Anselm Kiefers Wald- und Weltsicht
Museum Walter Der große Historienmaler der Menschheitsgeschichte ist mit ausgesuchten Arbeiten in Augsburg zu sehen. Darunter: mindestens drei Schlüsselwerke
Er ruft die Vergangenheit auf, ihren Geist, ihren Ungeist und ihre Geister. Er liest, studiert und fühlt sich ein in die Gestimmtheiten von Mythen, Legenden, Vor-, Früh- und Zeitgeschichte. Er untersucht das Wesen und die Natur des Menschen, dessen Machtwillen auf der einen, dessen existenzielle Ängste auf der anderen Seite. Und das, was er innerlich dabei sieht, wird dominiert von endzeitlichen Visionen: strapazierte, wenn nicht gar vergewaltigte Landschaften, verbrannte Erde, Relikte von Gewalt, Hinweise auf Folgen perfider Gesinnung hier; bleierne, unleserliche Chroniken dort. Man kann aus Anselm Kiefers OEuvre Fatalismus, Desillusion und Geschichtspessimismus lesen, kaum Hoffnung. In Trauerarbeit kreist es vielfach um Exodus und Exitus.
Wenn dieser große Künstler, dieser Historienmaler menschlicher Kulturgeschichte, der auf der Seite der geschundenen Verlierer steht, jetzt mit acht Bildern und drei Installationen in den Räumen der Augsburger Galerie Noah zu sehen ist, dann treffen in diesem Moment auch vier neuere Arbeiten Anselm Kiefers auf sieben ältere Arbeiten seiner Hand aus der Sammlung Walter. Dass sich genau darunter zumindest drei Schlüsselwerke des deutsch-österreichischen Malers befinden, macht diese Einzel-Position in der durchmischten Sammlung Walter ebenso herausragend wie – anderer Stelle – gute, bedeutende Werke aus den Abteilungen Immendorff, Lüpertz und Bernhard Heisig.
In Sachen Kiefer stammen besagte drei Schlüsselwerke der Sammlung Walter aus den Zyklen „Frauen der Antike“(1994/2004) und „Hermannsschlacht“(1976); es sind gebrochene Auseinandersetzungen mit den griechischen Rachegöttinnen sowie mit deutscher Geistesgeschichte: Da quillt aus dem bräutlichen, langen, weißen ErinnyenKleid Nato-Stacheldraht wie Haar hervor; da wird die Leitfigur eines deutschnationalen Militärplans (Alfred von Schlieffen) eingegliedert in die guten Namen klassisch-romantischer Geistesgrößen – und in eine ironische Anspielung: Kiefer malt eine (Johann-Gottlieb-)Fichte als Stammbaum deutschen (Un-)Geistes. Eine vergiftete Metapher.
Doch was den ersten, zweiten und dritten Blick auf sich zieht, auf die Stirnwand der Galerie Noah, das ist ein titelloses monumentales Gemälde in den Maßen 4,70 Meter mal 7,60 Meter, ein hochgradig malerisches Bild, da doch Kiefer ansonsten viel mehr zu materieller Präsenz und der Kumulation von geschichtlich aufgeladenen und geschichteten Stoffen neigt.
Hier aber, zumindest aus der Distanz, eine wie impressionistisch angelegte und kolorierte WaldseeLandschaft, still und tief und austariert als ein Ort von Erinnerung und Voraussicht. Das Bild von 2015, das schon in der Petersburger Eremitage hing, ist inspiriert von Gedichten Velimir Chlebnikows und des Minnesängers Walther von der Vogelweide, aber wie so oft bei Kiefer gebietet der lyrischen Aura ein integriertes Mahn- und Denkmal Einan halt – in diesem Fall ein in die Impasto-Malerei hineinragendes reales rostiges Rollbett mit einem Bettzeug aus Blei. Unheil und etwas Ruiniertes schweben auch über dieser Landschaft.
Drehen wir uns und blicken auf die überarbeitete Holzschnitt-Collage „Sol invictus Elagabal“(2015), ein Winterwaldbild, basierend auf den Kult des syrischen Sonnengottes Elagabal. Wohl in einem Jugendbild setzt sich Kiefer selbst mit dem unbesiegbaren Gott/Kaiser in Bezug – so wie er sich einst in seiner ersten Ausstellung „Besetzungen“(1969, Karlsruhe) in Bezug setzte zur NS-Ideologie. Der deutsche (Schnee-)Wald drumrum, seit langem eine dräuende Metapher Kiefers: so schützend wie gefährlich.
Nichts in dieser kleinen, ausgewählten Schau blieb dem Zufall überlassen. Kiefer und seine Salzburger Galerie Ropac besaßen genaueste Vorstellungen, was Auswahl sowie Platzierung betraf. Zusammen mit dem Vademecum-Katalog (15 ¤), dessen kunsthistorischer Beitrag von Kunstsammlungsdirektor Christof Trepesch stammt, ist eine außergewöhnlich gültige, weil beglaubigte Ausstellung über die dunkle Weltsicht des Künstlers und seinen Einsatz für Mythen und (Geheim-)Bücher („Opus Magnum“, Kabbala) entstanden. Das will gesehen und reflektiert sein.
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Laufzeit: bis 19. Mai, geöffnet Di. bis Do. 11–15 Uhr, Fr. bis So. 11–18 Uhr