Die „Operation Uniklinik“läuft
Medizin Zum Jahreswechsel wird das Augsburger Klinikum vom Freistaat übernommen. Die Politik jubelt und verspricht sich Vorteile für die gesamte Region. Auf der anderen Seite klagen Mitarbeiter über die viel zu hohe Arbeitsbelastung. Wie passt das zusamm
Augsburg
In der Silvesternacht wird es am Augsburger Klinikum turbulent zugehen wie immer: Nach Mitternacht wird die Notaufnahme des Großkrankenhauses mit Feuerwerks-Verletzten und Betrunkenen geflutet sein. Und im Trubel dieser Nacht wird ganz nebenbei etwas passieren, das sich erst einmal nur auf den Briefköpfen bemerkbar macht: Ab 1. Januar 2019 wird der Krankenhausriese – jährlich kümmern sich die 5000 Mitarbeiter um 243000 ambulante und stationäre Patienten – vom Freistaat betrieben. Das Augsburger Klinikum wird zur Uniklinik.
Die Hoffnungen, die damit einhergehen, sind immens. Der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl spricht von einem „epochalen Ereignis“, Ministerpräsident Markus Söder von „einer der großen Etappen der Medizingeschichte Bayerns“. Von wirtschaftlichem Aufschwung und neuen Arbeitsplätzen ist die Rede, von medizinischer Behandlung auf allerhöchstem Niveau und von einem Bedeutungsgewinn für Augsburg. Seit zwei Jahren gibt es fast keine Politikerrede mehr, in der die Uniklinik keine Rolle spielt.
Dabei waren die Schlagzeilen der vergangenen Jahre längst nicht nur positiv. Die Notaufnahme ächzt – wie an vielen anderen Großkrankenhäusern – unter chronischer Überlastung, die Wartezeiten sind speziell in den Wintermonaten immens. Vor gut einem Jahr formulierte die Ärzteschaft ein Schreiben ans Wissenschaftsministerium, in dem davor gewarnt wurde, dass Stadt und Landkreis auf dem besten Wege seien, das Klinikum kaputtzusparen. Und noch vor wenigen Wochen drohte ein unbefristeter Streik des Pflegepersonals, das in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen am Anschlag arbeitete – in diesem Fall hätte die Uniklinik mit einem Notprogramm in den Operationssälen und auf den Stationen gestartet. Erst am Donnerstag, genau einen Monat, bevor der Freistaat das Haus übernimmt, unterschrieben Klinikum und die Gewerkschaft Verdi eine Einigung, die deutliche Entlastungen des Pflegepersonals vorsieht. Unter anderem sollen in den nächsten zwei Jahren 100 zusätzliche Vollzeitstellen entstehen.
Wie passt all das zusammen – die Unruhe zumindest in Teilen der Belegschaft und der Jubel über die Uniklinik, die auf ganz Schwaben ausstrahlen soll? Tatsache ist, dass das Klinikum ein Restrukturierungsprogramm hinter sich hat – nicht vergleichbar mit dem Vorgehen gewinnorientierter Klinikkonzerne, aber spürbar. Und bei all dem Stolz auf das Hochleistungskrankenhaus, den die Politik heute vor sich herträgt, muss man daran erinnern, dass Stadt und Landkreis Augsburg noch vor zehn Jahren über einen Verkauf nachdachten. Die Träger sahen sich durch die jährlichen Millionendefizite überfordert. Das Haus hatte von Anfang an einen Einzugsbereich, der weit über Augsburg hinausging, bot Spitzenmedizin bis hin zur Nieren- transplantation, unterlag aber denselben Finanzierungsmechanismen wie ein Kreiskrankenhaus. Der frühere CSU-Landtagsabgeordnete Max Strehle, langjähriger Kämpfer für eine Uniklinik, sprach von einem „Geburtsfehler“, das Haus nicht von Anfang an in staatlicher Trägerschaft zu führen. Vor neun Jahren verordneten Stadt und Landkreis dem Haus dann als Alternative zur Privatisierung einen Spar- und Restrukturierungskurs.
