Betrügerische Anrufe und die Spur in die Türkei
Justiz Zwei Männer sollen als Teil einer Bande eine Seniorin aus Augsburg um viel Geld gebracht haben. Einer von ihnen ist nun zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Sein Motiv bezeichnet die Richterin als „dummdreist“
Im Gerichtsgebäude in der Gögginger Straße sitzt Hildegard Mayer* auf einer Holzbank vor einem der Säle. Die Seniorin, 90 Jahre alt, ist in Begleitung ihrer Tochter erschienen und an diesem Tag als Zeugin geladen. Sie muss in gleich zwei Prozessen aussagen, weil sie im vergangenen Jahr Opfer von Kriminellen wurde. Zwei mutmaßliche Täter sind in parallel angesetzten Verfahren vor dem Amtsgericht angeklagt. Selim B.*, 29, und Ömer L.*, 27, beide türkische Staatsangehörige, sollen Mitglieder einer Bande gewesen sein, die der alten Dame 15000 Euro abknöpften. Die Täter machten der Seniorin laut Anklage weis, bei ihrer Bankfiliale in der Innenstadt arbeiteten korrupte Mitarbeiter, ihr Vermögen sei in Gefahr.
Wer genau Hildegard Mayer an jenem Tag im Oktober von der angeblichen Nummer „0821/110“anrief, ist unklar. Der Mann meldete sich jedenfalls als „Herr Günter Höflich“und behauptete, er arbeite für die Staatskanzlei. Er überredete die 90-Jährige, tags drauf 15 000 Euro abzuheben und mit nach Hause zu nehmen. Telefonisch gab Hildegard Mayer dann die Nummern einiger Geldscheine durch. Es handele sich um Falschgeld, behaupteten die angeblichen Ermittler am anderen Ende der Leitung. Man müsse das Geld für eine Überprüfung abholen. Die Seniorin übergab das Geld schließlich Ömer L., der, so die Ermittlungen, 2000 Euro für sich behielt. 10 000 Euro überwies er demnach in die Türkei zu einem Hintermann, 3000 an Selim B., laut Anklage ein „Logistiker“der Bande, zuständig für die Koordination der Tat. Nach Erkenntnissen der Polizei agierte die Bande von einem Büro in der Türkei aus; von dem sogenannten Callcenter aus sollen auch die Anrufer Senioren bedrängt haben, ihr Geld abzuheben. Sie waren offenbar so nachdrücklich, dass Hildegard Mayer ihnen vollumfänglich glaubte. Nachdem die Seniorin das Geld aber nach der vermeintlichen „Überprüfung“nicht wiederbekam, ging sie zur echten Polizei.
Ömer L., dem Abholer also, kamen die Ermittler recht schnell auf die Spur. Die ungewohnten Überweisungsvorgänge an einen offenbar polizeibekannten Hintermann in der Türkei fielen auf, ebenso, dass sein Handy zur Tatzeit in der örtlichen Funkzelle geortet werden konnte. Als die Polizei sein Handy abhörte, bekamen sie diverse Gespräche mit Selim B. mit, durchsuchten schließlich Wohnung und Arbeitsplatz des „Abholers“und verhörten ihn. In der Vernehmung räumte Ömer L. alles ein – und belastete Selim B., der zuletzt in Rosenheim lebte, schwer. Diesen sieht die Polizei als „Logistiker“, als Bindeglied zwischen den Abholern in Deutschland und den Hintermännern in der Türkei. Er sitzt seit sechs Monaten in Untersuchungshaft.
Ömer L. gesteht in seiner Verhandlung alles und sagt, es tue ihm leid. Er wird vom Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Rita Greser zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Als Motiv gibt der 27-Jährige an, er habe Geldprobleme gehabt, unter anderem wegen einer Geldauflauge aus einer vorherigen Bewährungsstrafe. Eine solche Tat zu begehen, um eine Bewährungsauflage zu bezahlen, sei „dummdreist“, sagt Richterin Greser in der Urteilsbegründung. Staatsanwalt Dominik Semsch forderte zwei Jahre und fünf Monate Haft, Verteidiger Michael Bauer zwei Jahre auf Bewährung. Rechtskräftig ist das Urteil nicht.
Selim B. streitet in seinem Prozess über seinen Verteidiger Dominik Hofmeister alles ab. Er habe weder mit der Bande etwas zu tun noch mit dem Betrug an Hildegard Mayer. Das Verfahren gegen ihn wird Ende Januar fortgesetzt.
Von ihrem Geld hat Rentnerin Mayer bislang nichts wiedergesehen. Sie bekomme etwas über 1000 Euro monatlich Rente, sagt sie. Die 15 000 Euro hat sie sich offenbar lange angespart. Ömer L. beteuert zumindest, er wolle finanzielle Wiedergutmachung leisten. An die Hintermänner in der Türkei kamen die Augsburger Ermittler bislang offenbar nicht heran.
Wie die Polizei berichtet, kam es in den vergangenen Tagen im Stadtgebiet vermehrt zu betrügerischen Anrufen. Dieses Mal agierten die Täter mit einer alten Masche: Sie meldeten sich bei Senioren und gaben sich als nahe Verwandte aus, die gerade in finanziellen Nöten seien. Fünf Senioren meldeten dies bei der Polizei, keiner von ihnen hatte aber Geld gezahlt. *Namen geändert