Für den Paradiesvogel wollte er Farbe
Ausstellung Der Fotograf Stefan Moses wurde berühmt mit seinen Serien über die Deutschen – stets in Schwarz-Weiß. Als er Peggy Guggenheim in Venedig traf, war jedoch alles anders
Sie muss diesem Mann aus Deutschland wirklich vertraut haben. Er durfte ins Intimste blitzen, ihr Schlafzimmer fotografieren, das Bett, den Nachttisch mit den Döschen und Fläschchen… In der Hollywoodschaukel schließt die Dame die Augen und ergibt sich dem Fotografen blind. Der darf auch weiter auf den Auslöser drücken, als die große Mäzenin in farbenfroher Aufmachung, eine irre gezackte Sonnenbrille im Gesicht, halb die Zunge herausstreckt. Peggy Guggenheim, die legendäre amerikanische Kunstsammlerin, eine schillernde Figur des 20. Jahrhunderts, hat Stefan Moses, den großen deutschen Fotografen, zweimal empfangen in ihrer Wahlheimat Venedig. Im April 1969 und noch einmal im November 1974.
Den reichen Bildertrag dieser Begegnungen, Inszenierungen und reportageartige Beobachtungen, zeigt jetzt eine in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Ausstellung im H2 Museum für Gegenwartskunst. Es gibt auf den über 50 Fotografien nur eine einzige porträtierte Person – Peggy Guggenheim, die damals Anfang 70 war. Und: Es handelt sich ausschließlich um Farbaufnahmen. Die sind sehr selten im großen Lebenswerk von Stefan Moses, der seine berühmten Menschenbilder immer in Schwarz-Weiß fotografierte und über Jahrzehnte eine „Typologie der Deutschen“in klassischem Schwarz-Weiß erschaffen hat, indem er Prominente wie Durchschnittsmenschen in Serien porträtierte. „Farbe vergeht – SchwarzWeiß besteht“hat Stefan Moses über seine Präferenzen erklärt. Nun also Farbe, Farbe, Farbe – und was für Farben! Ein Foto zeigt Peggy Guggenheim in ihrem Palazzo in Venedig am Canal Grande beim Essen an einem winzigen blauen Tisch. Sie trägt ein giftgrünes Kleid, auf dem Tisch leuchtet feuerrot eine Ketchup-Flasche.
Die meisten der Fotografien, die in den großzügigen Räumen des Glaspalastes gezeigt werden, sind erstmals öffentlich ausgestellt. Das Projekt war eines der letzten, das der Anfang Februar dieses Jahres im Alter von 89 Jahren gestorbene Moses noch persönlich vorangetrieben hatte. Es war dem Fotografen wichtig, neben seinem Kanon diese Seite seines Schaffens zu zeigen, sagt Kurator Thomas Elsen. Elsen hat die Ausstellung zusammen mit Moses konzipiert – ebenso wie den Bildband, der dazu erschienen ist.
Die Reisen nach Venedig, eigentlich Auftragsarbeiten für Magazine, haben Stefan Moses auf neues Terrain geführt. Er hatte Farbfilme eingelegt, weil er an die weltberühmten Gemälde in der Sammlung Guggenheim dachte. Ein Kandinsky in Schwarz-Weiß? Und so hat es den Eindruck, dass der „Fotograf der Deutschen“, wie man den in München lebenden Moses nannte, damals in Venedig, fernab seines Lebenssujets, neue Möglichkeiten entdeckte. Er zelebriert die Buntheit, folgt in Venedig seiner Intuition.
Das Motiv im Sucher seiner Kamera war ein durchaus dankbares. Peggy Guggenheim, Tochter einer der reichsten Industriellenfamilien der USA (ihr Onkel war der Kunstsammler Solomon R. Guggenheim), war ein Paradiesvogel, der in den blassen Patinafarben Venedigs herausleuchtete. Die Kunstmäzenin wusste sich zu inszenieren. Auf vielen Bildern Moses’ sitzt sie da wie eine Königin: Im Pelzmantel auf dem Steinthron im Garten ihres Palastes, auf einer unverschämt blauen Hollywoodschaukel am Canal Grande, in roter Strumpfhose auf der knallroten Sitzbank eines Motortaxis. Venedig als ihre Bühne – und Stefan Moses als ein Begleiter, der das Auge hat für Grandezza und Koselbst mik, für das Spiel mit Exzentrik und die beiläufigen Momente.
Der Menschenkenner Moses zeigt Peggy Guggenheim nicht nur in ihrem exklusiven Palazzoleben, umgeben von teuren Kunstwerken und dienstbaren Geistern oder auf Exkursionen, bei denen Venedig zum Laufsteg wird für die Amerikanerin, die keinen Schritt ohne ihre geliebten drei Lhasa-Terrier tat. Hunde, die sie mindestens ebenso sehr liebte wie die Kunst. Wir sehen Peggy Guggenheim auch in einem kleinen Lebensmittelladen an der Theke – eine ältere Frau mit weißem, kurzem Haar, eine Kundin wie andere auch und nicht die Rebellin, Exzentrikerin und der gesellschaftliche Mittelpunkt der Kunstwelt.
Stefan Moses hatte ein Credo: Fotografieren hieß für ihn, Menschen festzuhalten, bevor sie verloren gehen. „Nie ist alles vorbei. Fotografieren ist Erinnerungsarbeit“, heißt es in einem Moses-Zitat an einer der Ausstellungswände. Peggy Guggenheim starb 1979. Ihr Kunstmuseum in ihrem Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande ist ihr Vermächtnis. Aber die Fotos von Stefan Moses zeigen sie auf ewig gegenwärtig im Venedig Anfang der 1970er Jahre. Eine Stadt, die es so heute auch nicht mehr gibt. Stefan Moses wusste bei jedem Foto, das er machte: Es ist Arbeit gegen die Vergänglichkeit, gegen das Vergessen. In einem Filmausschnitt hört man ihn altersweise über seine Menschenbilder sprechen. Er trägt eine bizarre gezackte Sonnenbrille, die einmal Peggy Guggenheim gehört haben muss. ⓘ
H2 im Glaspalast. Laufzeit bis 24. Februar. Geöffnet Di. bis So., 10–17 Uhr