Das Ziel der „schwarzen Null“wurde unter dem aktuellen Vorstand Alexander Schmidtke erreicht, doch dafür klagten Mitarbeiter über die hohe Arbeitsbelastung. „Es geht nicht nur um Dinge wie Zeit für ein Gespräch mit Patienten, sondern in Überlastungssituationen um elementare Dinge der Pflege. Man fragt sich, ob man allen Patienten gerecht werden kann“, sagt eine erfahrene Krankenschwester. Sie hofft, dass der verhandelte Pflegekompromiss Entlastung bringt. Prof. Rolf Harzmann, früher Ärztlicher Direktor am Klinikum, kritisiert den Kurs der „schwarzen Null“seit Jahren. „Überlastung zeigt sich erst darin, dass das Personal nicht mehr freundlich ist, dann kommen Nachlässigkeiten und dann geht es ums Wohl des Patienten“, sagt er. Dabei sei ein Defizit nicht gleich eine Katastrophe.
seinen Problemen ist das Klinikum freilich nicht alleine. Es steht, wie alle Krankenhäuser in Deutschland, unter wirtschaftlichem Druck. Das liegt schon am Fallpauschalen-System, das für Krankheitsbilder pauschale Beträge an die Kliniken vorsieht. Kleine Häuser müssen teils aufgeben oder ihr Angebot einschränken (was aus Gründen der Qualität auch so gewollt ist), große müssen sehen, wie sie sich behaupten.
Ein weiteres Problem, sagt Klinikumsvorstand Schmidtke, sei der generelle Mangel an Pflegekräften in Deutschland. Um den Personalbedarf zu decken, wirbt das Haus Pflegekräfte in Italien an, hat eine „Kopfprämie“für neue Mitarbeiter ausgesetzt. „Wir bemühen uns ehrlich“, sagt Schmidtke, der eine Aufwertung des Pflegeberufs als Lösung sieht. In den vergangenen Jahren wurden neue Stellen und Ausbildungsplätze geschaffen. 100 neue Pflegekräfte kommen, wie gesagt, nach der jüngsten Vereinbarung hinzu.
Hört man ins Haus hinein und spricht mit Ärzten und Pflegepersonal, hat sich die Stimmungslage im Vergleich zu den Vorjahren inzwischen beruhigt. Der Pflegekompromiss mag seinen Teil dazu beigetragen haben und auch, dass man erst einmal schauen will, wie der neue Träger sich verhält. Doch der Freistaat hat schon deutlich gemacht, dass auch die Uniklinik wirtschaftlich arbeiten muss.
Allerdings ist die Belastung nicht in allen Bereichen des Krankenhauses gleich hoch. Seit eine Kommission aus Hausleitung und Personalrat vor einem halben Jahr einen Maßnahmenkatalog erarbeitete, gebe es schon spürbare Verbesserungen, berichten Pflegekräfte.
Für die Patienten wird sich durch die Umwandlung zur Uniklinik zunächst nicht viel ändern. Am augenfälligsten dürfte sein, dass künftig mehr Studenten auf den Stationen sein werden. Vorgesehen ist in Augsburg ein Modellstudiengang, dessen Teilnehmer möglichst früh mit Patienten in Berührung kommen. Allerdings, so versichert die Uni, brauche kein Patient Angst haben, als Übungsobjekt herhalten zu müssen. „Die Uniklinik trägt zur Versorgung der Patienten bei und wird sie erweitern“, sagt Prof. Martina Kadmon, die als Gründungsdekanin den Aufbau der Fakultät vorantreibt. Forschungsergebnisse könnten schneller in die Behandlungspraxis einfließen.
Momentan laufen die Vorbereitungen, neben dem 35 Jahre alten Krankenhausbau am Stadtrand, der seit Jahren generalsaniert und erweitert wird, einen Medizin-CamMit pus zu bauen. Der Freistaat wird wohl mehr als eine Milliarde Euro in den Aufbau von Uniklinik und damit der Medizin-Fakultät investieren müssen, hinzu kommen 100 Millionen Euro für den Betrieb in Forschung und Lehre pro Jahr. Mehr als 1000 zusätzliche Beschäftigte soll es geben.
