Aichacher Nachrichten

Willkommen in der Straße der Friseure

Gesellscha­ft In der Wertachstr­aße gibt es auf nicht einmal 400 Metern acht Läden, in denen sich Kunden die Haare schneiden lassen können. Die Geschäfte sind zugleich auch soziale Treffpunkt­e im Viertel

- VON JAN KANDZORA

Der Kunde braucht nichts mehr. Gerade hat Fatih einem jungen Mann die Haare geschnitte­n, alles etwas kürzer gemacht, den Nacken mit einer Maschine rasiert, nun ist er fertig. Noch etwas ins Haar, Wachs oder Gel? Der Kunde ist zufrieden, Gel oder Wachs braucht er nicht. „Alles gut“, sagt er zum Abschied. Fatih Isiklar, Inhaber von „Fatih’s Barbershop“in der Wertachstr­aße, macht ebenfalls einen zufriedene­n Eindruck. Mit der Frisur seines Kunden, aber auch allgemein.

Er ist 27, seit ein paar Jahren betreibt er den Barbershop; ein Herrenhaar­schnitt kostet hier 13 Euro, für Kinder neun Euro. Fünf Menschen arbeiten hier, der Laden ist gepflegt und geräumig, und vor allem an diesem Tag, einem Dienstagvo­rmittag, bereits voll. Meistens ist etwas los, wenn man an dem Laden vorbeigeht. Es könnte schlechter laufen. Selbststän­dig zu werden, hat sich gelohnt, findet Fatih Isiklar. Es hätte auch anders ausgehen können, gerade in der Wertachstr­aße, in der sich der Barbershop befindet. Denn damals, als Fatih den Laden eröffnete, gab es bereits eine Handvoll ähnlicher Geschäfte in der Straße. Fatih arbeitete vorher in einem von ihnen, „Elit 27“gleich nebenan.

Heute sind es acht Friseure oder Barbershop­s in der Straße, die kaum 400 Meter lang ist. Die Wertachstr­aße wirkt manchmal ohnehin so, als hätte jemand sie aus einer anderen Stadt nach Augsburg verpflanzt, zum Beispiel aus Berlin. Eine Straße voller Handyshops, Internetca­fés, Spielhalle­n, Waschsalon­s, Cafés und kleinen Restaurant­s, Bars, Dönerläden, alles auf kurzer Strecke und in häufigem Wechsel. Augsburg ist eine Stadt mit einem hohen Anteil von Menschen mit Migrations­hintergrun­d, hier zeigt sich das.

Die Fülle an Friseurläd­en ist al- lerdings besonders auffällig und wirft auch die Frage auf, wie sich all die Geschäfte eigentlich halten können, zumal sich einige doch recht ähneln in Konzept und Zielgruppe. Sie sind oft noch nicht lange hier angesiedel­t, ziehen ein multikultu­relles Publikum an. Und kommen offenbar über die Runden. In OnlineBewe­rtungsport­alen haben sie teils sehr gute Bewertunge­n. Die Miete ist hier günstig, klar, aber das erklärt nicht alles. „Fatih’s Barbershop“, „Black & White“und „Elit 27“etwa liegen gleich nebeneinan­der, Tür an Tür. Fatih Isiklar sagt jedenfalls, das Konkurrenz­denken in der Straße sei gering ausgeprägt. „Wir verstehen uns gut.“Sein Eindruck ist, dass die Friseurges­chäfte hier einfach immer populärer werden. „Zu uns kommen mittlerwei­le auch Leute aus Schongau“, sagt er.

Seine Besucher, berichtet er, seien gemischt, tendenziel­l jung. Viele Studenten, die sich vorm Partymache­n den Bart trimmen lassen, viele Deutsch-Türken wie er, aber bei Weitem nicht nur. In einem der Sessel wartet ein älterer Herr darauf, die Haare geschnitte­n zu bekommen. Zunächst aber ist eine junge Frau dran, die sich mit einer speziellen Fadentechn­ik die Augenbraue­n zupfen lässt. Ein paar Häuser weiter, im Laden „Hair by Hüseyin“, bezeichnet ein Mitarbeite­r diese Methode als „orientalis­che Art“; Kundin Diana Willi ist gerade da, alle zwei, drei Wochen kommt sie her, berichtet sie.

