit dem Verzicht darauf entwickelt man keinen Heißhunger.“Laut Mona hätten die Gründer von „Food Addicts“die Ernährungspläne mit Ärzten abgesprochen. „Zusätzlich wird jedem empfohlen, den Plan mit seinem Arzt durchzugehen.“Die Teilnehmer sind weltweit untereinander vernetzt. Jeder von ihnen bekommt einen Mentor zugewiesen, zu dem man regelmäßigen Kontakt per Mail beispielsweise pflegt. So findet untereinander eine Art KonTag trolle statt. Es ist genau diese Struktur, die Karin M. ansprach. „Ich wollte mal lernen, mich etwas unterzuordnen. Das war nämlich immer mein Problem.“Die zwei Frauen haben nicht das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen.
Im Gegenteil. Sie sagen, sie haben an Lebensqualität gewonnen. „Klar, wenn bei der Konditorei Dichtl im Schaufenster leckere Plätzchen ausgestellt sind, bekomme ich schon kurz Lust. Aber diese Gedanken vergehen auch wieder schnell“, erzählt Karin M., die Gebäck, Kuchen und Torten früher verschlungen hat. „Meine Mitmenschen denken oft, ich hätte ein schrecklich diszipliniertes Leben. Dabei hatte ich noch nie so viel Spaß wie jetzt.“Karin M. und Mona S. fühlen sich jetzt im Leben so richtig angekommen.
Sie haben nicht das Gefühl, verzichten zu müssen
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