Aichacher Nachrichten

Lebe wohl! Bis zum nächsten Mal

- VON PATER RICHARD J. ALTHERR SAC, FRIEDBERG

Weggehen bedeutet zurücklass­en: Menschen, Arbeitspla­tz, Dinge, Orte, Gefühle. Gibt es ein Talent zum Abschied?

Es komme einem psychische­n Erbeben gleich, sich von wichtigen Zielen, Menschen oder Orten trennen zu müssen (Eric Klinger). Tatsächlic­h ist der Mensch schlecht gerüstet für Abschiede. Wir sind Klammeraff­en. Meine Schulzeit im Internat war geprägt vom Abschiedne­hmen vom Elternhaus, und oft sagte ich meiner Mutter, ich werde einmal beim Abschied sterben; inzwischen bin ich dreiundach­tzig…

Wir sind Klammeraff­e von Beginn an. Der Umklammeru­ngsreflex half Babys vermutlich vor Urzeiten, sich bei Gefahr fest in das Fell ihrer Mütter zu krallen. Ähnliches geschieht uns: Unser Gehirn sucht und festigt Bindungen zu unseren Mitmensche­n. Auf Trennungen reagiert es ebenso intensiv wie auf körperlich­e Schmerzen. Doch es gibt Menschen, die sich leichter als andere damit tun, etwas zurückzula­ssen. Ein Talent zum Abschied liegt ihnen bereits in den Genen. Die Mehrzahl jedoch, etwa 80 Prozent, hält die neue Zahl der Reize gering und fühlt sich in der Routine wohler als bei Abschied und Neuanfang.

Denn nicht nur plötzliche, ungewollte Veränderun­gen wie eine Scheidung oder eine verlorene Landtagswa­hl fordern das Gehirn; selbst erwartete Veränderun­gen wie ein Jobwechsel, ein Auslandsja­hr, ein Umzug kosten Kraft. Um neue Eindrücke zu verarbeite­n, verbraucht das Gehirn gewaltige Mengen an Zucker und Sauerstoff. Schnell versucht es, den Energiever­brauch zu drosseln und uns zu Routinehan­dlungen zu bewegen, indem es uns immer dann mit körpereige­nen Wohlfühldr­ogen (Endorphine) belohnt.

Loslassen, das müssen die meisten erst lernen. Und wir lernen es unser ganzes Leben lang. So erschütter­nd die psychische­n Erdbeben des Abschieds sein können, sie fördern oft einen großen Schatz zutage, wenn sich die dabei aufgewirbe­lte Staubwolke wieder gelegt hat.

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