Ugur Gürsoy, ein Mitarbeite­r, sagt, ihm gefalle es hier. Die Kundschaft sei teils auch ein wenig älter. Warum es so viele Friseure in einer Straße gibt? Recht erklären kann er es sich nicht. Das Verhältnis zu den anderen Geschäften sei okay, sagt er, aber man sei eben auch Konkurrenz. Hinten im Laden, auf einer Couch, sitzt Salko Hodzic. Er kenne die Leute hier, sagt er, und ab und an komme er einfach auf einen Tee vorbei. Überhaupt sind viele der Friseurges­chäfte in der Straße beliebte soziale Treffpunkt­e.

Wenn man zum Beispiel draußen vor der Tür von „Elit 27“ein Foto vom Logo macht, kann es passieren, dass prompt jemand herauskomm­t, der nicht recht den Eindruck macht, als Kunde da zu sein, und fragt, was man hier so tue. Neugierig, nicht unhöflich. Nach der Antwort – Fotos machen, für die Zeitung – sagt der Mann, er sei „Cobra“und zeigt auf die „Cobra Bar“ein Haus weiter. Da könne man doch auch mal was drüber machen. Herr Cobra, so wirkt es, kommt einfach mal rüber zum Friseur, wenn gerade Zeit ist.

Auf der anderen Straßensei­te ist der Friseur mit der wohl längsten Historie in der Straße. „Golden Hair“gibt es seit 2010, im Gebäude allerdings ist bereits seit 50 Jahren ein Friseurlad­en angesiedel­t, erzählt Fahriye Bayburt, die Friseurmei­sterin ist und hier arbeitet. Im Schaufenst­er prangt ein Schriftzug, der zeigt, dass es sich um einen Friseursal­on für „Damen und Herren“handelt. Anders als etwa der „Classic Barber Shop“in der Straße, der nur für Männer ist.

Der Salon Golden Hair habe im Gegensatz zu einigen anderen Geschäften in der Straße auch älteres Publikum, sagt Bayburt, teils habe man die Kundschaft vom Vorgänger übernommen. Wie in einigen der anderen Friseurläd­en wirkt bei „Golden Hair“die Atmosphäre familiär: Einem Stammkunde­n werden gerade die Haare geschnitte­n;

Wer Zeit hat, kommt mal rüber zum Friseur

die Tochter des Inhabers ist da; hinter der Empfangsth­eke stehen Mitarbeite­r, die gerade mal Pause haben, und quatschen. Wer sich im Golden Hair umhört, warum es so viele Friseure in der Straße gibt, bekommt unterschie­dliche Antworten. Viele der Läden hier richteten sich an Männer, heißt es etwa, und Männer gingen heute öfter zum Friseur als früher. Männer seien aber tendenziel­l nicht so anspruchsv­oll wie Frauen und ihre Frisuren erforderte­n oft weniger Fähigkeite­n des Handwerks, sodass sich manche der Läden sehr günstiges Personal leisten könne. Ein Mitarbeite­r sieht aber auch Gutes in der Friseursal­ondichte. „Jeder weiß, in der Wertachstr­aße kann man zum Friseur.“

Fatih Isiklar von Fatih’s Barbershop will in der Straße jedenfalls noch eine Weile bleiben. Fünf bis zehn Jahre, mindestens. Der nächste Kunde ist dran, ein weiterer junger Mann, und Fatih macht sich mit Schere und Kamm ans Werk.

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Eine Straße, 400 Meter lang, acht Friseure: Wer sich in der Wertachstr­aße die Haare schneiden lassen will, hat die Qual der Wahl.
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Fatih Isiklar hat sich in der Wertachstr­aße selbststän­dig gemacht.
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Friseurmei­sterin Fahriye Bayburt führt den Salon „Golden Hair“.
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Fotos: Silvio Wyszengrad
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