Die Personalratsvorsitzende EvaMaria Nieberle sieht die Dinge kritisch: „Bei den Pflegekräften gibt es die Befürchtung, dass die Forschung zu einer Mehrbelastung führt. Wenn es beim wissenschaftlichen Personal zu einem Zuwachs kommt, besteht die Befürchtung, dass die Pflegekräfte am Bett mehr Zuarbeit leisten müssen.“Auch unter den Ärzten frage sich mancher, ob künftig erwartet wird, Forschungsarbeit nach Feierabend zu machen.
Das Wissenschaftsministerium, das für die Uniklinik zuständig sein wird, versichert dagegen: „Der Aufbau von Forschung und Lehre wird nicht zu Lasten der Krankenversorgung gehen.“In der Praxis wird es bei Ärzten keine glasklare Trennung geben. Manche werden ausschließlich in der Patientenversorgung bleiben, manche in beiden Bereichen tätig sein, andere sich nur dem Thema Forschung widmen. Niemand müsse aber in den Bereich Forschung und Lehre wechseln, heißt es aus dem Ministerium.
Augsburg kann die 1000 neuen Arbeitsplätze brauchen. Laut einer Studie, die von der schwäbischen Industrie- und Handelskammer in Auftrag gegeben wurde, könnten bei einem Maximalausbau der Uniklinik und entsprechenden Ansiedlungen von Unternehmen drum herum sogar bis zu 6500 neue Jobs entstehen. Zwar hat es der Raum Augsburg geschafft, den Strukturwandel vom kriselnden Industriestandort zu einer Region einzuleiten, in der auch Forschung und Entwicklung großgeschrieben werden. Zuletzt aber gab es herbe Rückschläge: Beim Lampenhersteller Ledvance gingen die Lichter aus, der Computerhersteller Fujitsu verkündete das Aus des Augsburger Werks – 1850 Jobs stehen auf dem Spiel. Und auch beim Roboterbauer Kuka ist die Sorge groß, was der chinesische Investor vorhat – erst recht seit den Nachrichten der vergangenen Tage.
Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Entwicklungen in diesen Unternehmen. Und doch tauchen die Gespenster der Vergangenheit wieder auf. In den 90er Jahren gingen in Augsburg tausende Arbeitsplätze in der Textilindustrie verloren. Noch heute spürt man die Folgen: Was das Pro-Kopf-Einkommen angeht, landet Augsburg im bayernweiten Vergleich auf dem letzten Rang. Die Aussicht auf krisensichere und hochqualifizierte Jobs wirkt da wie Balsam. Und dann ist da natürlich noch das Gefühl der Politik, dass Augsburger Belange in München endlich ernst genommen werden. Lange fühlte man sich von der Staatsregierung benachteiligt. Die Uniklinik, die der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer 2009 bei einem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt völlig überraschend ankündigte („Die Uniklinik kommt!!!“), sieht mancher schwäbische Politiker als Signal, dass sich das geändert hat.
Doch zum Nulltarif ist all das nicht zu haben. Das IHK-Gutachten spricht auch an, dass Stadt und Umland Hausaufgaben vor sich haben. Wenn es tausende neue Arbeitsplätze geben soll und 1500 zusätzliche Studenten an der Uni Augsburg studieren werden, müssen diese irgendwo wohnen. Die Mietpreise sind in den vergangenen Jahren in Augsburg und dem Umland massiv nach oben gegangen, Wohnungen sind angesichts des Zuzugs knapp – es ist das drängendste Problem des wachsenden Großraumes. Und eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Es ist sogar zu erwarten, dass sich durch die neuen Beschäftigten der Uniklinik die Preise weiter steigen. Auch beim Fachkräfteangebot, der Verkehrsanbindung und der Zahl der Gewerbeflächen sieht die Studie Handlungsbedarf.
Als das Papier, das ja trotz allem überwiegend positive Botschaften verkündet, im Frühjahr vorgestellt wurde, gab es bei einigen Augsburger Stadträten erst einmal betretene Gesichter. Manch einem wurde erst in diesem Moment richtig klar, was da in den nächsten Jahren auf die Stadt zukommt. So gesehen, sagt ein Stadtrat, sei es ja ganz gut, wenn am Neujahrsmorgen 2019 nicht alles anders sein wird.
In fast jeder Politiker-Rede kommt das Thema vor
Eine Studie hält bis zu 6500 neue Jobs für möglich