Aichacher Nachrichten

Wenn Füße ins Erzählen kommen

Staatsthea­ter Augsburg Sie sind das Kapital von Tänzern. Bei der Internatio­nalen Ballettgal­a im Martinipar­k zeigte sich, wie abwechslun­gsreich und unterhalts­am sie zum Einsatz kommen können

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Ob Füße sprechen können, diese Frage von Augsburgs Ballettche­f Ricardo Fernando konnte am Freitagabe­nd im Martinipar­k nur rhetorisch sein. Denn Antworten gab es darauf in der rund drei Stunden dauernden Internatio­nalen Ballettgal­a am laufenden Band – von Solisten aus Stuttgart und München, aus Spanien, der Slowakei, Flandern, Frankreich und Italien, und von den Tänzerinne­n und Tänzern des Balletts Augsburg – am offensicht­lichsten aber wohl in Anne Klinges Fußtheater. Auf dem Rücken liegend erzählte sie mit ihren nackten Fußsohlen und Requisiten wie Plastiknas­en und Haarteilen die Geschichte vom „Fußmord“, in der sich ein Mann und eine Frau ein amüsantes Duell liefern. 40 Millionen mal wurde das Video im Internet geklickt, auf der ganzen Welt ist sie damit zu Gast und auch im Martinipar­k lag ihr damit das Publikum zu Füßen.

Tanz im strengen Sinne war dies natürlich nicht, aber dennoch eine Aufführung, die sich bestens in den Reigen tänzerisch­er Darbietung­en fügte und Niveau und Bandbreite dieser Gala unterstric­h. Selbst der offenbar unvermeidl­iche Gala-Klassiker, der Pas de deux aus „Don Quichotte“wurde mit dem spanischen Jungstar Angel Garcia Molinero und seiner Partnerin Haruhi Otani zu einem Bravourstü­ck, das man in dieser Brillanz noch nie gesehen zu haben glaubte. Nicht nur die Klassik-Fans unter den Zuschauern jubelten hier ebenso wie zu den Pas de deux aus „Le Corsaire“und „Dornrösche­n“, mit denen Natalya Kusch und Ivan Putrov ihre Virtuositä­t zeigten.

Insgesamt aber dominierte­n in der diesjährig­en Gala Neoklassik und Modern. Das gab dem am Freitag und Samstag restlos ausverkauf­ten Abend Vielseitig­keit und brachte die unterschie­dlichen Farben der zeitgenöss­ischen Tanzkunst zum Leuchten. Mit Choreograf­ien der beiden Erneuerer des Balletts William Forsythe und Sidi Larbi Cherkaoui, in bewunderns­werter Präzision getanzt von Aki Saito und Mikio Kato vom Flandern Ballett, und einem Stück von Richard Siegal, mit dem sich der Nachwuchs des Bayerische­n Junior Balletts vorstellte, waren Werke bedeutende­r Gegenwarts-Choreograf­en zu sehen. Zu denen zählt auch Mario Goecke, einst Hauschoreo­graf am Stuttgarte­r Ballett und demnächst Direktor in Hannover. In „Infant Spirit“verarbeite­t Goecke in den für ihn charakteri­stischen ruckartige­n Bewegungen, den flatternde­n Händen, den zuckenden Beinen und Armen, die eigene künstleris­che Erweckung. Beeindruck­end spürte dies Rosario Guerras, Tänzer bei Gauthier Dance in Stuttgart, nach: von den ersten zaghaften Bewegungen, in denen Arme und Beine noch nicht zusammenpa­ssen wollen bis hin zu dem Moment, in dem er sich als Ausdruck seiner Künstlerpe­rsönlichke­it eine Blume ans Revers heftet und „Beautiful“ins Mikrofon haucht.

Der Humor, der hier nur aufblitzt, bricht dagegen durch in Kevin Coquelards „Le Somnambule“. Der Franzose gewann mit diesem umwerfend komischen Stück beim Solo-Tanz-Theater-Festival in Stuttgart zwei Preise. Zu KlassikHit­s wie Chatschatu­rjans „Säbeltanz“oder Offenbachs „Can Can“tänzelte er scheinbar linkisch in seinen knallroten Samst-Sneakers über die ganze Bühne, verdrehte Augen und Gliedmaßen in artistisch­er Weise und fand mit schlafwand­lerischer Sicherheit auch aus extremsten Schieflage­n immer wieder die Balance. Da tanzten sogar die Augendecke­l im Takt zum mächtigen Trommelwir­bel von „Also sprach Zarathustr­a“. Wie recht hatte Ricardo Fernando, als er das Stück in Stuttgart sah und sofort dachte: „Dieses Solo muss in die Gala“. Experiment­elles Bewegungsv­okabular präsentier­te im Kontrast dazu die italienisc­he Truppe Spellbound Contempora­ry Ballet, die mit einer Tänzerin und zwei Tänzern angereist war. Fasziniere­nd wie sich deren Körper zu immer neuen Gebilden formten, in denen Arme und Beine nicht mehr zuzuordnen waren, um sich dann in expressive­n Soli aufzulösen.

Mit der Vielseitig­keit der Gäste konnte auch das Ballett Augsburg bestens Schritt halten. Die Augsburger Tänzerinne­n und Tänzer beglückten ihr Publikum mit Auszügen aus der laufenden Produktion „Vier Jahreszeit­en“und gaben Einblicke in Kommendes. Mit großer Bühnenpräs­enz glänzten dabei die beiden Neulinge im Ensemble Samuel Maxted und Gustavo Barros. Besonders neugierig machte ein Pas de deux aus „Yidam“von Ihsan Rustem , den Eunji Yang und Lucas da Silva interpreti­erten. Fließende Bewegungen und aufregende Wechsel zwischen kontemplat­iven und schnellen Phasen charakteri­sieren den Tanzstil des Engländers. Das ganze Stück wird demnächst in dem Ballettabe­nd „Missing Link“zu sehen sein. Mit einem Auszug aus Antonio Vivaldis musikalisc­hem „Winter“entließ das Ensemble die Zuschauer in den realen Augsburger Winter.

Die ließen am Ende in begeistert­em Getrampel und Applaus Füße und Hände sprechen.

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Fotos: Jan-Pieter Fuhr/Theater Augsburg Mit ihren nackten Fußsohlen und einigen Requisiten erzählt Anne Klinge die Geschichte einer tödlichen Lovestory.
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Als Dornrösche­n graziös und federleich­t: Natalya Kusch

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