Der Wangenkuss bleibt noch länger tabu
Auch nach dem Ende der strengen Quarantäne wird weiter gelten: Abstand halten. Öffnen die Schulen erst im September wieder?
Rom Die ersten Tage des März 2020 könnten in die Geschichte Italiens eingehen als die Zeit, in denen man sich zwischen Verona und Messina letzmals mit den üblichen Wangenküssen begrüßte. „Abstand halten“dürfte das Mantra bleiben, wenn die Sperrmaßnahmen gelockert sind. Wann das der Fall sein wird, ist offen. Frühestens Mitte Mai, spätestens im Sommer, lauten die Prognosen in dem Land, das Corona mit am schlimmsten getroffen hat.
Seit 10. März herrscht im ganzen Land eine Ausgangssperre – damit ist Italien den meisten Ländern in der Entwicklung der Epidemie zeitlich voraus. Welche Maßnahmen hier ergriffen werden und welche Wirkung sie haben, das beobachten andere Länder genau. Das gilt auch für Entscheidungen im Hinblick auf das Ende der wirtschaftslähmenden Quarantäne. Die Zahl der Neuansteckungen steigt seit Tagen weniger rapide, der Druck auf Intensivstationen und Krankenhäuser nimmt ab. Medienberichten zufolge plant Italien die „Phase zwei“.
Die Quarantäne wird nicht von einem auf den anderen Tag gelockert werden, sondern Schritt für Schritt. Gesundheitsminister Roberto Speranza hat eine Taskforce eingesetzt, die „hunderte Vorschläge analysiert“hat, wie ihr Chef Walter
Ricciardi erklärte. Das Ergebnis der Beratungen ist ein Strategieplan. Für alle Bewegungen der Menschen außer Haus soll das Abstandsgebot weiter gelten. Mundschutzmasken sollen zur Regel werden, um Ansteckungen zu vermeiden. Die Einhaltung der Regeln werde darüber mitentscheiden, wie schnell Bars und Restaurants, aber auch Betriebe und Geschäfte wieder öffnen können. Das betrifft Busse und Bahnen ebenso wie Kinos oder Theater.
Der Gesundheitsminister plant zudem „Covid Hospitals“, also Kliniken, die nur Covid-19-Patienten aufnehmen. Denn die Neuansteckungen wurden durch die Quarantäne zwar gebremst, das Virus ist damit aber nicht aus der Welt. Neue Infektionsherde sind nicht ausgeschlossen, eine Impfung oder Medikamente sind nicht vor 2021 zu erwarten. Spezialteams sollen Patienten
mit Symptomen zunächst zu Hause untersuchen und dann über die Behandlung entscheiden.
Die derzeit am meisten diskutierten Maßnahmen betreffen Immunitätstests und die Kontaktkontrolle per Smartphone-App. Wenn technische und datenschutzrechtliche Probleme geklärt sind, soll die App helfen, die Kontaktpersonen Infizierter zu erfassen, diese zu testen und so einen neuen Ausbruch einzugrenzen. Immunitätstests werden bereits massenhaft im Veneto und in der Emilia-Romagna durchgeführt. Wer die Antikörper im Blut hat und nicht mehr ansteckend ist, könnte einen Immunität-Pass bekommen. Experten gehen im Moment davon aus, dass Neuansteckungen nicht möglich sind. Zuerst sollen Ärzte und Pfleger, aber auch Arbeiter wichtiger Branchen und Bewohner von Altenheimen auf Antikörper getestet werden. Mit flächendeckenden Tests will die Regierung rasch feststellen, wie weit die Immunität in der Bevölkerung fortgeschritten ist. Die Daten gelten als Basis für die Lockerung der Sperrmaßnahmen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Wiedereröffnung der Schulen. Bildungsministerin Lucia Azzolina schloss eine Rückkehr in die Klassen erst zu Beginn des neuen Schuljahres nicht aus. Die Rückkehr werde erst erfolgen, „wenn die Umstände es ermöglichen“, so Azzolina.