Warum der Umsturz von 1918 besser ist als sein Ruf und wir auch heute noch von dem profitieren, was vor hundert Jahren errungen wurde
„Die größte aller Revolutionen hat wie ein plötzlich losbrechender Sturmwind das kaiserliche Regime mit allem, was oben und unten dazu gehörte, gestürzt. ... Gestern früh war, in Berlin wenigstens, das alles noch da. Gestern Nachmittag existierte nichts mehr davon.“
Theodor Wolff
Geschichte wird oft vom Ende her betrachtet, während Revolutionen einer Geschichte ein Ende zu setzen trachten. Beides führt zu Missverständnissen. Und tragisch zu sehen ist das in der Revolutionsgeschichte von 1918.
Denn jährten sich die Ereignisse des damaligen Novembers in diesen Tagen nicht zum hundertsten Mal – kein blauer Vogel würde höchstwahrscheinlich krähen nach dieser „vergessenen Revolution“, an die der Historiker Alexander Gallus inmitten jahrzehntelangen Schweigens 2010 erstmals wieder erinnerte. Rund um das Jubiläumsjahr gibt es nun aber natürlich Publikationen, Sondersendungen, Zeitungsartikel zuhauf, und allein diese plötzlich anschwellende Häufung offenbart, was für ein Problem die Deutschen mit diesem revolutionären Datum, vielleicht ja: Revolutionen im Allgemeinen haben.
Das wird ihnen zumindest gerne mal nachgesagt, etwa in dem mittlerweile etwas ausgelutschten, Lenin zugesprochenen, vielleicht von Stalin oder Radek stammenden Zitat, wonach die Deutschen, ehe sie einen Bahnhof stürmen, noch eine Bahnsteigkarte lösen. Das zeigt sich alleine aber auch in der verklemmten Erinnerung an den Widerstand gegen Hitler, in der der 20. Juli (zumindest in der BRD) lange Zeit dominierte und etwa ein Georg Elser und die ganze Arbeiterbewegung keine große Rolle spielten, was durchaus den Verdacht einer gewissen deutschen Ordnungsvernarrtheit und dem Vertrauen in Autoritäten nahelegt – mögen diese Autoritäten auch noch so versagen oder viel zu spät reagieren.
Sagen kann man also vielleicht durchaus, dass er halt keine Unordnung mag, der Deutsche, und das mag auch wiederum der Grund sein, warum die Ereignisse von 1918, die Weimarer Republik, historisch lange Zeit so in Ungnade gefallen sind, gar als Ursache allen Übels angesehen werden – dem man freilich „Sieg Heil!“schreiend dann hinterherrannte.
Dabei ist das eben nur der Blick vom Ende her, das auch hätte ganz anders kommen können, vor allem: Wir zehren und leben heute noch von ihr, der Revolution, ob sie nun eine „echte“war oder nicht und ob wir es nun wollen oder nicht, jene Tage, die Menschen und Geschehnisse von 1918 wirken mächtig nach. Zurück also in jene Tage, zu jenen Menschen und Geschehnissen, zu dem, was der eingangs zitierte Theodor Wolff, damals Chefredakteur des liberalen Berliner Tagblatts, bereits am 10. November 1918 die „größte aller Revolutionen“nannte.
Tags zuvor konnte Wolff erleben, wie die revolutionären Ereignisse auch die Hauptstadt erreichten, nachdem erste Erhebungen (siehe
erst einmal in der Peripherie, den Ländern stattfanden. Prominentes Beispiel ist München, wo Kurt Eisner bereits in der Nacht auf den 8. November den „Freistaat“ausrief. Und man kann als erstes typisches Merkmal dieser Revolution also festhalten, dass sich selbst im Umsturz noch der föderale Charakter Deutschlands widerspiegelt – das es im Übrigen und was viele Deutschnationale bis heute übersehen, in dieser Form ja auch erst einige Jahrzehnte gab.
An jenem 9. November gab es jedenfalls mit einem Mal zig Deutschlands, jedenfalls wurde alleine in Berlin ein halbes Dutzend Mal die Republik ausgerufen. Die zwei prominentesten Auftritte aber waren die von Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht. Beide ursprünglich in der SPD, hatten sich während des Weltkriegs unter anderem über die Frage der Kriegskredite die diesen ablehnend gegenüber stehende USPD und schließlich die Spartakisten (später: Kommunisten) um Liebknecht abgespalten. Deren Kurs war nun klar: eine sozialistische Republik. Die Mehrheitssozialdemokraten mit Friedrich Ebert und Scheidemann an der Spitze schwankten hingegen, waren im Oktober sogar widerwillig noch in die neue Regierung, quasi das letzte An- und Aufgebot Kaiser Wilhelms II., eingetreten. Ein weiteres Merkmal wenn schon nicht der Revolution, so doch der linken Bewegungen im Land: stets im Dilemma, ihre Staatsräson unter Beweis stellen zu müssen, hadern sie mit der reinen Lehre – und spalten sich auf. Ganz anders als die mit diesbezüglichen Vorschusslorbeeren (und seien sie noch so welk oder unberechtigt) ausgestatteten Konservativen.
An jenem 9. November stand also auch auf dem Spiel, wer sich an die Spitze der Bewegung zu stellen vermochte. Die SPD rief den Generalstreik aus, in seiner Abwesenheit wurde vom Reichskanzler Max von Baden die Abdankung des Kaisers verkündet – und Philipp Scheidemann stellte sich gegen 14 Uhr auf den Balkon des Reichstags und proklamierte (ohne das Wissen des zaudernden Ebert): „Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!“Zwei Stunden später rief dann Karl Liebknecht die sozialistische Republik aus. Einmal eine soziale, einmal eine sozialistische Republik also, bleibt unterm Strich: die Republik.
Der zum Reichskanzler ernannte Ebert wollte zwar die endgültige Staatsform erst von einer künftigen Nationalversammlung bestimmen lassen, doch zumindest dahinter kam man nun nicht mehr zurück. Im Gegenteil, man machte einen unglaublichen Satz nach vorn: Der aus je drei Vertretern von SPD und USPD (Liebknecht lehnte eine Mitarbeit ab) gebildete „Rat der Volksbeauftragten“verkündete bereits am 12. November – einen Tag nach Unterzeichnung des Waffenstillstands – mit „Gesetzeskraft“:
1. Der Belagerungszustand wird aufgehoben.
2. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter.
3. Eine Zensur findet nicht statt. Die Theaterzensur wird aufgehoben.
4. Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei.
5. Die Freiheit der Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden.
6. Für alle politischen Straftaten wird Amnestie gewährt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen.
7. Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst wird aufgehoben, mit Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden Bestimmungen.
8. Die Gesindeordnungen werden außer Kraft gesetzt, ebenso die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter.
9. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen werden hiermit wieder in Kraft gesetzt. Weitere sozialpolitische Verordnungen werden binnen kurzem veröffentlicht werden. Spätestens zum 1.Januar 1919 wird der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten.
Die Regierung wird alles tun, um für