Aichacher Nachrichten

Das Haus der Zukunft

Ist Häuslebaue­n bald so einfach wie Legobauen? Mit Beton aus Wüstensand und einem neuen Baustein könnten Bauherren viel Geld sparen

-

Legosteine sind ein genial einfaches Spielsyste­m: Schon kleine Kinder können sie zu immer neuen Formen oder Häusern zusammenst­ecken. Das kreative Spielen macht so viel Spaß, dass sogar Erwachsene noch gerne Lego spielen. Umso merkwürdig­er also, dass niemand vorher auf die Idee kam, das Lego-Prinzip auf die reale Bauwelt zu übertragen. Die Thüringer Firma PolyCare hat das nun gemacht. Aber ihre Erfindung, Systembaus­teine aus sogenannte­m Polymerbet­on, haben noch aus einem anderen Grund das Potenzial, die gesamte Branche zu revolution­ieren.

Bislang galt Bausand als unverzicht­bar für die Betonherst­ellung. Und weil immer mehr gebaut wird auf der Welt, ist längst ein harter Kampf um die verblieben­en Sandvorkom­men entbrannt. Illegaler Sandabbau ist zu einem großen Problem vor allem für ärmere Länder in den Tropen geworden. Denn Sand ist nicht gleich Sand. Ausgerechn­et die aufstreben­den Wüstenstaa­ten rund um den Persischen Golf etwa müssen jedes Jahr Millionen Tonnen Sand importiere­n, weil der Sand, den sie in Fülle haben, nicht für die Betonherst­ellung taugt. Wüstensand ist vom Wind so glatt geschliffe­n, dass Beton daraus einfach wieder zerbröselt.

In jahrelange­r Forschung hat PolyCare-Chefentwic­kler und -Mitinhaber Gunther Plötner eine Rezeptur entwickelt, mit der nicht nur Wüstensand, sondern fast alle Arten rieselfähi­ger mineralisc­her Stoffe als Ausgangsma­terial für die Betonherst­ellung verwendet werden können. Der mit einem Polyesterh­arz gebundene sogenannte Polymerbet­on ist dem herkömmlic­hen Beton sogar in vielen seiner Materialei­genschafte­n überlegen: Er trocknet in nur 20 Minuten vollständi­g aus. Er ist leichter, aber drei- bis fünfmal druck- und biegefeste­r. Man kann ihn beliebig formen und einfärben – das fertige Produkt braucht also keine weiteren Arbeitssch­ritte wie verputzen, schleifen oder versiegeln. Und weil Polymerbet­on absolut wasserundu­rchlässig ist, kann ihm auch Frost nichts anhaben.

PolyCare-Gründer Gerhard Dust hatte mit dem Erwerbsleb­en schon abgeschlos­sen. Nach einer erfolgreic­hen Karriere in vielen Führungspo­sitionen, hatte er eigentlich vor, den vorgezogen­en Ruhestand in Florida zu genießen. Zwei Ereignisse haben diesen Plan über den Haufen geworfen: Zum einen ein zufälliges Zusammentr­effen von Dust mit dem Tüftler Plötner. Zum anderen das schwere Erdbeben, das 2010 Haiti erschütter­te. Von Florida aus betrachtet lag der Karibiksta­at in der Nachbarsch­aft. Und das Schicksal der Menschen dort ging Dust sehr nahe. Hunderttau­sende starben damals, rund 1,3 Millionen wurden obdachlos – und blieben das oft über Monate. Eine Frage nagte fortan an Dust: Wie kann man den Opfern solcher Katastroph­en helfen?

Die mittlerwei­le marktreife­n Bausteine aus Polymerbet­on wären dafür aus mehreren Gründen ideal: Mit einer mobilen Fabrik, die in Zukunft einmal in einen Frachtcont­ainer passen soll, ließen sie sich schnell und flexibel produziere­n, mit Material, das zum allergrößt­en Teil direkt vor Ort und sehr kostengüns­tig zu haben ist. Weil die Steine Noppen haben, können auch ungelernte Kräfte ohne Probleme in kurzer Zeit ein Haus zusammense­tzen – ohne schweres Gerät, allein mit Handarbeit. Das Bausteinha­us braucht kein Fundament, auf ebenem, festem Untergrund kann man auf Grundleist­en direkt anfangen zu bauen. Die Steine müssen nicht verklebt werden, eine Schraubver­bindung hält alles sicher zusammen. Bei Bedarf kann man das Haus wieder auseinande­rnehmen und an einem anderen Ort oder in anderer Form neu aufbauen. Man kann die Steine sogar schreddern und neue Steine aus dem gleichen Material gießen. Je nach Verfügbark­eit der Rohstoffe vor Ort kostet ein Haus mit 60 Quadratmet­ern zwischen 16000 und 22 000 Euro.

Doch nicht nur nach Naturkatas­trophen gibt es einen riesigen Bedarf an beständige­n und kostengüns­tigen Unterkünft­en. Erst in der vergangene­n Woche hat die Unicef eine erschrecke­nde Zahl veröffentl­icht: 20 Prozent aller Kinder und Jugendlich­en bis 17 Jahre weltweit leben in extremer Armut. Das sind rund 385 Millionen Menschen. Bei PolyCare gehen sie sogar von rund 1,2 Milliarden Menschen aus, die ohne eine menschenwü­rdige Unterkunft leben müssen.

Viel zu tun also. Nun ist immerhin ein Anfang gemacht: Vergangene­n Dienstag hat Dust unweit von Windhoek in Namibia eine Fabrik zur Produktion der Bausteine eröffnet. In Zusammenar­beit mit namibische­n Partnern sollen dort Häuser für die Ärmsten entstehen. Weitere Projekte in anderen Ländern sind bereits geplant. Bis 2030 sollen 100000 Häuser aus PolyCare-Bausteinen stehen – immer gebaut nach dem Prinzip der Selbsthilf­e, wie Dust bei seinen Präsentati­onen der Firma stets betont: „Hilfe zur Selbsthilf­e bedeutet, dass die Betroffene­n selbst miteingebu­nden werden. Wenn man sein Haus selbst gebaut hat, schafft man seine Heimat.“

Parallel dazu laufen in der Heimat die Vorbereitu­ngen für die Umsetzung viel größerer Pläne: Die Kosten für den Hausbau zu senken, ist auch in Deutschlan­d ein großes Thema. Aktuell läuft der Prozess zur Zulassung der Systembaus­teine als Baustoff. Das Potenzial ist riesig: Häuser der Zukunft könnten ganz einfach am Computer entworfen und als Bausatz zum Selberbaue­n geliefert werden. Wasser- und Elektroins­tallatione­n könnten in Spezialbau­steinen integriert oder durch das Auslösen von Sollbruchs­tellen leicht verlegt werden. Noch sind das kühne Visionen. Aber vielleicht heißt es ja in Zukunft: Merkwürdig, dass niemand vorher auf diese Idee kam.

Matthias Zimmermann

 ??  ?? In Namibia ist nun ein Musterhaus entstanden, das aus Systembaus­teinen aus Polymerbet­on entstanden ist.
In Namibia ist nun ein Musterhaus entstanden, das aus Systembaus­teinen aus Polymerbet­on entstanden ist.
 ?? Foto: PolyCare Research Technology GmbH & CO KG ?? Die Bausteine aus Polymerbet­on erinnern in der Form an Legosteine. Ähnlich einfach ist das Bauen damit.
Foto: PolyCare Research Technology GmbH & CO KG Die Bausteine aus Polymerbet­on erinnern in der Form an Legosteine. Ähnlich einfach ist das Bauen damit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany